Bundesverfassungsgericht betont kommunale Verkehrssicherungspflicht
Karlsruhe (jur). Behindertenparkplätze dürfen Rollstuhlfahrer nicht zu Fall bringen. Gestalten Kommunen diese nicht rollstuhlgerecht, stelle dies eine unzulässige Benachteiligung behinderter Menschen dar, heißt es in einem am Donnerstag, 21. April 2016, veröffentlichten Beschluss das Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe (Az.: 1 BvR 2012/13). Stürzen Rollstuhlfahrer wegen des Kopfsteinpflasters, kommen wegen fehlerhaften Verkehrssicherungspflichten der Kommune Schadenersatz- und Schmerzensgeldzahlung in Betracht.
Im konkreten Fall ging es um ein verhängnisvolles Parken auf einen Behindertenparkplatz direkt am Rathaus der Kreisstadt Ratzeburg in Schleswig-Holstein. Die Klägerin, eine Rollstuhlfahrerin, war am 6. November 2009 dort beim Umsteigen von ihrem Auto in ihren Rollstuhl gestürzt. Dabei brach sie sich ihren rechten Unterschenkel.
Für den Sturz machte sie die Beschaffenheit des Behindertenparkplatzes verantwortlich. Denn die Kommune habe diesen mit einem historischen Kopfsteinpflaster versehen. Dieses sei für Rollstühle aber nicht geeignet. Beim Umsteigen in ihren Rolli, sei sie wegen der Bodenbeschaffenheit weggerutscht.
Von der Kommune verlangte sie Schmerzensgeld und Schadenersatz in Höhe von 4.957 Euro. Die Kreisstadt sei ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen und habe den Behindertenparkplatz nicht behindertengerecht gestaltet.
Vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht (OLG) hatte sie keinen Erfolg. Die Schleswiger Richter hatten allerdings gar nicht geprüft, ob das Kopfsteinpflaster für Rollstuhlfahrer ungeeignet und daher für den Sturz verantwortlich war. Eine Haftung der Kreisstadt sei bereits ausgeschlossen, weil sich die Rollstuhlfahrerin selbst einer „vermeidbaren Gefahr“ ausgesetzt habe.
Denn sie habe bereits vor ihrem Sturz von dem Kopfsteinpflaster gewusst. Als „Aktivistin“ für Behindertenrechte habe sie bereits im Frühjahr 2009 an einem Aktionstag teilgenommen und dabei auf die fehlende behindertengerechte Gestaltung des Parkplatzes hingewiesen. Da sie von der Gefährlichkeit des Parkplatzes gewusst habe, habe sie auf einen anderen Parkplatz ausweichen müssen. Denn sie sei verpflichtet, eine Eigengefährdung zu vermeiden. Gleiches gelte auch für nicht behinderte Menschen, die sich bei Eis und Schneeglätte auf ungesicherten Parkplätzen bewegen, argumentierte das OLG Schleswig.
Das Bundesverfassungsgericht hielt in seinem Beschluss vom 24. März 2016 die Verfassungsbeschwerde der Rollstuhlfahrerin aber für „offensichtlich begründet“. Nach dem Grundgesetz dürften Behinderte nur dann schlechtergestellt werden, wenn es dafür „zwingende Gründe“ gebe. Eine verbotene Benachteiligung behinderter Menschen könne jedoch vorliegen, wenn sie von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden.
Hier habe die Beschwerdeführerin einen Parkplatz in Ratzeburg genutzt, „der gerade für Menschen mit Behinderung vorgesehen“ war. Eine nicht rollstuhlgerechte Ausgestaltung eines Behindertenparkplatzes stelle aber eine Benachteiligung dar. Denn der Staat habe einen Förderungsauftrag, die gleichberechtigte Teilhabe Behinderter am Alltagsleben zu ermöglichen. Behinderungsbedingte Nachteile müsse sie daher beseitigen.
Ob im konkreten Fall das Kopfsteinpflaster tatsächlich nicht rollstuhlgerecht und Ursache für einen Sturz war, müsse daher das OLG noch einmal prüfen, so das Bundesverfassungsgericht. Sollte die Kommune den Behindertenparkplatz nicht behindertengerecht ausgebaut haben, könne eine Schadenersatz- und Schmerzensgeldpflicht bestehen. Ein etwaiges Mitverschulden der Rollstuhlfahrerin könne dabei nicht ein solches Gewicht aufweisen, dass sie vollständig von Schadenersatzansprüchen ausgeschlossen sei. (fle/mwo)
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