Karlsruhe (jur). Ärzte müssen sich bei ihren Behandlungen an den „medizinischen Standard“ halten. Ein Behandlungsfehler liegt daher nicht erst dann vor, wenn eine unterbliebene Untersuchung oder Behandlung „zwingend geboten“ war, heißt es in einem am Dienstag, 9. Februar 2016, veröffentlichten Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe (Az.: VI ZR 67/15).
Danach hat eine Frau aus Niedersachsen Aussicht auf eine Entschädigung wegen des Todes ihres Ehemannes. Nach einem Hinterwandinfarkt am Herz hatte der Mann 1995 einen Bypass bekommen. 2003 wurde eine „mäßiggradige“ Insuffizienz zweier Herzklappen diagnostiziert, der Mann litt aber auch an verschiedenen anderen Krankheiten, etwa Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, einer chronischen Bronchitis und einem Leberschaden.
2007 suchte der Mann wegen verschiedener Beschwerden mehrfach seine Ärzte auf. Zweimal wurde Wasser aus seiner Lunge abgesaugt. Wegen des Verdachts auf Darmverschluss wies der niedergelassene Arzt den Mann am 14. März 2008 in ein Krankenhaus. Dort wurde er zunächst wegen Entzündungen mit Antibiotika behandelt, Anfang April 2008 wurde dann sein Herz untersucht. Es stellte sich heraus, dass die Zugänge zu seinem Bypass verstopft waren, so dass hier eine erneute Operation erforderlich war. Der Mann wurde zunächst nach Hause entlassen und suchte am 8. April 2008 eine entsprechende Fachklinik auf. Zu der geplanten Operation kam es dort nicht mehr: Der Mann starb am 10. April 2008.
Seine Witwe macht nun geltend, die Ärzte hätten die Herzkatheteruntersuchung viel früher veranlassen müssen. Statt ihn nochmals nach Hause zu entlassen, hätte ihr Mann aus dem örtlichen Krankenhaus sofort in die Fachklinik überwiesen werden müssen. Eine massiv angestaute Halsvene habe bereits früh auf Probleme mit den Herzklappen hingedeutet.
Das Landgericht Stade und das Oberlandesgericht (OLG) Celle wiesen die Klage ab. Die Herzkatheteruntersuchung sei nicht schon früher „zwingend geboten“ gewesen. Auf die angestaute Halsvene habe der von der Ehefrau beigebrachte Privatgutachter nicht ausdrücklich verwiesen.
Doch es habe einen entsprechenden Hinweis der Klägerin und ihres Anwalts gegeben, betonte nun der BGH. Das reiche aus, und die Vorinstanzen hätten dem nachgehen müssen. Die Frau müsse ihre Argumente nicht schon im Vorfeld selbst stichfest beweisen.
Zudem sei „das Absehen von einer ärztlichen Maßnahme nicht erst dann behandlungsfehlerhaft, wenn die Maßnahme ‚zwingend’ geboten war, sondern bereits dann, wenn ihr Unterbleiben dem im Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standard zuwiderlief“, so der zweite Leitsatz der Karlsruher Entscheidung.
Mit seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 22. Dezember 2015 verwies der BGH den Streit daher zur erneuten Prüfung an das OLG Celle zurück. mwo/fle
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.