Behindertenverbände fordern mehr barrierefreie Arztpraxen
20.07.2012
Zahlreiche Arztpraxen in Deutschland sind laut Angaben der Behindertenverbände nicht behindertengerecht. Oft würden nur Mindeststandards wie die Einrichtung eines Behindertenparkplatzes eingehalten. Tatsächliche Barrierefreiheit für sämtliche Behinderten gewährleisten jedoch die wenigsten Arztpraxen, so die Kritik Bundeskompetenzzentrums Barrierefreiheit (BKB).
Angesichts der bestehenden Defizite hat das Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit als Zweckverband von 15 Sozial- und Behindertenverbänden die Einrichtung zusätzlicher barrierefreier Arztpraxen gefordert. Dabei sei rollstuhlgerecht keineswegs automatisch mit barrierefrei gleichzusetzen. Hannelore Loskill, Vorstandsmitglied des BKB, kritisierte gegenüber der Nachrichtenagentur „dapd“ die Missstände bei dem behindertengerechten Zugang zu Arztpraxen und plädierte für einen deutschlandweiten Aktionsplan, um die Barrierefreiheit in den Arztpraxen zu verbessern.
150.000 nicht behindertengerechte Arztpraxen
Dabei hat die Expertin des BKB nicht nur die Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer im Blick, sondern auch einen behindertengerechten Zugang für Personen mit anderen Beeinträchtigungen, wie beispielsweise Blinde oder Gehörlose. Die meisten als behindertengerecht deklarierten Kliniken oder Praxen seien zwar für Rollstuhlfahrer angemessen ausgestattet, doch Personen mit Sehbehinderung stehen hier trotzdem vor erheblichen Schwierigkeiten, erläuterte Loskill. Bezogen auf sämtliche Formen der Behinderung finde sich deutschlandweit „keine Region, von der man sagen könnte, es gäbe barrierefreie Arztpraxen“, so die Kritik des BKB-Vorstandsmitglieds. Wie die Behindertenverbände berichten, listet das Ärzteverzeichnis der Stiftung Gesundheit in Deutschland rund 68.000 Ärzte, die ihre Praxen zumindest teilweise für behinderte Patienten ausgelegt haben. Allerdings kritisieren die Experten des BKB, dass zum Teil lediglich die minimalen Anforderungen, wie beispielsweise ein Behindertenparkplatz, eingehalten werden. Umfassende Barrierefreiheit sei oft nicht gewährleistet. Rund 152.000 Praxen sind dem Ärzteverzeichnis der Stiftung Gesundheit zufolge nicht behindertengerecht oder die Ärzte haben hierzu keine Angaben gemacht
Barrierefreiheit für sämtliche Behinderten
Bei der Einrichtung von mehr behindertengerechte Arztpraxen reicht es laut Auskunft des BKB nicht aus, wenn die Praxen ebenerdig oder mit einem Aufzug erreichbar sind, sondern auch für sehbehinderte und gehörlose Menschen müsse die Barrierefreiheit gelten. Beispielsweise hätten Sehbehinderte oft schon Schwierigkeiten, den Aufzug überhaupt zu finden, wenn dieser aus Glas ist. Anschließend werde ihnen in der Regel beim ersten Arztbesuch ein Formular zum Ausfüllen in die Hand gedrückt, dass sie nicht alleine ausfüllen können. Weisen die Betroffenen darauf hin, werden sie oft „nicht sehr freundlich behandelt“, bemängelte Hannelore Loskill.
Barrierefreiheit ein schwammiger Begriff
Nach Ansicht der Behindertenverbände erschwert die unklare Verwendung des Begriffs „Barrierefreiheit“ den Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen unnötig die Auswahl geeigneter Arztpraxen. Denn tatsächlich sage die „alleinige Aussage barrierefrei eigentlich gar nichts“ über den behindertengerechten Zugang einer Arztpraxis, erläuterte Hannelore Loskill. Die Bezeichnung werde dafür zu unterschiedlich interpretiert.Hier wäre nach Ansicht der Expertin eine klare Unterscheidung, auf welche Arten von Behinderungen eine Arztpraxis eingestellt ist, weit hilfreicher. Um sicherzustellen, dass Ärzte, die ihre Praxis als behindertengerecht bezeichnen, sich auch daran halten, müssten die Angaben nach Vorstellung der Behindertenverbände außerdem regelmäßig kontrolliert oder über eine Zertifizierung bestätigt werden.
Probleme mit der Barrierefreiheit in Arztpraxen drohen weiter zuzunehmen
Generell ist die Barrierefreiheit nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels beziehungsweise der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft auch im alltäglichen Leben ein zunehmend wichtiges Thema. Umso bedauerlicher daher, dass in den Arztpraxen die wünschenswerten Standards oftmals nicht erreicht werden. Hier droht sich nach Einschätzung von Hannelore Loskill das Problem in Zukunft noch zu verschärfen, da einerseits mehr Menschen mit altersbedingten körperlichen Einschränkungen in die Praxen kommen und anderseits vermehrt Ärzte in den Ruhestand gehen. Dies könnten gerade die Arztpraxen sein, „die auch jetzt schon im Erdgeschoss barrierefrei angesiedelt sind“, so Loskill. (fp)
Bild: Albrecht E. Arnold / pixelio.de
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