Welche Rolle das Immunsystem bei Hypertonie spielt
Das Immunsystem spielt bei den Schäden, die Bluthochdruck im Körper verursacht, offenbar eine größere Rolle, als bislang gedacht. Laut einer aktuellen Studie werden bei Bluthochdruck vermehrt Entzündungsbotenstoffe ausgeschüttet, die dazu führen, dass Immunzellen, die die Blutgefäße eigentlich schützen sollen, diese angreifen und schädigen.
Forschende des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft haben erstmals umfassend beschrieben, wie bestimmte Immunzellen des Immunsystems, die sogenannten Makrophagen und Mikroglia, bei Bluthochdruck die Blutgefäße nicht schützen, sondern angreifen. Die Studienergebnisse wurden in dem Fachjournal „Cardiovascular Research“ vorgestellt.
Hypertonie am weitesten verbreitete chronische Krankheit
Hypertonie, also Bluthochdruck, ist die am weitesten verbreitete chronische Krankheit. Circa jede dritte Person ist weltweit davon betroffen.
Deutschland liegt sogar über dem weltweiten Schnitt. Hierzulande haben rund 44 Prozent der Bürgerinnen und Bürger einen zu hohen Blutdruck.
Folgen von Bluthochdruck
Viele Betroffene wissen nicht, dass sie unter Bluthochdruck leiden, denn vor allem in der Anfangsphase verursacht die Krankheit kaum Beschwerden. Langfristig leiden jedoch die Organe unter dem hohen Blutdruck, insbesondere das Herz, das Gehirn und die Blutgefäße.
Darüber hinaus ist Hypertonie der größte Risikofaktor für schwerwiegende Folgeerkrankungen wie Herzkrankheiten, Schlaganfall und Herzinfarkt.
Typische Maßnahmen gegen Bluthochdruck
Als erste Maßnahmen zur Senkung des Blutdrucks wird häufig empfohlen, den Lebensstil zu verändern. Dazu zählen eine ausgewogene und salzarme Ernährung, regelmäßige Bewegung und der Verzicht auf das Rauchen sowie das Eingrenzen des Alkoholkonsums.
Reicht dies nicht aus, werden in der Regel blutdrucksenkende Medikamente wie Beta-Blocker oder ACE-Hemmer verschrieben.
Organe können trotz Medikamenten Schaden nehmen
„Herkömmliche Medikamente können zwar den Blutdruck senken, bei den vielen Betroffenen erreicht man damit aber nicht die erhoffte Schutzwirkung für die Organe“, verdeutlicht die leitende Wissenschaftlerin Dr. Suphansa Sawamiphak.
Die Arbeitsgruppe des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin suchte daher im Rahmen der aktuellen Studie nach weiteren schädlichen Prozessen, die bei Bluthochdruck ablaufen und die nicht über die konventionellen Wirkstoffe erreicht werden.
Wechselwirkung zwischen Immunsystem und Bluthochdruck
Im Vorfeld der Studie gab es bereits Hinweise darauf, dass das Immunsystem an den Organschäden bei Bluthochdruck beteiligt sein könnte. Denn bei Bluthochdruck finden auch vermehrt Entzündungsreaktionen im Körper statt, die Immunzellen anlocken. Welche Auswirkungen Bluthochdruck im Detail auf das Immunsystem hat, war bislang jedoch unklar.
Anhand eines Zebrafisch-Modells konnte das Team die Rolle des Immunsystems bei Bluthochdruck nun entschlüsseln. Bei Fischen mit Bluthochdruck konnten die Forschenden dokumentieren, wie bei erhöhtem Blutdruck mehr Makrophagen und Mikroglia angelockt werden.
Was sind Makrophagen und Mikroglia?
Makrophagen sind ein wichtiger Bestandteil des Immunsystems. Sie sind für die Vernichtung von eingedrungenen Keimen und Erregern wie beispielsweise Viren und Bakterien zuständig. Mikroglia sind spezielle Immunzellen des Gehirns. Sie bilden die erste Verteidigungslinie im Abwehrsystem des Gehirns.
Immunzellen schädigen Blutgefäße und Blut-Hirn-Schranke
An den Stellen, wo die Makrophagen und Mikroglia mit den Endothelzellen, also der innersten Schicht der Blutgefäße, in Kontakt kommen, wird die Gefäßwand zunehmend geschwächt. Auch die Blut-Hirn-Schranke, die das Gehirn eigentlich vor schädlichen Substanzen und Krankheitserregern schützen soll, nimmt durch den Kontakt mit den Immunzellen Schaden.
„Das Interessante ist, dass Makrophagen und Mikroglia bei gesundem Blutdruck normalerweise die Gefäße schützen“, betont Sawamiphak. Ihr zufolge werden die Immunzellen bei Bluthochdruck „regelrecht umprogrammiert“.
Vermehrte Entzündungsreaktionen bei Bluthochdruck
Die Forschenden konnten auch die Ursache für die vermehrte Anwesenheit der Immunzellen identifizieren. Demnach werden bei Hypertonie vermehrt Entzündungsbotenstoffe wie IFN-Gamma ausgeschüttet, woraufhin das Immunsystem die Makrophagen und Mikroglia als Gegenmaßnahme entsendet.
Als die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei den Fischen das Gen für einen Rezeptor ausschalteten, an den IFN-Gamma normalerweise bindet, verursachte der Bluthochdruck keine Schäden mehr in den Blutgefäßen und an der Bluthirnschranke. Dies bestätigte sich auch in Versuchen an Mäusen, bei denen durch Wirkstoffe IFN-Gamma gehemmt wurde.
Entzündungen bei Bluthochdruck bisher vernachlässigt
„Unsere Ergebnisse eröffnen eine völlig neue Perspektive auf die Rolle von Entzündungsvorgängen bei der Entstehung von Bluthochdruck“, resümiert Sawamiphak. In Folgestudien will die Arbeitsgruppe nun die beteiligten Immunzellen und Immunmodulatoren genauer charakterisieren. Außerdem sollen die bei den Tieren beobachteten Vorgänge beim Menschen überprüft werden.
Aus den neuen Erkenntnissen könnten neue Medikamente gegen Bluthochdruck hervorgehen, von denen vor allem Patientinnen und Patienten profitieren könnten, bei denen herkömmliche Methoden nicht wirken. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin: Schädigende Immunzellen bei Bluthochdruck (veröffentlicht: 23.02.2023), mdc-berlin.de
- Dilem C Apaydin, Bhakti I Zakarauskas-Seth et al.: “Interferon-γ drives macrophage reprogramming, cerebrovascular remodeling, and cognitive dysfunction in a zebrafish and a mouse model of ion imbalance and pressure overload.”; in: Cardiovascular Research (2023); doi: 10.1093/cvr/cvac188, academic.oup.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.