BGH: Arzt im Entschädigungsstreit aber dennoch nicht wehrlos
Karlsruhe (jur). Ärzte, die die nach Lage der Dinge gebotenen Untersuchungen nicht veranlassen, begehen einen schweren „Befunderhebungsfehler“. Im Fall einer Klage führt dieser zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Freitag, 8. April 2016, veröffentlichten Urteil betont (Az.: VI ZR 146/14). Danach müssen die Gerichte aber dennoch auch anderen möglichen Ursachen der Gesundheitsschäden nachgehen.
Der Kläger leidet an schwersten Gesundheitsschäden, die er auf eine Sauerstoffunterversorgung während seiner Geburt zurückführt. Dem Frauenarzt seiner Mutter wirft er vor, er habe ein sogenanntes HELLP-Syndrom nicht erkannt. Dies ist eine mit einer Funktionsstörung der Leber verbundene starke Veränderung des Blutbildes, wobei die Buchstaben HELLP für die veränderten Blut-Parameter stehen.
Konkret hatte die Mutter zum Ende ihrer Schwangerschaft einen erhöhten Blutdruck, massives Nasenbluten und eine erhöhte Eiweißausscheidung im Urin. Der Frauenarzt diagnostizierte lediglich eine „leichte Blutdruckerhöhung“, ohne weitere Untersuchungen zu veranlassen.
Hierzu stellte nun der BGH klar, dass es sich hier nicht um einen Diagnoseirrtum, sondern um einen „Befunderhebungsfehler“ handelt. Denn Grund der Fehldiagnose sei, „dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat“. Dies könne zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten führen, wenn das ärztliche Versäumnis „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit“ Ursache späterer Gesundheitsschäden ist.
Eine solche Beweislastumkehr gilt bei „groben Behandlungsfehlern“. Dann muss der Arzt nachweisen, dass sein Fehler nicht die Ursache für spätere Gesundheitsschäden war. Wenn ihm dies nicht gelingt, wird zugunsten des Patienten die Ursächlichkeit des Fehlers angenommen.
Hier habe der Frauenarzt es nicht bei der Diagnose eines erhöhten Blutdrucks belassen dürfen, sondern habe weitere Untersuchungen veranlassen müssen, betonte der BGH. Dies führe zur Beweislastumkehr.
Dennoch müssten auch die Gerichte die notwendigen „Befunde“ erheben. Hier habe der Sachverständige zwar erklärt, dass die heutigen Gesundheitsschäden des Klägers durch eine frühere Entbindung vermutlich hätten vermieden werden können. Als Ursache der Gesundheitsschäden komme nach dem Gutachten aber auch eine spätere Hirnschädigung infolge einer Infektion in Betracht.
Obwohl sich der Frauenarzt hierauf gestützt und auch hierzu ein Gutachten verlangt habe, sei in der Vorinstanz das Oberlandesgericht (OLG) München dem nicht weiter nachgegangen. Dies soll das OLG nun noch nachholen. Denn die Beweislastumkehr nehme dem Arzt nicht die Möglichkeit, „den Beweis des Gegenteils zu führen“, heißt es in dem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil vom 26. Januar 2016. (mwo/fle)
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