Eine Studie mit 395 Frauen zeigt: Sehbehinderte Frauen finden auffällige Verdickungen im Gewebe, die auf Brustkrebs hindeuten, genau so häufig wie Ärzte und Ärztinnen. Mediziner und die sehbehinderten Laien zusammen könnten so Auffälligkeiten häufiger erkennen, als dies bisher der Fall ist.
Chance für die Krebsvorsorge
Ertasten ist nach wie vor die bewährteste Methode, Brustkrebs zu erkennen. Die Sehbehinderten/Blinden schnitten nur bei vernarbtem Gewebe von Frauen, die bereits Brustkrebs gehabt hatten, weniger gut ab als die spezialisierten Ärzte. Es handelt sich um eine neue Chance, Brustkrebs frühzeitig zu erkennen.
Ertasten überbewertet?
Manche Ärzte halten das Ertasten, ob durch Ärzte oder Sehbehinderte, indessen für überbewertet. Ihnen zufolge könnten die Sehbehinderten gegen technische Methoden wie Ultraschall oder Mammografie nicht konkurrieren. Zugleich gilt aber: Auch eine Mammographie erkennt zahlreiche Tumore nicht.
Blinde Frauen ertasten schlimme Krebstumore
Zuvor geschulte Sehbehinderte untersuchen das Brustgewebe Stück für Stück nach Auffälligkeiten.
Finden sie etwas, sagen sie dem Arzt/der Ärztin Bescheid, die die entsprechende Stelle dann genauer untersucht.
Wie lange dauert eine Tastuntersuchung?
Ein solches Ertasten durch die Sehbehinderten dauert mindestens dreißig Minuten, bisher übernehmen in Deutschland 26 Krankenkassen die Kosten von 46,50 Euro.
Warum können Blinde besser tasten als Sehende?
Der Neurophysiker Robert Trampel erkannte, dass der sogenannte Gennari-Streifen, in dem visuelle Wahrnehmungen verarbeitet werden, auch bei Blinden arbeitet. Doch die Nervenfasern verarbeiten bei den Nichtsehenden Tastreize statt optischer Informationen. Sogar die Blindenschrift lernen Blinde über Sehnerven.
Sehnerven nicht nur fürs Sehen
Bisher galt der Gennari-Streifen als verantwortlich für das Sehen. Dies kann aber nicht seine einzige Funktion sein, denn Blinde zeigen hier ebenfalls eine erhöhte Aktivität, wenn sie Blindenschrift lesen.
Räumliche Vorstellung bei Blinden
Bei Blinden nutzt das Gehirn akustische wie taktile Reize, um eine räumliche Vorstellung von der Umwelt zu entwerfen. Vermutlich spielt der Gennari-Streifen dabei eine wichtige Rolle.
Der Tastsinn ist ein Primärsinn
Der Tastsinn entwickelt sich viel früher als der Sehsinn oder das Gehör. Schon in der achten Woche der Schwangerschaft reagiert ein Fötus auf Reize im Bereich der Lippen. Kurz darauf kann er greifen und am Daumen lutschen – eine Folge des Ertastens.
Tastsinn ist Basis anderer Sinne
Schon im Mutterleib entwickelt der Fötus durch den Tastsinn ein Gefühl seiner Körpergrenzen und trennt zwischen sich und der Außenwelt. Damit entsteht die Basis für die anderen Sinne wie Gehör und Sehen.
Discovering Hands
Der Gynäkologe Dr. Frank Hoffmann führte das Ertasten von Brustkrebs durch blinde Frauen ein und gründete das Projekt „Discovering Hands“. In Deutschland war dies einfacher zu etablieren als in Österreich, da hierzulande Arzt/Ärztin die Maßnahme an andere delegieren darf, während in Österreich „medizinische Tastuntersucherinnen“ offiziell als Beruf anerkannt sein müssen.
Einjährige Ausbildung
In Österreich dauert die Ausbildung von blinden oder sehbehinderten Frauen zu Tastuntersucherinnen ein Jahr – mit theoretischem Teil zum Aufbau und den Erkrankungen der weiblichen Brust und der Praxis, in der Orientierungsstreifen das systematische Ertasten aller Brustregionen und genaue Angaben der Lage von ertasteten Knoten ermöglichen.
Tastwalzer
Die Technik, die Finger beim Ertasten zu bewegen, heißt in der Ausbildung Tastwalzer. Dabei untersuchen die Tasterinnen jede Stelle der Brust dreimal kreisförmig mit unterschiedlichem Druck. So entsteht ein dreideimensionales Bild der verschiedenen Gewebeschichten.
Auswertung im Computer
Die Tastuntersucherin hält Verhärtungen in der Brust in einem extra entwickelten Computerprogramm fest – Größe, Lage, Form und Besonderheiten. Auf dieser Grundlage erstellen die Mediziner und Ärztinnen dann die Diagnose. BestehtBrustkrebs-Verdacht können ergänzende Ultraschall-Untersuchung mehr Tumore entdecken.
Win-Win Situation für alle Beteiligten
Für Frauen bedeutet die standardisierte Tastuntersuchung eine verbesserte Brustkrebsvorsorge, und für blinde Frauen wird die Sehbehinderung zu einer außerordentlichen Fähigkeit und einem Alleinstellungsmerkmal auf dem Arbeitsmarkt. (Dr. Utz Anhalt)
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Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.