Neue Verfahren zur Beseitigung der Arzneimittelrückstände aus dem Wasser
25.08.2014
Arzneimittelrückstände belasten zunehmend das Wasser in Deutschland. Zahlreiche verschiedene Wirkstoffe hat das Umweltbundesamt bereits in Gewässern nachgewiesen, doch tatsächlich dürfte die Belastung noch deutlich höher liegen. Denn die Untersuchungen finden nur, wonach sie suchen. Mit Unterstützung des Umweltbundesamtes arbeiten Forscher der Universität Tübingen daher an einem schnellen und sicheren Testsystem, mit dem die schädlichen Wirkungen der Arzneimittelrückstände vor Ort gemessen und überwacht werden können.
Im Rahmen des ersten Projektabschnitts ermittelten die Forscher „zunächst, welche Arzneimittel der Umwelt besonders schaden und welche Lebewesen sehr empfindlich auf diese reagieren“, berichtet das Umweltbundesamt. „Darauf aufbauend wollen die Forscher nun zellbasierte Methoden für zwei Wirkstoffe aus der Gruppe der Schmerzmittel und der Gruppe der Blutdrucksenker entwickeln“, so die offizielle Mitteilung weiter. Gleichzeit läuft die Arbeit an technischen Verbesserungen der Wasseraufbereitung, mit deren Hilfe die Arzneimittelrückstände künftig möglichst umfassend aus den Abwässern entfernt werden sollen.
Arzneimittel-Cocktail im Wasser
Mit dem Abwasser gelangt ein regelrechter Wirkstoff-Cocktail in den Wasserkreislauf, was nicht nur für die Tier- und Pflanzenwelt, sondern schlimmstenfalls auch für den Menschen gefährlich werden kann. Rückstände von Röntgenkontrastmittel, Antibiotika, Schmerzmitteln und Diabetes-Medikamenten finden sich im Grund-, Oberflächen- und Trinkwasser, berichtet die Nachrichtenagentur „dpa“ unter Berufung auf die Angaben des Umweltbundesamtes. Den offiziellen Angaben zufolge seien in Deutschland bis 2011 insgesamt 23 Wirkstoffe im Trinkwasser nachgewiesen worden, Spuren von 55 verschiedener Arzneimitteln fanden sich im Grundwasser und in Seen beziehungsweise Flüssen habe die Zahl der nachgewiesenen Wirkstoffe sogar im dreistelligen Bereich gelegen. Insgesamt stellen die Arzneimittelrückstände ein wachsendes Problem dar, was auch auf die kontinuierlich steigende Zahl neuer Wirkstoffe zurückzuführen ist.
Deutliche Zunahme der Arzneimittelrückstände im Wasser zu erwarten
Heute sind in Deutschland bereits 2.500 bis 3.000 Wirkstoffe auf dem Markt erhältlich und wahrscheinliche finden sich von einer ähnlichen Größenordnung Rückstände im Wasser, zitiert die „dpa“ den Professor für nachhaltige Chemie und stoffliche Ressourcen an der Leuphana Universität Lüneburg, Klaus Kümmerer. Demnach bilden die bislang nachgewiesenen Rückstände wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Und „immer wenn es neue Wirkstoffe gibt, wächst das Problem“, so Kümmerer weiter. Hinzu kommt der drastische Anstieg des Arzneimittelverbrauchs. Laut Mitteilung der „dpa“ ist der Verbrauch von Wirkstoffen aus dem Bereich der Humanarzneimitteln in Deutschland zwischen den Jahren 2002 und 2012 um 1920 Tonnen gestiegen (von 6200 auf 8120 Tonnen). Im Jahr 2012 seien mehr als eine Milliarde Packungen Medikamente in deutschen Apotheken verkauft worden. Problematisch ist dabei auch die Entsorgung der Arzneien. Denn vielfach werden diese einfach in die Toilette oder den Ausguss geschüttet.
Pharmaindustrie sieht kein Gesundheitsrisiko
Da viele Präparate auf sehr stabilen chemischen Verbindungen basieren, werden erhebliche Anteile der Arzneien von den Patienten wieder ausgeschieden und gelangen mit dem Abwasser in den Wasserkreislauf. Zudem verändern einige Wirkstoffe im menschlichen Organismus ihre chemische Zusammensetzungen, wobei Substanzen entstehen, „die auch wieder wirksam sind“, zitiert die „dpa“ die Professorin für Pharmazeutische Chemie an der Freien Universität Berlin, Maria Parr. Welche Folgen die Arzneimittelrückstände für Pflanzen, Tiere und Menschen haben, ist unter den Experten bislang umstritten „Keiner kann sagen, was dieser Cocktail macht“, berichtet Thomas Ternes von der Bundesanstalt für Gewässerkunde gegenüber der „dpa“. Die Pharmaindustrie sieht hier jedoch kein besonderes Risiko. Mit Verweis auf die minimalen Konzentrationen wird betont, dass keine Wirkungseffekte zu erwarten seien.
