Panikreaktionen führen bei Vergiftungen oft zu fatalen Fehlentscheidungen
Kleine Kinder unterliegen grundsätzliche einem erhöhten Vergiftungsrisiko, da sie viele Sachen in den Mund nehmen und dabei zwischen Essen und Giftstoffen nicht unterscheiden können. Im Ernstfall gelte es, zunächst die Ruhe zu bewahren und nicht in Panik zu geraten, betont Dr. Maren Hermanns-Clausen, Leiterin der Vergiftungs-Informations-Zentrale am Universitätsklinikum Freiburg. Durch vorschnelles Handeln, wie beispielsweise das Auslösen von Erbrechen beim Kind, könne das Problem noch verstärkt werden.
Das Universitätsklinikum Freiburg berichtet beispielhaft von dem Fall eines kleinen Mädchens, dass verlockenden aussehende rote Beeren verschluckt hatte. Umgehend habe die Mutter versucht, durch die Reizung mit ihrem Finger einen Brechreiz auszulösen. Hierbei verletzte sie jedoch den Rachen des Kindes, so dass es zu einer Blutung kam und außerdem „wurde der Vagus-Nerv hinter der Gaumenwand durch diese mechanische Stimulation derart gereizt, dass das Kind kurz bewusstlos wurde“, so die Mitteilung des Universitätsklinikums. „Der Fall zeigt, dass ein übereiltes oder falsches Handeln gefährlicher sein kann als die eigentliche Vergiftung“, betont Dr. Maren Hermanns-Clausen.
25.000 Anfragen pro Jahr bei der Vergiftungs-Informations-Zentrale
Die Beeren, die das Mädchen verschluckt hatte, waren laut Angaben der Medizinerin völlig harmlos und nach einer kurzen Behandlung im Krankenhaus konnte sie wieder nach Hause gehen. Den größten Schaden hatte das Eingreifen der Mutter angerichtet, auch wenn sie aus reiner Sorge um ihr Kind gehandelt hat. „Das wichtigste bei einer Vergiftung ist, wie in allen Notfällen, die Ruhe zu bewahren“, mahnt daher Dr. Hermanns-Clausen. Ein Anruf in der Vergiftungs-Informations-Zentrale kann bei der Abschätzung des Risiko helfen, aber im Ernstfall empfiehlt es sich, direkt den Notruf anzuwählen. Allein bei der Vergiftungs-Informations-Zentrale Freiburg gingen laut Mitteilung des Universitätsklinikums im vergangenen Jahr über 25.000 telefonische Vergiftungs-Anfragen ein.
Tipps zum Umgang mit Vergiftungen
Wenn Kinder eine giftige Substanz oder Pflanzen verschlucken, geraten die Eltern oft in Panik und reagieren falsch, so der Hinweise von Dr. Maren Hermanns-Clausen. Die Expertin erklärt, welche Punkte zu beachten sind. So sollte nach dem Verschlucken einer giftigen Substanz beispielsweise maximal ein Glas Wasser ohne Kohlensäure, verdünnter Saft oder Tee getrunken werden, betont Dr. Hermanns-Clausen. Die Vorstellung, das Gift müsse möglichst schnell durch Erbrechen wieder aus dem Körper befördert werden, sei falsch. Laut Dr. Hermanns-Clausen „sollte auf keinen Fall Erbrechen ausgelöst werden, denn ätzende Substanzen können die Speiseröhre dann erneut schädigen.“ Außerdem erhöhe sich das Risiko, dass die Giftstoffe in die Atemwege gelangen und dort die Lunge schädigen.
Hausmittel gegen Vergiftungen eher kritisch
Auch andere vermeintlichen Hausmittel gegen Vergiftungen bewertet Dr. Hermanns-Clausen äußerst kritisch. Es sollte beispielsweise kein Kochsalz eingenommen werden, da dadurch selbst eine Vergiftung ausgelöst werden kann, warnt die Freiburger Expertin. Auch das Trinken von Milch helfe mehr dem Gift als dem eigenen Körper. „Durch den Fettgehalt der Milch wird unter Umständen die Aufnahme noch verstärkt“; so der Hinweis in der Mitteilung des Universitätsklinikums Freiburg.
Meist Kleinkinder von Vergiftungen betroffen
Die Mehrheit der Anrufe, die bei der Vergiftungs-Informations-Zentrale Freiburg eingehen, bezieht sich auf Vergiftungsfälle von Kindern bis zum fünften Lebensjahr. „Am häufigsten werden von Kindern aus Neugier Reiniger geschluckt, insbesondere Maschinen- und Handgeschirrspülmittel“, berichtet Dr. Hermanns-Clausen. Häufig würden zudem Medikamente zu Vergiftungen führen, aber auch Pflanzen jeder Art seien möglich Auslöser. Die Pflanzen ziehen vor allem kleine Kinder magisch an, betont die Expertin. Dabei würden die Kinder vor allem Pflanzen mit bunten Beeren wie Kirschlorbeer, Eibe, Liguster oder Physalis bevorzugen. Bei den Zimmerpflanzen führe der Ficus benjamina die Liste der am häufigsten verschluckten Pflanzen an. Über 80 Prozent der Vergiftungsfälle mit Pflanzen im Kindesalter seien bei den Ein- bis Vierjährigen festzustellen.
Vergiftungen bei Erwachsenen
Zwar bilden Kinder den größten Anteil bei den Vergiftungsfällen, doch auch bei Erwachsenen sind Vergiftungen mit Pflanzen durchaus keine Seltenheit. Ursache sind hier meist Verwechslungen. So ist beispielsweise das Sammeln von wildem Bärlauch im Frühling durchaus beliebt. Anschließend werden aus diesem schmackhafte Salate oder Gewürzmittel zubereitet. „Das Problem ist, dass die Bärlauchblätter mit Blättern der Herbstzeitlose und mit Blättern des Maiglöckchens verwechselt werden können und diese äußerst giftig sind“, warnt Dr. Hermanns-Clausen. Unwissende Sammler können sich daher leicht eine Vergiftung zuziehen. Ähnlich ist die Situation beispielsweise beim Pilzsammeln, da sich auch hier giftig und ungiftige Arten mitunter stark ähneln. (fp)
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