Missempfindungen sollten immer ernst genommen und ärztlich begutachtet werden
Wer Schmerzen verspürt, sollte diese unbedingt ernst nehmen. Denn durch das wichtige Warnsignal des Körpers wird uns deutlich gezeigt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wer hingegen „die Zähne zusammen beißt“ und die Beschwerden tapfer aushält, läuft Gefahr, dass der Zustand dauerhaft anhält. Daher raten Ärzte immer wieder zu einem zeitnahen Besuch beim Arzt, um bei Bedarf sofort mit der Behandlung beginnen zu können. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur „dpa“ geben Gesundheitsexperten wichtige Informationen zum Thema „Schmerz“ und dem richtigen Umgang damit.
Vom Alarmsignal zur eigenständigen Erkrankung
Ob leichte Oberbauchschmerzen, ein unangenehmes Ziehen in der Schulter oder ein unerträgliches Stechen im Bereich der Leiste: Schmerzen stellen ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis dar, welches in den unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen auftreten kann. Tritt der Schmerz akut auf, handelt es sich eigentlich um eine lebensnotwendige Funktion, indem der Körper uns anzeigt, dass etwas nicht stimmt und damit schwere Schädigungen verhindert. Doch die Beschwerden können auch bestehen bleiben, obwohl die Ursache schon längst behoben ist. In diesem Fall fungiert der Schmerz nicht mehr als Warnsignal, stattdessen wird er zu einem dauerhaften Zustand, der für die Patienten das Leben oft zur Hölle macht.
23 Millionen Menschen leiden unter chronischen Schmerzen
„Von chronischen Schmerzen sprechen wir immer dann, wenn sie länger andauern, als es der Heilungsprozess erwarten ließe”, erklärt Gerhard Müller-Schwefe, Leiter des Schmerz- und Palliativzentrums Göppingen und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin gegenüber der „dpa“. Betroffen seien davon laut einer aktuellen Studie allein hierzulande insgesamt 23 Millionen Menschen (28 % der Teilnehmer), wobei 95 % der Fälle nicht durch Tumorerkrankungen bedingt sind, so die Mitteilung der Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.
19,5 Prozent der Studienteilnehmer hatten dabei chronische, aber nicht beeinträchtigende Schmerzen. 7,4 Prozent erfüllten hingegen die Kriterien eines dauerhaften, nicht tumorbedingten, beeinträchtigenden Schmerzes. Insgesamt 2,2 % der Teilnehmer erleben die Beschwerden demnach sogar in besonders heftiger Form einer so genannten „Schmerzkrankheit“, welche mit starken körperlichen und psychischen Einschränkungen einhergeht.
Wiederholte Schmerzerfahrung verändert Weiterleitung der Signale
Wodurch der Schmerz in diesen Fällen zu einer eigenständigen Krankheit wird, können Mediziner mittlerweile gut nachvollziehen. „Das Nervensystem ist extrem lernfähig”, so Müller-Schwefe. „Durch wiederholte Schmerzerfahrung verändern sich die Steuerprozesse bei der Weiterleitung der Signale: Nerven reagieren auch schon auf geringe Reize oder produzieren die Schmerzinformation sogar selbst.” Die Folge könne eine erhöhe Berührungsempfindlichkeit sein, ebenso sei es möglich dass Schmerzen ohne erkennbare Ursache auftreten. Ebenso seien psychische Belastungen ein möglicher Auslöser: „Sie führen dazu, dass die Filterfunktionen der körpereigenen Schmerzkontrolle nicht mehr funktionieren und Schmerzreize unkontrolliert durchgeschaltet werden”, erläutert Gerhard Müller-Schwefe weiter.
30 Jahre täglicher Schmerz nach Fahrradunfall
Die Entwicklung vom akuten Schmerz hin zur chronischen Schmerzkrankheit kann dabei jeden betreffen und geht zum Teil schneller, als man erwarten würde. Dies zeigt das Beispiel der Neumünsteranerin Heike Norda, die bei einem Fahrradunfall eine Knieverletzung erlitt. Mehrere Operationen wurden notwendig, wobei es im Zuge eines Eingriffs schließlich zu einer Nervenschädigung kam. Seit dem habe sie in den vergangenen 30 Jahren täglich Schmerzen, berichtet Norda der „dpa“. Die Gründerin und Leiterin der Selbsthilfegruppe Chronischer Schmerz und Vorsitzende des Vereins SchmerzLOS begab sich auf eine wahre „Ärzte-Odyssee“ und besuchte unterschiedlichste Fachleute, um eine konkrete Ursache und damit eine mögliche Behandlung ihrer Beschwerden zu erfahren.
„Aber es gab nichts, was man mit bildgebenden Verfahren hätte darstellen können”, beschreibt Norda ihre frustrierende Suche nach einer Erklärung. Stattdessen blieben der Lehrerin im Alltag nur starke Schmerzmittel, die jedoch aufgrund der Nebenwirkungen auch sehr belastend sein können. Schließlich ging Heike Norda in eine Schmerzklinik, wo sie lernte, ihre Erkrankung zu akzeptieren und die Beschwerden zu kontrollieren.
Enge Zusammenarbeit von Schmerzmedizinern, Krankengymnasten und Psychotherapeuten
„Ziel der Behandlung ist es nicht, den Schmerz zu beseitigen – das wird bei chronischen Schmerzen nicht mehr gelingen”, erklärt Winfried Meißner, Leiter der Sektion Schmerztherapie am Universitätsklinikum Jena weiter. Stattdessen würde den Patienten im Rahmen einer sogenannten „multimodalen Schmerztherapie“ ein entsprechender Umgang mit ihrer Krankheit gelehrt. Es werde gezeigt, „[…] welche Aktivitäten sie in Gang setzen müssen, damit sie sich besser fühlen und auch wieder leistungsfähiger werden”. Die Arbeit von Schmerzmedizinern, Krankengymnasten und Psychotherapeuten sei dabei eng verknüpft, denn “es gibt Patienten, bei denen Spritzen, Medikamente oder Physiotherapie nicht genügen”, so Meißner. Vielmehr sei mittlerweile bekannt, dass auch psychische und soziale Faktoren bei der Entstehung von chronischen Schmerzen eine Rolle spielen.
Laut Gerhard Müller-Schwefe sei es besonders wichtig, akute Schmerzen so schnell wie möglich behandeln zu lassen, denn „nur so lassen sich die Lernprozesse im Gehirn verhindern, die zu chronischem Schmerz führen können.” Doch beim Thema „Schmerzen“ würden Betroffene im Alltag oft auf Hindernisse stoßen, denn Außenstehende könnten ja nicht erkennen, „wann und warum es einem schlecht geht”, ergänzt Heike Norda. Daher müsse man als Schmerzpatient viel kommunizieren und einen Weg finden, mit der Krankheit umzugehen. (nr)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.