IG-Metall: Burnout-Syndrom wird zur tickenden Zeitbombe: Die Gewerkschaft fordert Anti-Stress-Verordnungen am Arbeitsplatz
27.09.2011
Ständig steigende Arbeitszeiten, Vorgesetzte die von ihren Arbeitnehmern stetig höhere Arbeitsleistungen abverlangen und vielmals die Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes in Zeiten der Krise: Die Gewerkschaft IG-Metall warnt vor gravierenden gesellschaftlichen Problemen, denn immer mehr Arbeitnehmer fühlen sich ausgebrannt und beklagen zunehmend psychische Erkrankungen. Angesichts einer Zunahme des Burnout Syndrom fordert die Gewerkschaft sogenannte Anti-Stress-Verordnungen, um Arbeitnehmer vor dem Exodus durch Arbeit zu bewahren.
Die Menschen in Deutschland sind am Arbeitsplatz immer massiveren Stressbelastungen ausgesetzt. Zahlreiche Auswertungen der Krankenkassen belegen steigende Patientendaten im Bereich der psychischen Krankheiten. Mit an vorderster Stelle der Gründe für ärztliche Krankschreibungen stehen Depressionen und Überlastungssymptome. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung fordert die Gewerkschaft IG-Metall einen gesetzlichen Schutz vor übermäßigen Stress am Arbeitsplatz. Eine entsprechende Gesetzesregelung sei nicht nur im Sinne der Arbeitnehmer, sondern auch der bundesdeutschen Gesellschaft. Denn psychische Erkrankungen werden nach Meinung der Gewerkschafter zunehmend eine ökonomische Gefahr. "Hier tickt nichts Geringeres als eine gesellschaftliche Zeitbombe", warnte das IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban heute in Berlin während der Vorstellung einer internen Studie. Immer mehr Menschen leiden unter dem Druck der Arbeitgeber und zeigen Anzeichen von depressiven Episoden oder Erschöpfungssyndromen. Entsprechend Hilfsangebote oder gar präventive Maßnahmen gebe es an den Arbeitsplätzen kaum. Stress und Burnout haben im Arbeitsleben bereits ein massives Ausmaß erreicht. Es sei fahrlässig, die Probleme weiterhin zu ignorieren oder nebenbei unter „ferner liefen zu behandeln".
Anti-Stress-Verordnung gefordert
Bereits in anderen Ländern wurden entsprechende Regelungen getroffen, die zu einer deutlichen Entlastung der Menschen geführt haben. Um Arbeitnehmer vor einer steigenden Arbeitsverdichtung und körperlichen wie psychischen Erschöpfungssymptomen zu schützen, müsse die schwarz-gelbe Bundesregierung eine Anti-Stress-Verordnung auf den Weg bringen. Eine solche Verordnung könne ähnlich gestaltet werden wie die Vorschriften zum Lärmschutz. Arbeitgeber, Arbeitnehmerverbände und Politik sollten gemeinsam entsprechende Vorgaben ausarbeiten, um die Menschen vor den stressbedingten Gesundheitsgefahren zu schützen.
Anstieg der psychischen Erkrankungen in den Betrieben
Neben den Krankenkassendaten stützt sich die IG-Metall in ihren Aussagen auf eine Umfragestudie unter rund 4000 Betriebsräten. Während der Blitzumfrage wurden die Teilnehmer zu Stress und Burnout der Mitarbeiter in ihrem Arbeits- und Organisationsbereich befragt. Eine überwältigende Mehrheit (86 Prozent) sagte, dass in ihrem Betrieb psychische Krankheiten als ein deutliches Problemfeld angesehen werden. Rund 40 Prozent der Betriebsräte gaben an, dass sie einen mittleren bis starken Anstieg der psychischen Krankheiten unter den Angestellten wahrnehmen. 63 Prozent äußerten, dass entsprechende Angebote für die Betroffenen fehlten oder nur kaum angeboten werden. 73 Prozent forderten einen besseren gesundheitlichen Schutz für die Arbeitnehmer. „Es müsse mehr für den Gesundheitsschutz getan werden“.
