Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) zeichnet sich durch eine emotional instabile Persönlichkeit aus. Derzeit steht ein 23-Jähriger aus Eritrea nach mehreren Gewaltausbrüchen vor dem Landgericht Landshut. Er leidet an BPS und ist möglicherweise schuldunfähig.
Leben zwischen den Extremen
Menschen mit dieser psychischen Störung haben eine gestörte Selbstwahrnehmung und pendeln in zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen Idealisieren und Verteufeln, Liebe und Hass. Typisch sind abrupte Stimmungswechel, selbst verletzende Handlungen und unkontrollierte Wut.
Kennzeichen von Borderline
Kennzeichen von Borderline sind: Ängstliches Bemühen, Verlassenwerden zu vermeiden – auch mit Manipulation, Flehen oder Drohungen; instabil intensive Beziehungen zu anderen Menschen, die zwischen Verherrlichung und Entwertung schwanken; dauerhaft gestörte Identität und ein brüchiges Selbstbild, das jederzeit zusammen brechen kann; selbst schädigende Impulsivität beim Geld ausgeben, Sex, Drogenkonsum oder Essstörungen; wiederholte suizidale Handlungen, Drohungen mit Selbtsmord und Selbstverletzung.
Gefühle von Borderlinern
Die Betroffenen leiden unter extrem schwankenden Stimmungen und reagieren stark auf Gemütszustände. Unkontrollierte Gefühsausbrüche, periodisch auftretende Niedergeschlagenheit, extreme Reizbarkeit und starke Angst sind ebenso typisch wie ein chronisches Gefühl von innerer Leere, Wutanfälle in keinem Verhältnis zum Auslöser und körperliche Auseinandersetzungen.
Paranoia und Dissoziationen
Besonders bei Belastungen, sei es durch Behördengänge, Prüfungen oder Beziehungskrisen, entwickeln die Betroffenen paranoide Wahnvorstellungen, die in Psychosen übergehen können. Typisch sind auch Dissoziationen, also Zustände, in denen die Betroffenen „neben sich stehen“ und sich danach nicht mehr an das erinnern können, was passiert ist und was sie getan haben. Die Ursache dieser Dissoziationen liegen in traumatischen Erfahrungen.
Veränderungen im Mandelkern
Studien an Borderlinern zeigten Aktivitätsveränderungen im Mandelkern, das ist der Bereich im Gehirn, wo wir Stress, Gefahrensignale und Ängste verarbeiten. Diese Gehirnstruktur zeigte sich bei den Betroffenen kleiner und übererregbar. Kurz gesagt: Die Patienten leben in einem Dauermodus, der ihnen signalisiert „Kampf oder Flucht“, ohne dass ein realer Anlass gegeben ist.
Ursachen des Borderline-Syndroms
Zwar gehen Wissenschaftler heute davon aus, dass genetische Anlagen eine erhebliche Rolle dabei spielen, ob ein Mensch eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt. Doch sind Traumatisierungen der wesentliche Brennstoff dafür, dass die Symptome sich ausbilden. So waren 60 Prozent der Betroffenen körperlicher Gewalt ausgesetzt, 65 Prozent sexueller Gewalt und 40 Prozent wurden in ihrer Kindheit und/oder Jugend schwer vernachlässigt.
Gewaltausbrüche
Der Angeklagte machte auf sich aufmerksam, als er im November 2018 in einer Asylbewerberunterkunft im Landkreis Freising die Einrichtung seines Zimmers kaputt schlug und sich den hinzu kommenden Polizisten gegenüber aggressiv verhielt; ein anderes Mal sprang er zu einem Fremden ins Auto und griff ihn an; in einem weiteren Fall schlug er einem Mitbewohner mit einer Eisenstange auf den Kopf, als dieser schlief.
Traumatisierte Flüchtlinge
Viele Flüchtlinge sind durch ihre Erfahrungen traumatisiert. Die häufigsten Traumatisierungen sind bedingt dadurch, Gewalt an anderen gesehen zu haben (70%), Opfer von Gewalt geworden zu sein (55%) oder direkt gefoltert worden zu sein (43%).
Psychische Folgen
Die häufigste Folge eines Traumas ist die Post Traumatische Belastungsstörung. Verbreitet sind aber auch Anpassungsstörungen, andauernde Persönlichkeitsveränderungen, dissoziative Störungsbilder, vor allem aber die Borderline-Persönlichkeitsstörung. Diese wiederum überschneidet sich bei Traumatisierten mit Suchterkrankungen, Essstörungen, Angststörungen und Depressionen.
Probleme im Aufnahmeland
Die Belastungen durch den Alltag im Aufnahmeland können die Symptome einer Borderline-Störung verschärfen, da sie den Stress der Betroffenen verstärken, die bereits im Dauerstress-Modus leben. Dazu gehören die Angst abgeschoben zu werden, Sprachbarrieren, Hürden im Asylverfahren, Probleme bei der Gesundheitsversorgung und der alltägliche bürokratische Aufwand.
Zu wenig Therapien
Nach wie vor gibt es viel zu wenig Therapien für Asylbewerber mit psychischen Erkrankungen. Kaum einer von ihnen bekommt zeitnah eine angemessene Behandlung – bei Borderline zum Beispiel eine Verhaltenstherapie. Die zuständigen Sachbearbeiter und Amtsärzte haben in der Regel auch nicht die Qualifikation, um die Dringlichkeit einer Psychotherapie zu beurteilen, geschweige denn Borderline richtig zu diagnostizieren.
Häufige Fehler
Psychische Erkrankungen von Asylbewerbern werden häufig nicht als akut angesehen, obwohl sie es sind, oder es werden Medikamente verschrieben, was oft nicht reicht – besonders bei einer Persönlichkeitsstörung, in der es um Verhaltenskontrolle geht, wie Borderline.
Ein unerkanntes Leiden?
Auslöser der Borderline-Persönlichkeitsstörung wie die Erfahrung sexueller und nicht sexueller Gewalt sowie Vernachlässigung und zurück liegende Traumatisierungen treten bei Flüchtlingen wesentlich häufiger auf als im Rest der Bevölkerung. Deswegen ist die Dunkelziffer von Asylbewerbern, die unerkannt unter dieser psychischen Erkrankung leiden, vermutlich hoch. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.