Wirksamkeit wird geprüft: Ein Antibiotikum zur Behandlung von Depressionen?
Immer mehr Menschen weltweit leiden an einer Depression. Die psychische Erkrankung wird in vielen Fällen mit Medikamenten (Antidepressiva) behandelt. Doch diese wirken nicht bei allen Patienten. Möglicherweise könnte Betroffenen ein Antibiotikum helfen.
Zahl der Menschen mit Depressionen nimmt zu
Einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge ist die Anzahl der Menschen mit Depressionen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist. Weltweit sollen mehr als 300 Millionen Menschen betroffen sein – vor allem in den modernden Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften. Auch in der EU leiden immer mehr Menschen an der psychischen Krankheit, insbesondere im höheren Alter. Laut Schätzungen erleiden rund jede vierte Frau und jeder achte Mann in Deutschland im Laufe ihres Lebens einmal oder sogar mehrfach eine Depression.
Nicht alle Patienten sprechen auf die Medikamente an
Bei der Behandlung von Depressionen kommen in der Regel Medikamente (Antidepressiva) und Psychotherapie zum Einsatz.
Doch die Arzneien helfen längst nicht allen Patienten. Das sagt auch Professorin Isabella Heuser, Leiterin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité – Universitätsmedizin Berlin auf dem Campus Benjamin Franklin.
„Zwar stehen effektive und gut verträgliche Arzneimittel gegen mittelschwere und schwere Depressionen zur Verfügung. Doch rund ein Drittel der Patienten spricht auf diese Medikamente leider nicht an“, erklärt die Expertin in einer Mitteilung der Freien Universität (FU) Berlin.
Bei einigen Betroffenen ist das Immunsystem aktiviert
Wie in der Mitteilung erläutert wird, sind Depressionen, ausgelöst etwa durch Stress, Beziehungsprobleme, Scheidung oder den Verlust eines nahen Angehörigen, Erkrankungen, die mit körperlichen Veränderungen einhergehen.
So gehören zum depressiven Beschwerdebild neben Niedergeschlagenheit, Schlafproblemen, Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit, Libidoverlust und dem Gefühl, nur noch „auf Autopilot“ arbeiten können, auch Veränderungen im Hormonspiegel, was bei Frauen zum Beispiel zum Ausbleiben der Monatsblutung führen kann.
Aber das ist noch nicht alles. „Wir wissen inzwischen, dass bei einem Teil der Patienten das Immunsystem aktiviert ist. Und das, obwohl keine Infektion durch Bakterien, Viren oder Pilze vorliegt“, erläutert Heuser.
Die Expertin und einige Kolleginnen und Kollegen vermuten, dass davon genau das Drittel der Patienten betroffen ist, denen eine herkömmliche antidepressive Therapie nicht hilft.
Es ist jedoch noch unklar, was Ursache und was Wirkung ist: Wird durch Stress zuerst das Immunsystem aktiviert und löst die Depression aus? Oder werden durch eine Depression vermehrt Stresshormone ausgeschüttet, die dann das Immunsystem stimulieren?
Stressantwort und Immunantwort sind bekanntermaßen eng miteinander verflochten.
Gute Ergebnisse mit Antibiotikum erzielt
„Auch wenn wir die pathophysiologische Kausalkette noch nicht aufzeigen können: Das bedeutet nicht, dass wir nicht versuchen können, das überaktive Immunsystem zu beruhigen“, so Heuser, „und zwar mit Minocyclin, einem bewährten und gut verträglichen Antibiotikum aus der Gruppe der Tetracycline.“
Dieses Medikament wirke nicht nur antibakteriell, sondern auch entzündungshemmend und neuroprotektiv, schütze also Nervenzellen und -fasern.
Minocyclin kann – anders als die meisten anderen Antibiotika – die Blut-Hirn-Schranke überwinden, die das Gehirn normalerweise vor Krankheitserregern oder Stoffen schützt, die im Blut zirkulieren.
Das ist in diesem Fall entscheidend, da das Gehirn sein eigenes Immunsystem hat, was ebenfalls aktiviert wird, wenn der Körper entzündungsfördernde und entzündungshemmende Botenstoffe, die sogenannten Zytokine, ausschüttet.