Vorsorge erfordert Minimierung der Arzneimittelrückstände
Allerdings haben in der Vergangenheit bereits verschiedene Studien nachgewiesen, dass der Eintrag von Arzneimittelrückständen zumindest auf Fische durchaus weitreichende Folgen haben kann. Von Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit über Verhaltensstörungen bis hin zu Schädigungen der inneren Organe reicht hier die Liste der nachgewiesen Auswirkungen. Studien, in denen eindeutig nachteilige Effekte auf den Menschen belegt wurden, liegen bislang allerdings nicht vor. So geht das Umweltbundesamt „nach heutigem Wissensstand“ davon aus, dass kein Langzeitrisiko für die menschliche Gesundheit besteht, berichtet die Nachrichtenagentur „dpa“. Aus Vorsorgegründen sei die Belastung dennoch möglichst zu minimieren. Hier könnten bereits verfügbare technologische Lösungen zwar eine deutliche Verbesserungen bei der Reinigung der Abwässer bringen, doch angesichts des fehlenden Nachweises für eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit werden diese nicht umgesetzt. Die Argumentation über eine verantwortungsvolle Vorsorge erweist sich in der Praxis vielfach als stumpfes Schwert. Ob die Vorsorge als Hebel ausreicht, um an dieser Stelle voranzukommen, sei eher zweifelhaft, erläuterte auch Ingrid Chorus, Abteilungsleiterin im Umweltbundesamt gegenüber der „dpa“.
Leichter abbaubare Arzneien
Um die Arzneimittelrückstände in den Gewässern zu minimieren beziehungsweise möglichst gänzlich zu vermeiden, bieten sich zwei verschiedene Herangehensweisen an. Einerseits könnten deutlich bessere Filtermethoden einen wesentlich größeren Anteil der Arzneimittelrückstände aus dem Wasser herausfiltern, anderseits besteht die Möglichkeit, bei der Herstellung der Arzneien stärker auf gut abbaubare Substanzen zu setzen. Hier heißt das Schlagwort „Green Pharmacy“. Gegenüber der „dpa“ betonte der Chemieprofessor Klaus Kümmerer die Vorzüge dieser Methode. „Wenn ich Moleküle so gestalten kann, dass sie ihre Wirkung bei Arzneimitteln erfüllen, wie das vorgesehen ist und gleichzeitig schnell und vollständig biologisch abbaubar sind, dann hätten wir das Problem ganz elegant gelöst“, zitiert die Nachrichtenagentur den Experten. Doch bestehen nur wenig Einflussmöglichkeiten auf die Pharmaindustrie, um einen verstärkten Einsatz leicht abbaubarer Mittel zu erreichen.
Aktivkohle zur Beseitigung der Arzneimittelrückstände
Die Wasseraufbereitung liegt indes überwiegend noch in kommunaler Hand. Hier bestünde mit entsprechender Unterstützung durch die Politik durchaus die Möglichkeit, deutliche Verbesserungen zu erreichen. Ein Beispiel bildet der Einsatz von Aktivkohle, wie er derzeit von der Technischen Universität Berlin und den Berliner Wasserbetrieben getestet wird. Die Oberflächenwasseraufbereitungsanlage in Berlin Tegel filtert mit ihren riesigen Rohren unerwünschte Substanzen aus dem Wasser, wobei hier in einer kleineren Versuchsanlage das durchströmende Wasser zusätzlich mit einem Aktivkohle-Granulat versetzt wird. Für rund 30 Minuten bleibt die Kohle in dem Wasser und nimmt dabei unterschiedlichste Spurenstoffe auf. Anschließend wird das Granulat wieder aus dem Wasser herausgefiltert. Auf diese Weise lassen sich laut Mitteilung der „dpa“ deutlich mehr Rückstände aus dem Wasser entfernen, als mit der bisherigen Methode. Auch der an anderer Stelle getestete Einsatz von Ozon habe zu einer wesentlichen Verbesserung bei der Wasseraufbereitung geführt. Insgesamt ließen sich Professor Kümmerer zufolge mit der Kombination aller vorhandenen Methoden rund die Hälfte aller unerwünschten Spurenstoffe aus dem Wasser entfernen, allerdings bleibt eine vollständigen Reinigung des Wassers ausgeschlossen. Eine stärkere Verantwortungsübernahme der Pharmaindustrie im Sinne der „Green Pharmacy“ scheint daher dringend geboten. (fp)
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