Boreout: Das Leid mit der Langeweile im Job
15.07.2014
Menschen, die in ihrem Job übermäßig beansprucht werden, leiden häufig unter dem Burnout-Syndrom. Doch auch das Gegenteil ist möglich, dann wird vom Boreout-Syndrom gesprochen. Unterforderung und Langeweile in der Arbeit verursachen Stress und können krank machen.
Aus Langeweile oder Unterforderung krank werden
Eigentlich hatte Thorsten Gottschall in seinem Job immer gut zu tun. Für ihn gab es in der Behindertenarbeit einer städtischen Verwaltung in Schleswig-Holstein nur selten Leerlauf. Doch dann wurde er 2005 von seiner Vorgesetzten ins Controlling zwangsversetzt. „Die wollte mich loswerden“, sagte Gottschall laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa. Von Zahlen versteht der Sozialwissenschaftler nur wenig. „Plötzlich hatte ich keine Aufgabe mehr, und es wurde immer weniger und weniger.“ Mit ihrem Buch „Diagnose Boreout“ prägten die beiden Schweizer Unternehmensberater und Autoren 2007 ein Symptom, das als Krankheitsbild langsam erforscht wird. „Seitdem haben wir ein unglaubliches Feedback bekommen“, so Rothlin. Im Gegensatz zum Burnout beschreiben sie Beschäftigte, die aus Langeweile (boredom) oder Unterforderung im Job krank werden.
Vor allem Beamte, Finanzindustrie und Bürojobs betroffen
Bei Boreout, der durch zu wenig oder falsche Aufgaben entsteht, gehe es keineswegs um Faulheit, erklärte Rothlin. Er spricht dabei von der „Mär des süßen Nichtstuns“. Der Unternehmensberater meinte weiter: „Es gibt Leute, die sind faul und schaden damit dem Unternehmen und den Kollegen. Die gehören entlassen. Wer Boreout hat, wird aber in die Situation hineinmanövriert. Das liegt in der Verantwortung des Vorgesetzten.“ Boreout entstehe oft in Verwaltungs- oder Dienstleistungsjobs, in denen Aufgaben wegrationalisiert oder durch Software erledigt werden. Doch auch andere Ursachen könnten dazu führen, wie etwa das Entfallen von Aufgaben nach der Zusammenlegung von Unternehmen. Rothlin zufolge trifft es vor allem Beamte, die Finanzindustrie, Bürojobs: „Maurer können nicht so tun, als ob sie arbeiten würden.“
13 Prozent der Beschäftigten fühlen sich fachlich unterfordert
In Deutschland fühlen sich 13 Prozent der abhängig Beschäftigten fachlich und fünf Prozent mengenmäßig im Job unterfordert. Dies geht aus dem Stressreport 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) hervor. Torsten Gottschall, der auch gern mehr gemacht hätte, sagte: „Der Stress war, dass mir nichts mehr zugemutet wurde.“ Er hat Sozialwesen studiert, eine Ausbildung zum Psychotherapeuten gemacht, eine Alteneinrichtung geleitet und früher immer gern gearbeitet, doch „Plötzlich war ich eine Null“. Er sitzt jahrelang am Schreibtisch, zählt die Minuten bis zum Feierabend und leidet. Surfen im Netz ist verboten, Bücher lesen zu auffällig. Dann schult er sich schließlich selbst in Excel und Word, spielt mit EDV-Programmen und zieht jede einfache Schreibarbeit in die Länge. „Damit es so aussieht, als ob ich etwas tue“, erklärte er.
Betroffene täuschen Beschäftigung vor
Boreout-Betroffene täuschen paradoxerweise oft vor, beschäftigt zu sein, etwa indem sie auf den Bildschirm starren oder den Kollegen von einem Berg an Aufgaben berichten. Diejenigen die nur Löcher in die Luft starren, riskieren ihren Arbeitsplatz. Doch gerade diese Vertuschungsstrategien erzeugen Stress und können die Gesundheit belasten. „Ich kann nicht über Langeweile sprechen in einer Zeit, wo Leistung das Maß aller Dinge ist und jeder um seinen Job kämpft“, so Elisabeth Prammer. Die österreichische Arbeitssoziologin hat Boreout-Biografien unter die Lupe genommen. Auch wenn das Problem weit verbreitet sei, werde es tabuisiert. Das Syndrom passt ihrer Meinung nach in unsere Zeit ebenso wie Überforderung.
Unterforderung und Überlastung können krank machen
Von Gefühlen der Wertlosigkeit, von Antriebslosigkeit und Depressionen berichtete Gottschall: „Ich hab mich tödlich gelangweilt.“ Auch Andrea Lohmann-Haislah von der Baua bestätigte: „Lange Fehlbeanspruchung kann krank machen.“ Demnach könne Unterforderung ebenso wie Überlastung zu Depressionen, chronischen Rückenschmerzen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Der Frankfurter Psychotherapeut Wolfgang Merkle hatte im vorvergangenen Jahr gegenüber der Nachrichtenagentur dpa typische Anzeichen des Boreout-Syndroms beschrieben. So zählen dazu eine anhaltende Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, chronische Müdigkeit, Schlafstörungen und die Unfähigkeit, das Leben zu genießen. Dazu kommen körperliche Symptome wie Bauchschmerzen, Magenbeschwerden, Schwindel, Kopfschmerzen und Ohrensausen beziehungsweise Tinnitus.
In vielen Unternehmen fehlen Ansprechpartner
Die Arbeitssoziologin Prammer erklärte, dass in vielen Unternehmen ein Ansprechpartner für das Thema fehlen würde. Von Experten werde Betroffenen vor allem zum rechtzeitigen Dialog mit dem Arbeitgeber geraten. „Das Wichtigste ist die Eigenverantwortung. Man muss selber etwas tun“, so Rothlin. Beschäftigte müssten vom Vorgesetzten Aufgaben aktiv einfordern. „Und vielleicht auch ungefragt neue Dinge erarbeiten, und sich nicht der Langeweile ergeben.“ Als letztes Mittel bleibe die Kündigung. Torsten Gottschall besiegte die Langeweile im Jahr 2011 indem er kündigte. Der 54-Jährige arbeitet nun in Vollzeit in seiner eigenen psychotherapeutischen Praxis und ist dabei schwer beschäftigt. Mit einem Lachen erklärte er: „Ich bin mehr ausgelastet, als mir lieb ist.“ (ad)
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