Schielen: Wann sofort ärztliche Hilfe gesucht werden sollte
Schielen, das im Fachjargon als Strabismus bezeichnet wird, ist laut Fachleuten eine Fehlstellung eines oder beider Augen. Wenn das Phänomen plötzlich auftritt, kann dies unter Umständen auf eine lebensbedrohliche Erkrankung hinweisen.
Laut einer aktuellen Mitteilung der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) diagnostizieren Ärztinnen und Ärzte in der Notaufnahme bei jedem vierten Kind, das plötzlich schielt oder Doppelbilder sieht, eine lebensbedrohliche Erkrankung. Bei Erwachsenen, die älter als 65 Jahre sind, ist die Ursache für neu aufgetretenes Schielen hingegen in den meisten Fällen eine vorübergehende Durchblutungsstörung im Gehirn.
Auslöser können harmlos sein – oder gefährlich
Menschen, die beispielsweise zu viel Alkohol getrunken haben oder sehr müde sind, fangen mitunter plötzlich zu schielen an – in solchen Fällen sind die Auslöser bekannt und im Prinzip harmlos.
„Hinter neu aufgetretenem Schielen oder Doppelbilder-Sehen kann aber auch eine ernsthafte Erkrankung stecken“, sagt Professor Dr. med. Anja Eckstein, die unter anderem als Leiterin der Sektion Strabologie und Neuroophthalmologie an der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Essen tätig ist.
Bei der Einschätzung, wie dringlich das Problem ist, hilft zunächst die Unterscheidung, ob sich die Augen normal bewegen oder nicht.
„Bewegen sich die Augen nicht symmetrisch-gleichmäßig, handelt es sich oft um einen Notfall“, erklärt die Spezialistin für Schielerkrankungen. „Denn dann sind häufig die Hirnnerven gelähmt, die die Augenmuskeln steuern.“
Ursache einer solchen Lähmung können unter anderem Hirnblutungen, Hirntumoren, Hirndruck oder ein Schlaganfall sein. „So wissen wir, dass Kinder, die mit akutem Schielen infolge einer Augenbewegungsstörung in die Notaufnahme kommen, am häufigsten an einem Hirntumor leiden“, so Eckstein.
„Aufgrund ihres Volumens können Tumoren den Hirndruck erhöhen, und das können wir beim Blick ins Auge am geschwollenen Sehnerv erkennen“, fügt die Expertin der DOG hinzu.
Verdacht auf einen Hirntumor
Anders verhält es sich bei erwachsenen Personen über 65 Jahren, die akut schielen und auffällige Augenbewegungen zeigen. „Bei dieser Altersgruppe ist die Lähmung der Hirnnerven am häufigsten durch eine kleinere Durchblutungsstörung im Gehirn bedingt“, erläutert Eckstein.
Wenn keine zusätzlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Schwindel vorliegen, dafür aber Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Übergewicht, werden die Betroffenen zunächst zur Internistin beziehungsweise zum Internisten oder zur Hausärztin beziehungsweise zum Hausarzt geschickt.
„Meistens bessern sich diese Hirnnervenlähmungen innerhalb von vier bis sechs Wochen von allein“, so die DOG-Expertin. „Wichtig ist, durch entsprechende Vorsorge weitere Durchblutungsstörungen zu verhindern.“
Sind die Betroffenen aber unter 65 Jahre alt und leiden neben Doppelbildern und Augenbewegungsstörungen zugleich unter Kopfschmerzen, Schwindel oder Erbrechen, besteht unter anderem der Verdacht auf einen Hirntumor. „Dann muss sofort eine Bildgebung des Gehirns erfolgen“, erklärt die Neuroophthalmologin.
Akuter Handlungsbedarf besteht auch, wenn Doppelbilder nach Unfällen auftreten, etwa einem Sturz von einem Trampolin. „Zeigt sich dann auch noch ein blaues Auge, liegt wahrscheinlich eine Augenhöhlenfraktur vor, die bei Kindern innerhalb von 24 Stunden operiert werden muss“, hebt Eckstein hervor. „Sonst vernarbt das Gewebe, und es können dauerhafte Schäden zurückbleiben.“
Gegebenenfalls zur augenärztlichen Notfallambulanz
Auch wenn sich nach einem Schlag auf das Auge Doppelbilder einstellen, müsse sofort die augenärztliche Notfallambulanz aufgesucht werden. „Dann besteht der Verdacht auf eine Blow-out-Fraktur, die bei Erwachsenen innerhalb von ein paar Tagen operiert werden sollte, wenn die Doppelbilder anhalten“, so die Expertin.
Darüber hinaus kann Schielen mit hervortretenden Augäpfeln Folge einer Schilddrüsenerkrankung sein, des Morbus Basedow. In diesem Fall sind die Augenmuskeln entzündet und verkürzt, was zum Schielen führt.
„In allen Fällen gilt: Ist die Grunderkrankung behandelt und bilden sich die Doppelbilder nicht zurück, kann die Schielstellung durch eine Operation der Augenmuskeln korrigiert werden“, sagt Eckstein.
Für eine solche Schieloperation sei großes Erfahrungswissen notwendig, um die Symmetrie der Beweglichkeit beider Augen wiederherzustellen, weil sich diese dreidimensional bewegen.
„Wer schielt, wendet sich am besten an Augenärztinnen und Augenärzte, die Erfahrung auf dem Gebiet der Strabologie und Neuroophthalmologie besitzen“, empfiehlt DOG-Präsident Professor Dr. med. Hagen Thieme.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft: Plötzliches Schielen: Bei ungleichmäßigen Augenbewegungen sofort den Arzt aufsuchen, (Abruf: 03.10.2021), idw-online.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.