Gefährliche Keime: Antibiotikaresistente Bakterien im Seewasser
22.03.2012
Die Diskussion um antibiotikaresistente Bakterien reißt nicht ab. Immer häufiger werden die gefährlichen Keime außerhalb von Krankenhäusern und sogar auf Lebensmitteln wie Hähnchenfleisch aus Massentierhaltung entdeckt. Nun wiesen Schweizer Forscher die Erreger im Genfersee nach. Als ursprüngliche Quelle identifizierten sie das Abwasser einer Universitätsklinik. Möglicherweise sind zahlreiche Seen betroffen, deren Wasser aus geklärten Abwässern von Krankenhäusern stammt.
Wie gelangen die multiresistenten Keime in die Krankenhäuser?
Zu den multiresistente Keime (MRSA = Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) werden allgemein Bakterien des Stammes Staphylococcus aureus bezeichnet, die Resistenzen gegen nahezu alle Antibiotika entwickelt haben. Dazu gehört unter anderem Penicillin.
Wird ein Antibiotikum eingenommen, werden die Bakterien dadurch normalerweise abgetötet. Durch Mutationen einiger Erreger können diese jedoch Resistenzen gegen das Antibiotikum ausbilden. Die resistenten Keime können sich vermehren und über die Resistenz-vermittelnde Gene auch andere Bakterienarten „infizieren“. Begünstigt werden die Resistenzen durch den Einsatz bestimmter Reinigungsmittel, zu deren Inhaltsstoffen sogenannte quartäre Ammoniumverbindungen mit desinfizierender Wirkung gehören. Denn dieselben Gene der Bakterien, die gegen die quartären Ammoniumverbindungen resistent sind, übermitteln auch die Antibiotika-Resistenz an die Bakterien.
Jeder Mensch kann multiresistente Keime übertragen, auch wenn die Behandlung mit Antibiotika schon längere Zeit zurückliegt. Für gesunde Menschen stellen die Erreger in der Regel keine Gefahr da. Gelangen die Keime jedoch in einen schwerkranken Körper mit stark geschwächtem Immunsystem, können sie schwere Schäden verursachen, die sogar zum Tod des Patienten führen können. Zu den typischen Folgen einer MRSA-Infektion zählen beispielsweise schwere Entzündungen von Operationswunden, Blutvergiftungen und Lungenentzündungen.
Seewasser mit antibiotikaresistenten Keimen durch Abwasser von Krankenhäusern belastet
Dass Siedlungsabwasser unterschiedlichste Bakterien enthält ist bekannt. Besonders stark belastet ist das Abwasser aus Krankenhäusern. Durch stetige Zunahme an MRSA in den Kliniken, ist auch das Abwasser entsprechend belastet. Normalerweise werden die Bakterien in der Kläranlage unschädlich gemacht. Gerade die gefährlichsten Erreger würden die Klärvorgange unbeschadet überleben und teilweise sogar davon profitieren, schreibt die Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) in der Schweiz.
Nadine Czekalski, die im Rahmen ihrer Dissertation die wesentlichen Untersuchungen durchgeführt hat, wollte mit ihren Kollegen herausfinden, wie die multiresistenten Keime durch die Kläranlage in den Genfersee gelangen. Das gereinigte Abwasser stammt aus Lausanne. Ungefähr 700 Meter vom Ufer entfernt wird es in der Bucht von Vidy in den Genfersee geleitet. Da es weder pharmazeutische Industrie noch große Massentierhaltungsbetriebe in der Gegend gibt, schieden diese Quellen für die Erreger aus. Schnell stießen die Forscher auf das Universitätsspital Waadt, ein großes Krankenhaus, das an die Kläranlage Lausanne angeschlossen ist.
Bakterien geben Resistenzen untereinander weiter
Laut Mitteilung der Eawag ergaben die Analysen des Siedlungsabwassers, des Seewassers und des Sediments ein „unerwartetes Muster“. Besonders erschreckend war die hohe Zahl der multiresistenten Keime im Abwasser des Krankenhauses. Insgesamt wurden 75 Prozent der Bakterien durch die Kläranlage eliminiert. Jedoch sei der Anteil der antibiotikaresistenten Erreger im gereinigten Abwasser erhöht gewesen. Der Vermutung von Mikrobiologe Helmut Bürgmann zufolge könnte die Kläranlage ein Nährboden für den Austausch von multiresistenten Gensequenzen unter den Bakterien sein.
Der Austausch von Gensequenzen findet hier zwischen Keime statt, die normalerweise im menschlichen Körper zu finden sind und Bakterien, die sich bereits an die Umwelt angepasst haben. „Dass Bakterien Resistenzen einbauen, ist nichts Besonderes und auch nicht gefährlich“, erklärt Bürgmann gegenüber der Eawag. Die Häufigkeit der Multiresistenzen in der Nähe der Abwasserleitungen besonders im Sediment des Genfersees sei jedoch erst jetzt aufgedeckt worden. Damit steige auch das Risiko, dass multiresistente Gene aus Krankenhauskeimen eingebaut würden.
Laut Czekalski seien die Ergebnisse dennoch „kein Grund zur Panik“. In drei Kilometer Entfernung von der Einleitung der Kläranlage befindet sich eine Trinkwasserfassung. Die Forscher konnten die multiresistenten Keime zwar im Sediment nachweisen, im Seewasser jedoch nicht. Bevor es in Leitungsnetz eingespeist wird, erfolgt zudem eine Aufbereitung. Da 15 Prozent der Schweizer Abwässer nach der Reinigung in Seen geleitet werden, rufen die Wissenschaftler dennoch zur Vorsicht auf. Zudem empfehlen sie in der Studie eine gesonderte Behandlung der Abwässer aus Krankenhäusern, da diese Quelle der multiresistenten Keime seien.
In Deutschland Pilotprojekt gestartet
In Deutschland wird derzeit ein Pilotprojekt der AOK und des Roten Kreuz Krankenhauses in Bremen zur Vermeidung der Ausbreitung von multiresistenten Keimen und zur Verminderung des Risikos einer Infektion im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts umgesetzt.
Patienten werden dafür bereits im vor einer geplanten Operation auf entsprechende Keime untersucht. Wird ein multiresistenter Erreger nachgewiesen, erhalten Betroffene neben der Behandlung auch eine Beratung, um die Übertragung der Keime auf andere Patienten zu verhindern und das Infektionsrisiko zu reduzieren. (ag)
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Bild: Dr. Herrmann, Pixelio.de
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