Studie: Mehr als jedes zweite Krankenhaus in Deutschland sollte schließen
Laut einer neuen Studie könnten Patienten in Deutschland besser versorgt werden, wenn mehr als jedes zweite Krankenhaus schließt. Laut den Autoren könnten die Kliniken dann besser für lebensbedrohliche Notfälle ausgestattet werden.
Immer weniger Krankenhäuser in Deutschland
Schon vor Jahren wurde berichtet, dass immer mehr Kliniken von Insolvenz bedroht sind beziehungsweise schließen mussten. Das führte dazu, dass immer mehr Patienten in immer weniger Krankenhäusern behandelt werden. Und diese Entwicklung wird sich womöglich fortsetzen – laut einer neuen Studie hätte dies aber Vorteile für die Patienten. Denn die medizinische Versorgung würde sich durch die Schließung von Krankenhäusern verbessern.
Zahl der Kliniken halbieren
Laut einer Untersuchung, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurde, gibt es in Deutschland zu viele Krankenhäuser.
Eine starke Verringerung der Klinikanzahl würde demnach die Versorgungsqualität für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern.
„In unserer neuen Studie weisen führende Krankenhausexperten darauf hin, dass viele Krankenhäuser in der Bundesrepublik Deutschland zu klein sind und oftmals nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung verfügen, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall angemessen zu behandeln“, heißt es dazu in einer Mitteilung.
Den Experten zufolge ließen sich viele Komplikationen und Todesfälle durch eine Konzentration auf deutlich unter 600 statt heute knapp 1.400 Kliniken vermeiden.
„Ebenso gingen damit eine bessere Ausstattung, eine höhere Spezialisierung sowie eine bessere Betreuung durch Fachärzte und Pflegekräfte einher“, schreibt die Stiftung.
Verbesserte Patientensicherheit
Um zu diesen Ergebnissen zu gelangen, ist das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) der Frage nachgegangen, wie eine Versorgung durch Kliniken aussähe, die sich nicht in erster Linie an einer schnellen Erreichbarkeit, sondern an Qualitätskriterien orientiert.
Dazu gehören zum Beispiel eine gesicherte Notfallversorgung, eine Facharztbereitschaft rund um die Uhr, ausreichend Erfahrung und Routine des medizinischen Personals sowie eine angemessene technische Ausstattung.
„Die Neuordnung der Krankenhauslandschaft ist eine Frage der Patientensicherheit und muss vor allem das Ziel verfolgen, die Versorgungsqualität zu verbessern“, sagte Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Eine primäre Orientierung an Fahrzeiten ginge dagegen in die falsche Richtung, meinen die Autoren.
„Wenn ein Schlaganfallpatient die nächstgelegene Klinik nach 30 Minuten erreicht, dort aber keinen entsprechend qualifizierten Arzt und nicht die medizinisch notwendige Fachabteilung vorfindet, wäre er sicher lieber ein paar Minuten länger zu einer gut ausgestatteten Klinik gefahren worden“, so Mohn.
Bündelung von medizinischem Personal und Gerät
Den Angaben zufolge haben die führenden deutschen Krankenhausexperten für die Studie in einem ersten Schritt ein Zielbild für Deutschland entwickelt, das sich an den benannten Qualitätskriterien orientiert.
Im Anschluss berechnete das IGES in einer Simulation, wie sich eine verpflichtende Einhaltung dieser Vorgaben auf die Kliniklandschaft einer ganzen Region auswirken würde.
Die Wahl fiel dabei auf den Großraum Köln/Leverkusen, der sowohl von städtischen als auch ländlichen Gebieten geprägt ist.
Wie es in der Mitteilung heißt, zeigte die Simulation, dass die Region mit 14 statt den aktuell 38 Akutkrankenhäusern eine bessere Versorgung bieten könnte, ohne dass die Patienten im Durchschnitt viel längere Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten.
Die Bündelung von medizinischem Personal und Gerät würde demnach zu einer höheren Versorgungsqualität in den verbleibenden Häusern beitragen, vor allem in der Notfallversorgung und bei planbaren Operationen.
Den Angaben zufolge verfügen nur diese Kliniken in der Region überhaupt über die technische Ausstattung, um Herzinfarktpatienten angemessen zu behandeln.
„Das Ergebnis, dass in der betrachteten Region eine Reduzierung auf weniger als die Hälfte der Kliniken zu einer Verbesserung der Versorgung führen würde, klingt zunächst drastisch“, so der internationale Krankenhausexperte Uwe Preusker.
Doch an vielen Stellen lägen der Berechnung eher zurückhaltende Annahmen zugrunde, so zum Beispiel bei der medizinisch erforderlichen Leistungsmenge oder der Verweildauer im Krankenhaus.
„Beide liegen in vergleichbaren Ländern deutlich niedriger“, sagte Preusker. Wenn man sich am internationalen Standard orientieren würde, müsste man laut dem Experten einen deutlich konsequenteren Umstrukturierungsprozess einleiten.
Viele Patienten müssten nicht stationär versorgt werden
Laut der Bertelsmann Stiftung zeigt der Blick ins Ausland tatsächlich, dass es Potenzial für eine Verringerung der Klinikanzahl gibt.
„Deutschland weist im internationalen Vergleich im Durchschnitt mehr medizinisches Personal pro Einwohner auf als vergleichbare Länder, aber weniger pro Patient“, heißt es in der Mitteilung.
Und weiter: „Diese paradoxe Situation liegt daran, dass in der Bundesrepublik viel mehr Patienten in Krankenhäusern versorgt werden als im Ausland. Wie Untersuchungen ergaben, müssten rund ein Viertel der heute in deutschen Kliniken behandelten Fälle nicht stationär versorgt werden.“
Die konkrete Ausgestaltung der umliegenden ambulanten Strukturen sei zwar noch offen, trotzdem belegten die Erkenntnisse der Studie, dass es zur Konzentration im Kliniksektor keine Alternative gibt.
Zum einen könne eine Qualitätssteigerung nur gelingen, wenn sowohl die Patienten als auch die medizinischen und pflegerischen Fachkräfte in größeren, spezialisierten Krankenhäusern mit mehr Fällen zusammengeführt werden.
Auf der anderen Seite werde gut ausgebildetes Personal auch in Zukunft knapp sein. Nur durch die Bündelung könnten Kliniken der Regelversorgung in allen zentralen Abteilungen jederzeit die entsprechende fachärztliche und pflegerische Kompetenz vorhalten. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Bertelsmann Stiftung: Eine bessere Versorgung ist nur mit halb so vielen Kliniken möglich, (Abruf: 15.07.2019), Bertelsmann Stiftung
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.