Gegen mehr als 600 Frauenärzte wird deutschlandweit wegen Betrugsverdacht ermittelt. Angeblich haben die Gynäkologen ihre Patientinnen im großen Stil mit hierzulande nicht zugelassenen Verhütungsspritzen versorgt und dabei Millionen umgesetzt.
05.11.2012
Bereits im Juli wurde über Razzien bei mehreren Frauenärzte berichtet, die ihren Patientinnen angeblich nicht zugelassene Verhütungsspritzen mit dem Wirkstoff „Depocon“ verkauft hatten. Mittlerweile ermitteln die Strafverfolger laut Angaben des Zollkriminalamts (ZKA) gegenüber dem Nachrichtenmagazin „FOCUS“ gegen 611 Gynäkologen im gesamten Bundesgebiet. Die Frauenärzte werden des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz beschuldigt. Sie hätten sich am illegalen Handel mit dem hierzulande nicht zugelassenen Verhütungsmittel bereichert. Zudem hätte das Präparat auch bei einer Zulassung in Deutschland nur über die Apotheken abgegeben werden dürfen. Die Frauenärzte haben sich den Ermittlungsbehörden zufolge in mehrfacher Hinsicht gesetzeswidrig verhalten.
Verhütungsspritzen lohnendes Geschäft für Frauenärzte
Die Verhütungsspritzen „Depocon“ sind in Österreich als Arzneimittel zugelassen und konnten von den Gynäkologen problemlos bei der Firma Sigma über das Internet bestellt werden. So orderten Praxen und Ärztegenossenschaften online die Schwangerschaftsverhütungsspritzen, welche anschließend per Paketboten nach Deutschland geliefert und hier den Patientinnen verabreicht wurden. Für die Frauenärzte offenbar ein lohnendes Geschäft. Der Sprecher des Zollkriminalamts erklärte gegenüber dem „FOCUS“, dass die Gynäkologen „mit der Masche mindestens sechs Millionen Euro umgesetzt“ haben – „Tendenz steigend.“ Das in Österreich bezogene Präparat sei günstiger als ein vergleichbares Verhütungsmittel in Deutschland, so der ZKA-Sprecher weiter. Die Oberstaatsanwaltschaft Wuppertal hatte nach den ersten Praxis-Durchsuchungen im Sommer bereits mitgeteilt, dass der gesamte Bestellwert wahrscheinlich einigen Millionen Euro umfasse.
Frauenärzten drohen Geld- und Freiheitsstrafen
Beziehen Patientinnen das Medikament bei dem österreichischen Hersteller, ist dies rechtlich kein Problem. Auch die Verabreichung des eigenständig erworbenen Medikamentes durch einen deutschen Frauenarzt, wäre nach Auffassung der Oberstaatsanwaltschaft rechtlich in Ordnung. Allerdings hatten die beschuldigten Frauenärzte das Verhütungsmittel selber bezogen und anschließend den Patientinnen injiziert. Damit handelten sie entgegen den gesetzlichen Vorgaben des Arzneimittelgesetzes , was mit Geldstrafen oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr sanktioniert werden kann. Erste Beleg für die Verstöße der Frauenärzte sammelte die Staatsanwaltschaft mit Unterstützung der Zollfahnder bereits im Juli. Sechzehn Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen wurden durchsucht. Daraus ergaben sich offenbar zahlreiche weitere Ermittlungsansätze, so dass mittlerweile mehr als 600 Gynäkologen des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz beschuldigt werden.
Kein erhöhtes Gesundheitsrisiko für Patientinnen
Ein Gesundheitsrisiko für die Betroffenen Patientinnen hat sich aus der illegalen Verabreichung der Verhütungsspritzen jedoch nicht ergeben. Oberstaatsanwalt Wolf-Tilman Baumert von der Staatsanwaltschaft Wuppertal erklärte bereits im Juli, es bestünden „keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die betroffenen Frauen in irgendeiner Form gesundheitliche Schäden davon tragen.“ Die Drei-Monats-Spritze mit dem Wirkstoff „ Depocon“ kann zwar Nebenwirkungen haben, doch diese sind auch bei anderen vergleichbaren, in Deutschland zugelassenen Präparaten zu erwarten. So verursacht die Verhütungsspritze mit dem enthaltenen hochdosierten Gestagen zum Beispiel häufiger unregelmäßige oder ungewöhnlich starke Blutungen. Allerdings müssen sich die Patientinnen nur einmal alle drei Monate eine entsprechend Spritze verabreichen lassen, während die Anti-Baby-Pille täglich einzunehmen ist. Die hormonhaltige Injektion wird den Patientinnen normalerweise in den ersten fünften Tag ihres Zyklus von ihrem Frauenarzt gespritzt. (fp)
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