Blutdrucksenkung: Nicht unter 130 mm Hg bei Älteren?
Es ist allgemein bekannt, dass zu hohe Blutdruckwerte ein bedeutender Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind. Dennoch wird in Europa empfohlen, die systolischen Werte bei Älteren nicht unter 130 mm Hg zu senken. Eine neue Studie zeigt jedoch, dass eine striktere Senkung die Sterblichkeit deutlich verringert.
Millionen Menschen leiden an Hypertonie. Um den Blutdruck zu senken muss nicht zwangsläufig auf Arzneimittel zurückgegriffen werden. Häufig können auch ein gesünderer Lebensstil mit mehr Bewegung und ausgewogener Ernährung sowie Hausmittel gegen Bluthochdruck helfen. Doch wie weit sollen die Werte gesenkt werden? Einer neuen Studie zufolge erleiden ältere Menschen weniger Herz- und Gefäßerkrankungen, wenn ihr systolischer Blutdruckwert konsequent unter 130 mm Hg gesenkt wird.
Jedes vierte Ereignis verhindert
Wie die Deutsche Hochdruckliga in einer aktuellen Mitteilung schreibt, wurde vor kurzem in der Fachzeitschrift „The New England Journal of Medicine“ eine Studie mit mehr als 8.500 Teilnehmenden im Alter zwischen 60 und 80 Jahren veröffentlicht, die den Effekt einer strikteren Blutdrucksenkung (systolische Werte zwischen 110-130 mm Hg) mit dem einer weniger konsequenten (Werte zwischen 130-150 mm Hg) im Hinblick auf verschiedene kardiovaskuläre Endpunkte, darunter die kardiovaskuläre Sterblichkeit, das akute Koronarsyndrom, akute dekompensierte Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern und Schlaganfall verglich.
Während des Follow-ups (im Median 3,34 Jahre) erlebten 147 Patientinnen und Patienten in der intensiv behandelten Gruppe einen der kardiovaskulären Endpunkte, in der Placebogruppe waren es 196 (p=0,007). Die HR (Hazard Ratio) betrug 0,74. Die striktere Blutdruckeinstellung konnte also etwa jedes viertes Ereignis verhindern.
Fast jeder dritte Schlaganfall verhindert
Werden die einzelnen Endpunkte gesondert betrachtet, war der Effekt bei einigen deutlich größer als bei anderen.
Die Rate akuter Dekompensation der chronischen Herzinsuffizienz, ein unter Umständen lebensbedrohlicher Notfall, bei dem der Körper nicht mehr in der Lage ist, die Herzschwäche auszugleichen, war in der Gruppe der strikt eingestellten Patientinnen und Patienten auf ein Drittel reduziert (HR: 0,27) – zwei von drei kardialen Dekompensationen konnten also verhindert werden.
Der Effekt der strikteren Blutdruckeinstellung auf die Schlaganfallrate und Rate des akuten Koronarsyndroms war ebenfalls beträchtlich. Die HR betrug laut der Hochdruckliga für beide 0,67, es konnte also fast jeder dritte Schlaganfall und fast jedes dritte akute Koronarsyndrom verhindert werden.
Überwiegen die Risiken den Nutzen?
„Dieser große Effekt ist insofern erstaunlich, da die Gruppen hinsichtlich ihrer real erreichten Zielwerte gar nicht so weit auseinanderlagen. Die mittleren systolischen Blutdruckwerte betrugen 126,7 mm Hg in der intensiv behandelten Gruppe und 135,9 mm Hg in der Vergleichsgruppe“, erläutert Prof. Ulrich Wenzel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hochdruckliga.
„Das bedeutet, dass selbst die weniger strikt behandelten Patientinnen und Patienten systolische Blutdruckwerte unter 140 mm Hg hatten, das ist die rote Linie, ab der die europäischen Leitlinien des ESC/ESH erst generell eine medikamentöse Therapie empfehlen “, so der Experte.
„Doch gerade bei älteren Patienten sind wir großzügiger und tolerieren auch systolische Werte bis zu 140 mm Hg. Bei den über 65-Jährigen empfehlen die europäischen Leitlinien, die systolischen Werte nicht unter 130 mm Hg zu senken.“
Als Gründe führt der Prof. Wenzel an, dass es bei einer zu schnellen und zu tiefen Senkung zu Unwohlsein und Schwindel und in Folge zu Stürzen kommen kann und die Datenlage bislang so aussah, dass die Risiken den Nutzen zu überwiegen schienen.
Auch in der vorliegenden Studie traten in der intensiv behandelten Gruppe mehr Fälle von Hypotonie (niedriger Blutdruck) auf (3,4% vs. 2,6%, p=0,03).
Außerdem muss kritisch angemerkt werden, dass es sich in dieser Studienpopulation nicht wirklich um hochbetagte Menschen handelte. Zwar konnten Patientinnen und Patienten zwischen 60 und 80 Jahren eingeschlossen werden, das Durchschnittsalter betrug in dieser Studie jedoch letztlich „nur“ 66,2 Jahre.
Altersgrenze für eine intensivere Therapie hinterfragen
„Mit den vorliegenden Daten müssen wir nun wahrscheinlich umdenken und zumindest die Altersgrenze von 65 Jahren für eine intensivere Therapie hinterfragen, denn der kardiovaskuläre Nutzen der strikteren Blutdruckeinstellung war doch erheblich“, sagt Professor Wenzel.
Die amerikanischen Leitlinien empfehlen ohnehin schon seit längerem auch bei älteren Patientinnen und Patienten eine konsequente Blutdrucksenkung auf Werte unter 130 mm Hg. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Hochdruckliga: Neue Studie zeigt: Auch ältere Menschen profitieren von einer strikteren Blutdrucksenkung, (Abruf: 05.09.2021), Deutsche Hochdruckliga
- Zhang W, Zhang S, Deng Y et al.: Trial of Intensive Blood-Pressure Control in Older Patients with Hypertension; in: The New England Journal of Medicine, (veröffentlicht: 30.08.2021), The New England Journal of Medicine
- Williams B, Mancia G, Spiering W et al.: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension: The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Society of Hypertension (ESH); in: European Heart Journal, (veröffentlicht: 25.08.2018), European Heart Journal
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