„Aus Tierstudien wissen wir, dass Mäuse, die experimentell depressiv gemacht wurden, aktivierte Immunzellen im Gehirn haben. Nach Minocyclin-Gabe vermindert sich deren Aktivität deutlich“, sagt die Psychiaterin.
Eine kanadische Studie aus dem Jahr 2017 hat die gute antientzündliche Wirkung des Antibiotikums auf das Gehirn von Patienten mit Multipler Sklerose (MS) gezeigt.
Und es gab auch schon Pilotstudien mit depressiven oder bipolaren Probanden, die ebenfalls vielversprechend verliefen.
Arzneimittel zeigt kaum Nebenwirkungen
Isabella Heuser leitet derzeit eine multizentrische Doppelblindstudie, um die Wirksamkeit von Minocyclin bei Depression an 160 Probanden zu erforschen.
Dabei wissen weder die Versuchsleitung noch der teilnehmende Patient, wer den Wirkstoff und wer ein Placebo erhält.
Beteiligt sind neben der FU Berlin die Universitätskliniken in Aachen, Erlangen, Frankfurt, Göttingen, München und Regensburg sowie das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München.
Wie es in der Mitteilung heißt, wird Minocyclin seit langem erfolgreich gegen Akne und Rheuma eingesetzt und zeigt kaum Nebenwirkungen.
Was aber passiert eigentlich im Gehirn, wenn dessen Immunsystem auf die Barrikaden geht? „In bestimmten Hirnarealen, wie dem Limbischen System, das unsere Emotionen reguliert, beeinflussen Zytokine die Wirkung von Botenstoffen wie Dopamin, Noradrenalin und Acetylcholin“, erklärt Heuser.
„Das führt zu Verhaltensänderungen.“ Störungen des Limbischen Systems, das auch für die Ausschüttung von Glückshormonen (Endorphinen) verantwortlich ist, werden als Ursache verschiedener Erkrankungen angesehen, darunter posttraumatische Belastungsstörungen, Autismus und eben auch Depressionen.
Medikament könnte gegen Depression zugelassen werden
Menschen, die mit einer echten Infektion kämpfen – etwa einer Influenza (Grippe) – zeigen ebenfalls ein verändertes Verhalten: Sie fühlen sich schlapp, energielos, haben wenig Appetit, ziehen sich zurück, und sind kaum noch arbeitsfähig.
Symptome, die denen einer Depression stark ähneln, was für die Theorie eines Zusammenhangs zwischen Depression und aktiviertem Immunsystem spricht.
Die Probanden erhalten über sechs Wochen eine gleichbleibende Dosis Minocyclin und werden in dieser Zeit einmal wöchentlich ausführlich zu ihrem Befinden befragt.
Nach sechs Monaten werden sie erneut einbestellt. Vor und nach der Antibiotikatherapie wird ihnen Blut abgenommen und auf alle bekannten Zytokine hin untersucht.
„Wir hoffen, am Ende zeigen zu können, dass Probanden, die diese Entzündungsmarker haben, tatsächlich positiv auf das Antibiotikum reagiert haben“, so Heuser.
Im Idealfall zeige sich bei ihnen sogar ein ganz spezifisches Zytokin-Muster. Sollte Minocyclin den Erwartungen entsprechen und bald auch als Medikament gegen Depression zugelassen werden, könne dieses Muster im Blut eines Patienten – so hofft die Professorin – vorab ein sicherer Hinweis auf den Therapieerfolg sein.
Interessierte für die ambulante Minocyclin-Studie können sich noch bis September 2019 bei der Studienärztin Vera Clemens melden (E-Mail: vera.clemens@charite.de).
Voraussetzung für eine Teilnahme ist, dass zuvor zwei abgeschlossene antidepressive Therapieversuche mit unterschiedlicher Medikation fehlgeschlagen sind. Mit den Ergebnissen der Studie wird Anfang 2020 gerechnet. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Ein Antibiotikum gegen Depression?
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.