Berufsstand der Hebammen ist bedroht: Freiberufliche Hebammen geben massenweise ihr Tätigkeit auf
29.03.2011
Immer weniger freiberufliche Hebammen bieten Geburtshilfe an und der Berufsstand scheint insgesamt gefährdet, warnt der Hebammenverband Mittelfranken in einer aktuellen Presseerklärung. Werdende Mütter könnten künftig bei Fortsetzung des bestehenden Trends nur noch in Kliniken entbinden.
Der Deutsche Hebammenverband (DHV) hatte bereits im vergangenen Jahr auf die Probleme der Hebammen hingewiesen und mit einer Online-Petition für den Erhalt der wohnortnahen Versorgung mit Hebammenhilfe plädiert. Insbesondere die enorm gestiegenen Versicherungsgebühren machen den freiberuflichen Hebammen deutschlandweit zu schaffen, warnte der DHV. Am extremsten sind dabei die Haftpflichtversicherungsbeiträge in den vergangenen 20 Jahren von umgerechnet unter 180 Euro auf heute 3.689 Euro jährlich gestiegen. Viel Hebammen geben die Geburtshilfe und die freiberufliche Tätigkeit daher komplett auf, erklärte die Vorsitzende des Hebammenverbandes Mittelfranken, Steffi Kuntze.
Viele Hebammen geben Beruf wegen finanzieller Probleme auf
Unabhängig davon wie viel eine Hebamme tatsächlich arbeitet, wird eine Haftpflichtversicherungsprämie von 3.689 Euro pro Jahr fällig, was mit einem Nettostundenlohn von nur 7,50 Euro selbst bei Vollzeitbeschäftigung nur schwer zu finanzieren ist, erklärte die Vorsitzende des Hebammenverbandes Mittelfranken. Unter diesen Voraussetzungen seien immer weniger Hebammen dazu bereit ihren Beruf auszuüben, betonte Steffi Kuntze. Die erste Vorsitzende des Bayerischen Hebammen-Landesverbandes (BHLV), Astrid Giesen, beurteilt die Situation ähnlich und betonte, dass bei dem Stundensatz von 30 Euro Brutto, den die Krankenkassen für die Geburtsvorsorge zahlen, der Berufsstand insgesamt bedroht sei. „Ein Handwerker würde für unter 40 Euro gar nicht anfangen“, erklärte Astrid Giesen. Außerdem werde die Geburtshilfe nicht stundenweise, sondern mit einer Fallpauschalen bezahlt, was nach Aussage der Vorsitzenden des Bayerischen Hebammen-Landesverbandes weitere Probleme mit sich bringt. So gäbe es für eine Hausgeburt rund 550 Euro, wovon netto etwa 220 Euro übrigbleiben (als Beleghebamme in einer Klinik 180 Euro), erläuterte die BHLV-Vorsitzende. Dabei werde jedoch nicht berücksichtigt, ob die Geburt sechs oder 36 Stunden dauert, kritisierte Astrid Giesen. Außerdem werden auch die Wochenbettbesuche pauschal vergütet, unabhängig davon, wie viel Zeit sich die Hebamme für die Betreuung der jungen Familie nimmt. Auch müsse die Hebamme im Zeitraum des errechneten Geburtstermins (drei Wochen vor bis zwei Wochen nach) rund um die Uhr verfügbar seien und trage eine enormen Verantwortung, betonte Giesen.
Belastungen der Hebammen stehen in keinem Verhältnis zum Verdienst
Die finanzielle Situation als freiberufliche Hebamme gestaltet sich derart schwierig, dass immer mehr ihren verantwortungsvollen und anstrengenden Beruf aufgeben, oder zumindest keine Geburtshilfe mehr anbieten. So haben nach Angaben des BHLV im vergangenen Jahr rund zehn Prozent der freiberuflichen Hebammen in Bayern ihre Tätigkeit eingestellt. Hausgeburten oder Entbindungen im Geburtshaus könnten damit in Zukunft unmöglich werden, da nicht mehr genügend Hebammen für die Betreuung zur Verfügung stehen, erklärte die Vorsitzende des Hebammenverbandes Mittelfranken. Häufig leisten die Hebammen schon heute lediglich die Schwangerschaftsvorsorge und Nachbetreuung, sind bei der eigentlichen Geburt im Krankenhaus jedoch nicht dabei. Allerdings spielt nach Aussage des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) bei der Geburt das Vertrauensverhältnis zwischen Hebamme und werdender Mutter eigentlich eine besonders große Rolle. Insgesamt steht nach Aussage des DHV die Belastung allerdings in keinem Verhältnis zum Verdienst der Hebammen, so dass die Aufgabe des Berufes in den meisten Fällen gut nachzuvollziehen sei.
Deutscher Hebammenverband reichte Online-Petition ein
Daher hatte der Deutschen Hebammenverband im vergangenen Jahr eine Online-Petition zum Erhalt der wohnortnahen Versorgung mit Hebammenhilfe eingereicht, der sich 186.356 Unterzeichner anschlossen, womit die Forderung des DHV die meisten Unterstützer aller bisher eingereichten Petitionen erhielt. Bei der anschließenden Anhörung mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) versprach dieser einen runden Tisch mit Vertretern der Krankenkassen und des Hebammenverbandes einzuberufen. Doch getan hat sich seither nichts und die finanziellen Probleme zahlreicher Hebammen spitzen sich immer weiter zu. Das Ergebnis ist ein drohender Mangel an freiberuflichen Hebammen. Die BHLV-Vorsitzende Astrid Giesen bezweifelte dabei, dass die Hebammen, die ihren Beruf nun aufgegeben haben, bei einer Änderung der Vergütungs- und Versicherungsregelungen ihre Tätigkeit wieder aufnehmen werden. „Ich glaube nicht, dass wir die Frauen ins Boot zurückholen können, die einmal weg sind“, betonte Giesen.
Hausgeburten oder Entbindungen im Geburtshaus künftig ausgeschlossen?
Angesichts der massiven Unterstützung der Online-Petition haben sich auch die politischen Parteien verstärkt dem Thema angenommen, wobei insbesondere die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen sich intensiv für die Belange der Hebammen einsetzt. Die Grünen Nürnberger Stadträtin Elke Leo betonte: „Die Regelungen für die Hebammenleistung sind immer noch in der Reichsversicherungsordnung von 1911 festgelegt“ und bisher von Aktualisierungen ausgenommen. Deswegen sei eine Überführung ins Sozialgesetzbuch dringend erforderlich. „Dieser Beruf wird unter den jetzigen Voraussetzungen trockengelegt“, warnte auch der Nürnberger Referent für Umwelt und Gesundheit, Peter Pluschke. Steffi Kuntze, die Vorsitzende des mittelfränkischen Hebammenverbandes kritisierte indes, dass trotz der Ankündigungen aus der Politik bisher wenig passiert sei. Während die Politiker über mögliche Lösungen diskutieren, geben immer mehr Hebammen ihren Beruf auf und diese werden auch nach Einschätzung der Vorsitzende des mittelfränkischen Hebammenverbands ihre Tätigkeit wahrscheinlich später nicht wieder aufnehmen. Sollten nicht umgehend Maßnahmen ergriffen werden, wird nach Einschätzung der Expertin in Zukunft die von vielen Frauen bevorzugte Entbindung im Geburtshaus oder zu Hause wahrscheinlich nicht mehr möglich sein. (fp)
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Bild: Hartmut910 / pixelio.de
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