Wahrnehmung einiger Bitterstoffe kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein
Der eine empfindet den Geschmack der Artischocke als sehr bitter – ein anderer wiederum gar nicht. Bei anderen Bitterstoffen, z. B. aus Absinth, lassen sich hingegen keine individuellen Wahrnehmungsunterschiede beobachten. Doch wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam hat nun untersucht, wie es zu Differenzen im Geschmackserleben kommt.
Erkennen der Geschmacksrichtung „bitter“ soll vor giftiger Nahrung schützen
Das Beispiel Artischocke zeigt es anschaulich: Bittere Nahrungsmittel sind nicht immer giftig. Dennoch geht die Wissenschaft davon aus, dass das Erkennen eines bitteren Geschmacks generell vor dem Verzehr giftiger oder verdorbener Nahrung schützen soll. Doch die Fähigkeit, Bitterstoffe zu erkennen, kann laut einer Mitteilung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) offenbar von Mensch zu Mensch stark variieren. Denn wie Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) und der Universität von Kalifornien erstmals zeigen konnten, lässt sich diese offenbar auf die chromosomale Verteilung der Bitterrezeptorgenvarianten zurückführen.
Dies zeige sich am Beispiel der Wahrnehmung der künstlichen Substanz „Phenylthiocarbamid“, denn für diese gebe es “Schmecker” und “Nichtschmecker”. Zu welcher Gruppe jemand gehöre, hänge davon ab, ob sie bzw. er über die intakte Genvariante des Bitterrezeptors TAS2R38 verfügt oder nicht.
Wahrnehmungsunterschiede, für die eine Veränderung des Erbgutes (Mutation) in nur einem einzigen Bitterrezeptor-Gen verantwortlich ist, seien jedoch sehr selten. In den meisten Fällen würden stattdessen mehrere der 25 verschiedenen Bitterrezeptoren einen Bitterstoff gleichzeitig erkennen – wenn auch teilweise unterschiedlich stark ausgeprägt.
Wissenschaftler untersuchen 48 Studienteilnehmer
In der Fachzeitschrift “PLOS Genetics” berichtet das Forscherteam um Wolfgang Meyerhof und Natacha Roudnitzky vom DIfE weiter von der unterschiedlichen Wahrnehmung der Bitterstoffe Grosheimin und Absinthin. Während ersteres unter anderem in der Artischocke enthalten ist, handelt es sich bei Absinthin um den Bitterstoff aus dem dunkelgrünen oder blauen Öl des Wermuts, welcher auch zur Aromatisierung von alkoholischen Getränken verwendet wird.
Die Forscher hatten bei 48 Studienteilnehmern genetische und sensorische Untersuchungen durchgeführt. Sie erkannten, dass die individuellen Unterschiede in der Geschmackswahrnehmung aber auch von der Verteilung der Rezeptorgenvarianten auf den Chromosomen abhängt. Denn diese würden in den meisten Fällen nicht einzeln, sondern gruppenweise vererbt, was dazu führe, dass einige Substanzen, wie z. B. Grosheimin häufig als unterschiedlich stark bitter empfunden werden – andere Bitterstoffe wie Absinthin hingegen nicht.
25 prozentige Wahrscheinlichkeit für zwei Chromosomen mit insensitiven Rezeptorgenen
Denn Grosheimin werde hauptsächlich von zwei verschiedenen Bitterrezeptoren erkannt (TAS2R43 und TAS2R46), wobei die Gene für diese beide auf einem Chromosom eng beieinander liegen und daher meist gemeinsam vererbt werden. Das Chromosom weise dabei „entweder zwei sensitive oder zwei für den Bitterstoff insensitive Genvarianten auf“, so die Mitteilung des DifE weiter. Da jeder Mensch über einen doppelten Chromosomensatz (je einen von Mutter und Vater) verfügt, bestehe hier eine etwa 25 prozentige Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind zwei Chromosomen mit insensitiven Rezeptorgenen erbt. In der Folge könne dieses Kind Grosheimin nur in sehr hoher Konzentration mithilfe anderer Rezeptoren schmecken, während ein anderes Kind mit zwei sensitiven Varianten die Bitterstoffe bereits in sehr geringer Dosis erkenne.
Für Absinthin wird immer wenigstens ein sensitiver Rezeptor vererbt
Anders sieht es bei Absinthin aus. Hier gibt es zwar ebenfalls zwei spezifische Rezeptoren (TAS2R30 und TAS2R46), deren Gene dicht beieinander liegen – doch es herrscht eine andere Verteilung der Varianten. Denn hier finde sich auf einem Chromosom entweder eine sensitive Variante des einen und eine insensitive Variante des anderen Rezeptors oder umgekehrt. Dementsprechend erbe ein Kind in diesem Fall immer wenigstens einen sensitiven Rezeptor, der in der Lage ist, Absinthin zu identifizieren. Daher gebe es hier auch keine Wahrnehmungsunterschiede wie bei der Artischocke – stattdessen werde das Szenegetränk Absinth z.B. von den meisten Menschen als bitter empfunden.
„Wie unsere Ergebnisse zeigen, beeinflussen die Gene unser Geschmacksempfinden nicht unwesentlich. Zudem belegen sie, dass die genetischen Mechanismen, welche die Wahrnehmung von Bitterstoffen beeinflussen, sehr viel komplexer sind als ursprünglich angenommen“, so die Erstautorin Natacha Roudnitzky. Ziel sei es nun, weitere Erkenntnisse über die biologischen Grundlagen der Geschmackswahrnehmung zu erhalten „um besser zu verstehen, wie sie neben anderen Sinnen und kulturellen Gewohnheiten unsere Nahrungsauswahl und unser Ernährungsverhalten beeinflussen“, ergänzt der Leiter der Abteilung Molekulare Genetik am DifE, Wolfgang Meyerhof. (nr)
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