Typ 1-Diabetes: Anstieg der Diabetes-Erkrankungen rätselhaft
08.11.2013
Die Zahl der Kinder, die bereits früh an Diabetes Typ 1 erkranken, hat stark zugenommen. Im Gegensatz zu Typ 2 (ernährungsbedingter „Alterszucker“) steht diese Erkrankung aber nicht mit Fettleibigkeit und ungesunder Ernährung in Verbindung. Die genauen Ursachen geben Medizinern jedoch Rätsel auf. Möglicherweise stehen bestimmte Viruserkrankungen in Zusammenhang mit der Stoffwechselkrankheit.
Diabetes betrifft auch die Jüngsten
In Deutschland erkranken immer mehr Kinder an Typ 1-Diabetes. Zudem tritt die Erkrankung immer früher auf. Nicht selten sind die Kleinen erst zwei oder drei Jahre alt. Bei der Ursache tappen Ärzte und Forscher im Dunkeln. „Warum der Typ-1-Diabetes ansteigt – für die Antwort kann man noch einen Nobelpreis gewinnen", erklärte Thomas Danne, Chefarzt am Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der Bult in Hannover und Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes Hilfe im Vorfeld des Welt-Diabetes-Tag am 14. November gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“. „Es ist wie ein Puzzlespiel."
Während in den Medien häufig das Bild des übergewichtigen Diabets-Patienten skizziert wird, der sich kaum bewegt und bei Süßigkeiten großzügig zugreift, werden im „Diabetes-Eltern-Journal“ ganz andere Fälle beschrieben. Hier geht es unter anderem um die kleine Ann-Fabienne, bei der im Alter von sieben Jahren Typ 1-Diabetes diagnostiziert wurde. Das Mädchen ist Leistungsturnerin und kann trotz Krankheit ein weitgehend normales Leben führen.
Typ 1 und Typ 2 Diabetes unterscheiden sich stark von einander
Diabetes ist die Stoffwechselerkrankung, die bei Kindern am häufigsten auftritt. Von Typ 1-Diabetes sind in Deutschland rund 30.000 Minderjährige betroffen. Die Zahl der Neuerkrankungen liegt pro Jahr zwischen zwei und vier Prozent.
Während Typ 2-Diabetes vor allem mit Bewegungsmangel und einer ungesunden Ernährungsweise in Zusammenhang steht, sind die Ursachen von Typ 1 Diabetes noch unbekannt. Letzterer wird auch als juveniler Diabetes oder insulin dependent (IDDM) bezeichnet, da er sich bereits im Kindes-, Jugend- und jungen Erwachsenenalter zeigt und die Patienten ein Leben lang Insulin zuführen müssen. Sehr wahrscheinlich führt ein Autoimmunantikörperprozess zur Entstehung der Stoffwechselerkrankung, bei dem das Immunsystem die β -Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört, die für die körpereigene Insulinproduktion zuständig sind. Wodurch dieser Prozess ausgelöst wird, ist jedoch nicht bekannt.
Bei Typ 2 Diabetes führt meist Übergewicht dazu, das körpereigenes Insulin nicht mehr ausreichend wirkt (Insulinresistenz) und der Körper nicht mehr genug Insulin produzieren kann. Diese Erkrankung betrifft aber seltener Kinder.
Politik ist im Kampf gegen Diabetes gefordert
„Wir haben ein Problem mit Adipositas und Kindern. Aber Diabetes ist erst die Endstufe", berichtete der Vizevorsitzende der Forschergruppe Diabetes am Helmholtz-Zentrum in München, Michael Hummel, gegenüber der Nachrichtenagentur. „Dass der Typ 2-Diabetes bei Kindern wahnsinnig zunimmt, stimmt nicht." Und dennoch: „Wir sehen immer mehr Typ 2-Patienten im Alter von 25 und 35 Jahren."
