Bundesarbeitsgericht: Keine Kündigung des Chefarztes in einer katholischen Klinik
09.09.2011
In einem aktuellen Urteil hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt die Kündigung eines katholischen Chefarztes als rechtswidrig beurteilt. Ein katholisches Krankenhaus hatte dem leitenden Mediziner gekündigt, nachdem dieser erneut geheiratet hatte. Zwar wurde die allgemeine Praxis der christlichen Einrichtungen nicht in Frage gestellt, allerdings müsse die Klinik bei ihren leitenden Angestellten einheitlich agieren. „Die Wiederverheiratung eines katholischen Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus rechtfertigt nicht in jedem Fall seine ordentliche Kündigung“, so das oberste Arbeitsgericht. Anderen angestellte Ärzte, die keiner Kirche angehören und außereheliche Beziehungen pflegen, bekamen keine Kündigungen zugestellt. Hier agiere die Klinik uneinheitlich, so die Arbeitsrichter.
Glaubenslehre-Anspruch an Arbeitnehmer
Die zwei großen christlichen Kirchen in Deutschland erheben zum Teil hohe moralische und klerikale Ansprüche an ihre Angestellten. Wer bei der Kirche arbeiten will, muss vielerorts mindestens Mitglied der katholischen oder evangelischen Kirche sein. Ferner werden vielmals bereits zu Beginn des Arbeitsverhältnisses private Lebensweisen vereinbart, die im eigentliche Sinne nichts mit dem Berufsleben zu tun haben dürften. So erging es auch einem Chefarzt einer katholischen Klinik in Nordrhein-Westfalen.
Die erste Ehe des Mediziners war gescheitert, weil sich die Exfrau von dem Chefarzt scheiden ließ. Nach einer gewissen Zeit lebte der Kläger „in wilder Ehe“ unverheiratet mit einer neuen Partnerin zusammen. Im Jahre 2008 gaben sich beide das „Ja-Wort“ und heirateten standesamtlich ohne kirchliche Trauzeremonie. Eine römisch-katholische Hochzeit ist bei einer Zweitehe nur dann möglich, wenn der Partner der ersten Ehe verstorben ist oder die Erstehe annulliert wurde. Als die Geschäftsleitung des katholischen Krankenhauses von der Zweitehe erfuhr, wurde dem Chefarzt gekündigt.
Bundesarbeitsgericht hob Kündigung des Chefarztes auf
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hob als Hochinstanz nun die Kündigung auf und erklärte diese für unwirksam. Die Revision des Arbeitgebers wurde abgelehnt. Nicht angezweifelt hat das oberste Arbeitsgericht das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nach Art. 5 Abs. 2 des GO . Kündigungen sind nach Ansicht der Richter durchaus statthaft, wenn einem Angestellten „aufgrund mangelnder Loyalität zur Lehre der Kirche“ gekündigt wird. Dennoch müsse die Glaubenslehre der Kirche immer mit den Belangen des Arbeitnehmers abwägbar sein, sagte der oberste Richter in der Urteilsbegründung. Im vorliegenden Fall habe aber die Klinikleitung "auf ein durchgehend und ausnahmslos der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verpflichtetes Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter verzichtet". Denn die katholische Einrichtung habe selbst zahlreiche nicht-katholische Ärzte eingestellt, die zudem ein zweites Mal geheiratet hatten. Wissentlich wurde auch toleriert, dass der Chefarzt über zwei Jahre mit einer Frau ohne Ehegelöbnis zusammenlebte. Diesen Umstand habe die Klinik nachweislich hingenommen, ohne bereits hier mit arbeitsrechtlichen Schritten zu agieren.
Eine erneute Heirat des Beschäftigen ist eine „sehr private Angelegenheit“ die obendrein vom Grundrecht geschützt ist. Angesichts dieser Tatsachen und den geschilderten Umständen, wiegen die Rechte des Klägers und der zweiten Ehefrau höher, als die der Klinik, urteilte das BAG. Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger nach wie vor zu der Glaubenslehre der katholischen Kirche steht, jedoch wie der Kläger formulierte, „an ihren Anforderungen nur aus einem dem innersten Bezirk seines Privatlebens zuzurechnenden Umstand scheiterte“. Die Kündigung ist damit sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Kündigungsschutzgesetz (KschG).
BAG orientierte sich an der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Mit dem neuerlichen Urteil folgten die Richter einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom September letzten Jahres. Auch hier hatte eine kirchliche Einrichtung einen Chorleiter aufgrund einer außerehelichen Beziehung gekündigt. Der Gerichtshof rügte die Kündigung und sah darin einen Verstoß gegen das Grundrecht auf das eigene Privatleben. Die katholische Kirche hatte dem Musiker gekündigt, weil auch dieser sich von seiner Ehefrau getrennt hatte, um mit einer anderen Frau zusammenzuleben. Das Landesgericht Düsseldorf muss nun auch hier den Fall neu aufrollen. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8 September 2011: Aktenzeichen: BAG 2AZR 543/10 und
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Aktenzeichen: 5 Sa 996/09 (sb)
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