Sind Baumwanzen die Retter in der Antibiotika-Krise?
Baumwanzen produzieren einen bakterientötenden Stoff, der sich als Grundlage für völlig neuartige Antibiotika eignet. Forschende aus der Schweiz entschlüsselten einen bislang unbekannten Mechanismus, mit dem sich die Käfer vor Bakterien schützen. Dieser Mechanismus könnte genutzt werden, um antibiotikaresistente Bakterien abzutöten.
Ein Forschungsteam der Universität Zürich (UHZ) untersuchte den von Baumwanzen produzierten Naturstoff Thanatin, der in der Lage ist, die äußere Membran von bestimmten Bakteriengruppen zu zerstören und die Keime so abtötet. Die Forschenden konnten den zugrundeliegenden Mechanismus erstmalig entschlüsseln. Auf dieser Grundlage könne man neuartige Antibiotika entwickeln, die völlig andersartig wirken und so Resistenzen umgehen. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in dem Fachjournal „Science Advances“ publiziert.
Eine der größten Bedrohungen des 21. Jahrhunderts
Antibiotika-Resistenzen nehmen weltweit extrem zu und stellen eine ständig wachsende Bedrohung dar. Erst kürzlich warnte die Weltgesundheitsorganisation WHO, dass bereits jetzt schon jährlich 700.000 Menschen an Infektionen mit resistenten Bakterien sterben. Diese Infektionskrankheiten waren gut mit Antibiotika heilbar, bevor sich die Resistenzen ausbreiteten. Vor diesem Hintergrund arbeiten Forschende weltweit an neuen Lösungen, um diese Resistenzen zu umgehen.
Neue Antibiotika-Klassen aus Insekten-Produktion
„Trotz intensiver Bemühungen von Wissenschaft und Industrie ist es bisher nicht gelungen, geeignete Angriffsziele für neuartige Antibiotika zu finden“, erläutert John A. Robinson vom Institut für Chemie der UZH in einer Pressemitteilung zu den Studienergebnissen. Dies könnte sich nun ändern: Der Baumwanzen-Stoff Thanatin zerstört den Forschenden zufolge die Außenhülle von gramnegativen Bakterien. Das sind eine Gruppe von Bakterien, die eine dünne, einschichtige Membran besitzen.
Viele Krankheitserreger gehören zu den gramnegativen Bakterien
„Zu dieser Gruppe von Keimen gehören viele gefährliche Krankheitserreger wie Pseudomonas aeruginosa, das lebensbedrohliche Lungeninfektionen verursacht, sowie pathogene Stämme des Darmbakteriums Escherichia coli“, erklärt Robinson. Krankheitserregende Darmbakterien verursachen schwere Infektionskrankheiten mit Durchfall als Leitsymptom wie beispielsweise die EHEC Infektion.
Ohne Schutzschild sind die Bakterien aufgeschmissen
Wie das Forschungsteam berichtet, zerstört das natürliche Antibiotikum Thanatin aus der nordamerikanischen Baumwanze Podisus maculiventris die äußere Zellmembran von gramnegativen Bakterien. Diese Membran wirkt wie ein Schutzschild, der die Zelle vor giftigen Substanzen schützt. Ohne diese Schutzhülle sind die Bakterien hilflos ihrer Umgebung ausgeliefert und sterben ab.
Wie zerstört Thanatin den Bakterien-Schutzschild?
Den Forschenden zufolge besteht die schützende Außenschicht der Bakterien aus einer komplexen Schicht von fettähnlichen und zuckerhaltigen Substanzen. Diese Substanzen werden Lipopolysaccharide genannt. Thanatin unterbreche den Transport der Bausteine, die für den Aufbau der äußeren Membran erforderlich sind, so die Experten. Der betroffene Transportweg bestehe aus einer Struktur von sieben verschiedenen Proteinen, die eine Art Brücke bilden, auf der die Baustoffe zur Zellhülle weitergeführt werden. „Thanatin blockiert die Wechselwirkung zwischen den Brückenproteinen und verhindert so die Ausbildung der Brückenstruktur“, erklärt das UHZ-Forschungsteam.
Völlig neue Art der Bakterienbekämpfung
„Dieser Wirkmechanismus ist bisher beispiellos und öffnet neue Perspektiven für die Entwicklung zukünftiger Antibiotika-Klassen gegen gefährliche Keime“, resümiert Robinson. Dies sei der erste Beweis, dass sich die Hemmung von Wechselwirkungen zwischen Proteinen eignet, um gezielt Bakterien abzutöten.
Der Wirkstoff soll schnell in die nächste Phase gebracht werden
Derzeit sucht das Forschungsteam zusammen mit einem erfahrenen Industriepartner nach geeigneten Kandidaten für eine klinische Studie. „Ein neuartiges Antibiotikum, das auf gramnegative Erreger abzielt, wäre eine wichtige Ergänzung bei der Entwicklung von dringend benötigten antibakteriellen Therapien“, so das Fazit von Robinson. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.