Autismus entwickelt sich vermutlich schon im Mutterleib
30.03.2014
Weder ist Autismus bislang heilbar, noch sind die Ursachen für die Entwicklungsstörung bekannt. Doch Wissenschaftlern scheint nun ein wichtiger Schritt bei der Erforschung von Autismus gelungen zu sein. Sie stellten fest, dass die typischen Hirnveränderungen offenbar bereits vor der Geburt entstehen.
Typische Hirnveränderungen vor der Geburt
Wie Forscher um Rich Stoner von der University of California in San Diego herausgefunden haben, entstehen die für Autismus typischen Hirnveränderungen offenbar bereits vor der Geburt. Dies zeigte sich bei der Analyse des Gehirngewebes von 22 Kindern, von denen eine Hälfte die Entwicklungsstörung hatte. Die Wissenschaftler fanden bei fast allen Autisten Veränderungen in der Schichtung der Hirnrinde. Vermutlich resultiere dies aus der Entstehung der verschiedenen Schichten und der Differenzierung der Nervenzellen schon vor der Geburt, schreiben sie im Fachblatt „New England Journal of Medicine“.
Gewebeproben von verstorbenen Kindern
Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die sich oft schon in der frühen Kindheit bemerkbar macht und sich in Problemen etwa bei der Kommunikation und anderen sozialen Fähigkeiten äußert. Forscher hatten zwar auch schon früher Hirngewebe von Autisten untersucht, dieses stammte jedoch meist von älteren Menschen. Die US-Wissenschaftler analysierten nun Proben von 22 verstorbenen Kindern im Alter von zwei bis 15 Jahren. Sie konzentrierten sich dabei auf die Großhirnrinde, welche in sechs Schichten angeordnet ist, in denen verschiedene Typen von Nervenzellen mit unterschiedlichen Vernetzungen liegen. Das Gewebe wurde auf genetische Marker für die Schichten und auch für Autismus untersucht.
Bei zehn von elf autistischen Kindern fehlten bestimmte Marker
Obwohl bei zehn der elf autistischen Kinder (91 Prozent) Marker für diverse Schichten fehlten, war dies nur bei einem der elf anderen Kinder (9 Prozent) der Fall. Außerdem verteilten sich die Veränderungen nicht gleichmäßig über die Hirnrinde, sondern waren auf kleine Stellen von fünf bis sieben Millimetern Länge beschränkt, die über mehrere Schichten reichten. Auch wenn sich zwar die Lage der veränderten Bereiche unterschied, so betraf sie jedoch generell Schläfen- und Stirnlappen, jedoch nicht den Hinterhauptlappen. Diese Areale sind beispielsweise an Kommunikation, Sozialverhalten oder der Verarbeitung von Gefühlen beteiligt. Die Forscher gehen davon aus, dass die auffälligen Areale direkt mit der Störung verbunden sind, da dies Kernsymptome von Autismus betrifft.
Bedeutung einer frühen Diagnose und Behandlung
Die Wissenschaftler schreiben: „Angesichts der gut beschriebenen Unterschiede bei Autismus war das Finden eines relativ ähnlichen pathologischen Merkmals überraschend.“ Jedoch könnten veränderte Areale an verschiedenen Stellen Unterschiede in der Art und Ausprägung von Autismus erklären. Dass auch ein nicht autistisches Kind solche Veränderungen hatte, spreche für die Möglichkeit, dass diese nicht zwangsläufig zu klinischen Symptomen führen müsse. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten auch erklären, warum eine frühe Therapie manchmal hilft, denn das sich entwickelnde Gehirn könnte sich umorganisieren und so Defizite ausgleichen. „Obwohl Autismus allgemein als Entwicklungsstörung des Gehirns angesehen wird, haben Forscher bisher keine ursächlichen Schäden identifiziert“, so der Direktor des National Institute of Mental Health, Thomas Insel, laut einer Mitteilung dieser US-Behörde. „Wenn diese Studie über eine ungeordnete Architektur im Gehirn mancher Kinder mit Autismus bestätigt wird, können wir davon ausgehen, dass dies einen Prozess widerspiegelt, der lange vor der Geburt einsetzt. Das untermauert die Bedeutung einer früher Diagnose und Behandlung.“
Autismus schneller erkennen
Der an der Untersuchung beteiligte Eric Courchesne von der University of California und San Diegos Autism Center of Excellence sagte laut einem Bericht auf der Nachrichtenseite „Bloomberg“ zu den Ergebnissen: „Daraus ist klar ersichtlich, dass Autismus schon während der Schwangerschaft entstehen muss.“ Demnach beginne die Störung bereits im zweiten Trimester. Durch die neuen Erkenntnisse werde es zudem bald möglich sein, Diagnose-Instrumente zu entwickeln und Autismus schneller zu erkennen. Es sei bislang immer nur möglich gewesen, die Entwicklungsstörung durch die Beobachtung von Verhaltensmustern bei Kleinkindern zu bestimmen. Allerdings bleibe die Ursache von Autismus weiterhin ein Rätsel.
Angeborene und unheilbare Störung
Autismus wird in der Regel als eine angeborene, unheilbare Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns beschrieben. Symptome und individuelle Ausprägung können dabei von leichten Verhaltensproblemen bis hin zu schweren geistigen Behinderungen reichen. Allen autistischen Behinderungen gemein ist eine Beeinträchtigung des Sozialverhaltens, etwa durch Schwierigkeiten mit anderen Menschen zu sprechen oder Mimik und Körpersprache einzusetzen und zu verstehen. Autismus zählt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge zu den tiefgreifenden neurologischen Entwicklungsstörungen. (ad)
Bild: Anna-martha / pixelio.de
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