Im Kampf gegen Typ 2-Diabetes haben rund 20 Staaten eine Zwangsabgabe auf zuckerhaltige Getränke erhoben. Jüngst beschloss auch Mexiko eine Steuer auf kalorienreiches Fastfood und zuckerhaltige Limonaden. In dem Land sind Angaben der Weltlandwirtschaftsorganisation (FAO) zufolge rund ein Drittel der Menschen übergewichtig. Eine „Straf“-Besteuerung von ungesunden Lebensmitteln könnte auch hierzulande ein Weg sein, sagte Danne. Eine Restriktion bei der Eröffnung von Fastfood-Restaurants sei ebenfalls möglich. Die Politik sei nun gefordert. „Was man in Deutschland gerne macht, ist bunte Broschüren drucken. Andere Länder haben einen nationalen Diabetesplan."
Angesichts der derzeit stattfindenden Koalitionsgespräche von Union und SPD stellt Danne in einer Mitteilung von diabetesDE – Deutschen Diabetes-Hilfe klare Forderungen an die Politiker: „Der beste Weg, die Diabeteswelle aufzuhalten, ist, sie zu verhindern. Deshalb ist die Verankerung des Diabetes in einem neuen Präventionsgesetz, das auch verhältnispräventiv ausgerichtet sein muss, vordringlich. Dies allein reicht jedoch nicht aus, denn für die neue Legislaturperiode stellt sich die Aufgabe, die Diabetes-Früherkennung strukturiert anzugehen, Versorgungsforschung voranzutreiben, und die Versorgung des Diabetes über alle Ebenen – Hausarztpraxis, diabetologische Schwerpunktpraxis und Klinik – strukturiert zu vernetzen.“ Danne spricht sich für die Einführung eines nationalen Diabetesplans aus. „Darüber hinaus muss auch das Selbstmanagement der Patienten und die Selbsthilfe gestärkt werden. Dieser Herausforderung durch die Volkskrankheit Diabetes kann die neue Koalition nur durch ein konzertiertes Vorgehen mit Hilfe eines nationalen Diabetesplans begegnen.“
Während bei Typ 2-Diabetes Bewegung und eine Ernährungsumstellung helfen kann, gibt es bei Typ 1 keine Hoffnung auf Genesung. „Das Einzige, was wir machen können, ist Insulin geben", sagte Danne gegenüber der Nachrichtenagentur. „Was wir anbieten können, sind technische Lösungen."
Ursache von Typ 1-Diabetes könnte mit Virusinfektion in Verbindung stehen
In Finnland leben die meisten Kinder mit Typ 1-Diabetes. Warum, weiß bislang niemand. „Wir wissen, dass bestimmte Viruserkrankungen das Risiko fördern", erklärte Danne. Rund 20 Gene werden mit Typ 1 in Verbindung gebracht. Möglicherweise könnten auch Vitamin-D-Mangel und Ernährungsbestandteile begünstigende Faktoren sein. „Sicher ist nur: Süßigkeiten spielen keine Rolle", erläuterte der Experte. „Es gibt eine Menge offener Fragen."
Typ 1-Diabetes betrifft bereits Kleinkinder. Für die Familien stellt die Erkrankung häufig eine Belastung da, weil sechsmal am Tag der Blutzuckerspiegel gemessen und etwa viermal Insulin gespritzt werden muss. Das bedeutet auch nächtliche Einsätze, die für Eltern und Kinder gleichermaßen belastend sein können. Zudem wirken sich Bewegungsdrang, Wachstum und Infektion in nicht vorhersehbarer Weise auf den Stoffwechsel aus.
Im schlimmsten Fall kann das Kind aufgrund Über- oder Unterzuckerung sterben. Selbst bei verantwortungsbewussten Jugendlichen kommt es immer wieder zu lebensbedrohlichen Zwischenfällen. So erhöhen Alkohol und Extasy das Risiko einer Unterzuckerung. „Da hat jemand drei Nächte durchgetanzt. Wenn er dann eine extreme Unterzuckerung hat, rettet ihn nichts mehr", erläuterte Danne und berichtet von einem weiteren tragischen Fall. Ein 17-Jährige hatte beim Segeln gemerkt, dass er erste Anzeichen für eine Unterzuckerung hatte. Er wollte ans Ufer schwimmen. Doch dort kam der Schüler nie an.
Sind Betroffene richtig mit Medikamenten eingestellt und über alle Risiken aufgeklärt, können sie in der Regel ein fast normales Leben führen. Tragische Schicksale wie das des 17-Jährigen sind zwar Ausnahmen zeigen aber auch wie heimtückisch Diabetes sein kann. (ag)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.