Zwar sei die Umfragestudie nur eine Momentaufnahme, wie der Gewerkschaftsfunktionär sagte, aber die Ergebnisse decken sich mit den Auswertungen der gesetzlichen Krankenkassen. Das Wissenschaftliche Institut der Allgemeinen Ortskrankenkassen AOK (WidO) hatte unlängst errechnet, dass bereits jede zehnte Krankmeldung auf das Konto der psychischen Störungen gehe. Seit 1999 sind die Fehltage aufgrund der psychisch bedingten Leiden bis heute um gut 80 Prozent gestiegen. Im letzten Jahr wurden allein rund 100.000 Patienten aufgrund der Diagnose Burnout krankgeschrieben. Psychische Leiden dauern mit 23,4 Tagen je Patient doppelt so lange wie der Durchschnitt mit 11,6 Tagen je Fall. Die Behandlungskosten sind somit in den letzten Jahren rasant gestiegen und verursachen für das Gesundheitssystem jährliche Kosten von rund 27 Milliarden Euro. Die Produktionsausfallkosten der Unternehmen betragen laut der Institutsangaben etwa 26 Milliarden Euro pro Jahr. Die Fehltage für das Jahre 2010 bezifferte das AOK Wissenschaftsinstitut mit 1,8 Millionen Arbeitstagen.
„Hier muss endlich gegengesteuert werden“ forderte Urban. Der Druck sollte von Seiten der Politik auf die Arbeitgeber erhöht werden, damit diese zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gezwungen werden. Die IG-Metall fordert gesetzliche Anti-Stress-Weisungen, die bereits in anderen Ländern wie Schweden, Frankreich oder Italien heute Anwendung finden.
Die signifikantesten Auslöser für psychische Störungen sind massive Überstunden, Unterforderungen, Überlastungen, ein schlechtes Führungsmanagement sowie ein wachsendes Arbeitspensum, dass kaum mehr ein Angestellter bewerkstelligen kann. Darüber hinaus belaste die anhaltende Wirtschafts- und Finanzkrise die Menschen im zunehmenden Maße. Viele verspüren eine steigende Unsicherheit und haben Angst vor einer drohenden Arbeitslosigkeit. Die Unternehmen haben zwar die Krise überwunden, „doch die Kosten zahlen die Beschäftigten“ kritisierte Urban. Etwa 68 Prozent der befragten Betriebsräte gaben an, dass Stress und Überbelastungen seit der Wirtschaftskrise deutlich zugenommen haben. „Die Betriebswirtschaft dürfe aber nicht über die Gesundheit der Menschen thronen“, sagte Urban. Es gebe klassische Regeln, die Arbeitnehmer vor den Gesundheitsgefahren wie Lärm oder Schadstoffe bewahren. Nun müssen auch endlich Regeln gegen zu viel Stress und Leistungsdruck geschaffen werden. Hier ist der Gesetzgeber zum Schutz der Menschen in der Pflicht.
Erste Warnhinweise von Burnout-Syndromen
Viele Menschen bemerken erste Warnhinweise nicht und flüchten sich in ein vermehrtes Engagement für bestimmte Ziel bei der Arbeit. In der Anfangsphase arbeiten die Betroffenen pausenlos, viele arbeiten dann sogar am Wochenende. Die Arbeit entwickelt sich bei den Erkrankten als vermeintlicher Lebensmittelpunkt. Die eigenen emotionalen Bedürfnisse werden im Dienste der Sache zurückgestellt. Wer nicht die gleiche Arbeitsmoral besitzt, wird häufig im Team von Kollegen abgewertet. Soziale Kontakte werden zunehmend auf Geschäftspartner reduziert. Fühlen sich viele in diesem Stadium noch wohl, fangen andere bereits an, Stress mit übermäßigen Essen, Rauchen oder Alkohol zu kompensieren. Nach und nach macht sich eine chronische Müdigkeit bemerkbar. Weitere Symptome wie innere Unruhe, depressive Verstimmungen, Schlafstörungen, Herzstolpern, Schwindel oder Konzentrationsschwächen bringen das Fass zum Überlaufen. Die Betroffenen fühlen sich leer und ausgebrannt. Viele brauchen Jahre, um den geistig, körperlichen Zustand vor der Erschöpfung wieder zu erlangen. (sb)
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Bild: Gerd Altmann, Pixelio.de
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