BGH: Werdende Mutter muss über Behandlung entscheiden können
Bei konkreten Hinweisen einer drohenden Problemgeburt müssen Schwangere über einen Kaiserschnitt als Behandlungsalternative frühzeitig aufgeklärt werden. Erfolgt die Aufklärung erst, wenn nur noch ein „eiliger Kaiserschnitt” infrage kommt, stellt dies grundsätzlich einen Behandlungsfehler dar, für den Ärzte und Klinik haften können, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Montag, 12. November 2018, veröffentlichten Urteil (Az.: VI ZR 509/17).
Im entschiedenen Rechtsstreit ging es um ein am 23. November 2006 mit einem Hirnschaden geborenes Kind. Die Mutter hatte sich zuvor mit regelmäßigen Wehen in der Klinik in Schleswig-Holstein vorgestellt. Doch nachdem die Frau wehenfördernde Mittel erhalten hatte, wurde bei dem Kind mehrfach ein bedrohliches Absinken der Herzfrequenz festgestellt. Beim dritten Mal stellte die behandelnde Ärztin fest, dass sich der Muttermund noch nicht geöffnet hatte. Sie ordnete einen sogenannten „eiligen Kaiserschnitt” an und klärte die werdende Mutter über die notwendige Behandlung auf.
Beim „eiligen Kaiserschnitt” soll das Kind spätestens innerhalb von 30 Minuten, ab dem Zeitpunkt der Entscheidung über den Kaiserschnitt, entbunden werden. Die Aufklärung der Schwangeren fällt angesichts der Dringlichkeit relativ knapp aus. Bei einem Notkaiserschnitt soll dagegen die Geburt innerhalb von 20 Minuten erfolgen. Die Aufklärung über den immer in Vollnarkose durchgeführten Eingriff ist dann nur minimal.
Im konkreten Fall geriet die Schwangere wegen des bevorstehenden „eiligen Kaiserschnitts” in Panik. Sie lehnte einen Blasenkatheter und die Sauerstoffzufuhr über eine Nasensonde ab. Auch ein Beruhigungsmittel „zur Verbesserung der Kooperation” wollte sie nicht nehmen. Die Tochter kam schließlich zwölf Minuten nach Ablauf der für „eilige Kaiserschnitte” geltenden 30-Minuten-Frist auf die Welt.
Den Hirnschaden ihres Kindes führte die Mutter auf den zu spät durchgeführten Kaiserschnitt zurück. Sie sei zudem auch nicht rechtzeitig über Vor- und Nachteile des Kaiserschnitts aufgeklärt worden. Damit habe sie nicht frei über die einzelnen Entbindungsmethoden entscheiden können. Dass sie erst mit der Anordnung des „eiligen Kaiserschnitts” aufgeklärt wurde, habe zu einer Verzögerung der Entbindung geführt.
In seinem Urteil vom 28. August 2018 stellte der BGH fest, dass bei einer normalen Geburt zwar keine Aufklärung über einen Kaiserschnitt erfolgen muss. Bei konkreten Anzeichen einer Problemgeburt müsse der Arzt aber eine vorgezogene Aufklärung über einen Kaiserschnitt als Behandlungsalternative durchführen. Kläre er nicht rechtzeitig darüber auf, komme eine Haftung in Betracht. Die Schwangere müsse über verschiedene Entbindungsmethoden und deren Risiken sowie deren Vor- und Nachteile wählen können. Dies gebiete das Selbstbestimmungsrecht der werdenden Mutter.
Hier hätte die vorsorgliche Aufklärung über den Kaiserschnitt als Behandlungsalternative spätestens zu dem Zeitpunkt erfolgen müssen, als das Kind zum bereits zweiten und nicht erst zum dritten Mal eine schlechte Herzfrequenz hatte.
Die Schwangere sei erst aufgeklärt worden, als ein „eiliger Kaiserschnitt” notwendig war. Zu diesem Zeitpunkt habe es aber gar keine Behandlungsalternative mehr gegeben, rügte der BGH. Führe die unterbliebene rechtzeitige Aufklärung zu einer Verzögerung bei der Geburt, komme eine Haftung der Ärzte in Betracht.
Das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig soll daher nun prüfen, inwieweit die noch notwendige Aufklärung zur Überschreitung der 30-Minuten-Frist geführt hat und inwieweit dies einem vorwerfbar unkooperativen Verhalten der Schwangeren zuzurechnen ist. Sollte zumindest eine Mitschuld bei der Klinik liegen, müsse aber die Mutter beweisen, dass die Fristüberschreitung zu dem Geburtsschaden geführt hat.
Nach ständiger Rechtsprechung ergibt sich eine sogenannte Beweislastumkehr und damit eine Beweispflicht der Klinik erst bei groben Behandlungsfehlern. Einen solchen sah der BGH hier noch nicht.
Ähnlich hatte der BGH zur Aufklärungspflicht bei einem Kaiserschnitt am 28. Oktober 2014 entschieden (Az.: VI ZR 125/13; JurAgentur-Meldung vom 16. Februar 2015). Danach müssen Ärzte bei der „ernsthaften Möglichkeit” eines Kaiserschnitts die Patientin frühzeitig über Risiken, Vor- und Nachteile des Eingriffs aufklären. Wenn sich die Gefahrenlage dann tatsächlich deutlich zuspitzt, sind entsprechende Informationen, nicht aber eine erneute Aufklärung erforderlich.
In einem Urteil vom 17. Mai 2011 betonten die Karlsruher Richter, dass die Aufklärung über einen Kaiserschnitt nicht erst dann erfolgen darf, wenn das Kind schon konkret gefährdet ist (Az.: VI ZR 69/10; JurAgentur-Meldung vom 1. Juli 2011). Zwar solle die werdende Mutter während des Geburtsvorganges nicht ohne Grund mit möglichen Gefahren und Risiken der verschiedenen Entbindungsmethoden belastet werden. Komme wegen konkreter Hinweise ein Kaiserschnitt in Betracht, müsse die werdende Mutter aber darüber aufgeklärt werden. fle/mwo
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