Baby an Keimbelastung an Berliner Charité gestorben – Staatsanwaltschaft ermittelt
24.10.2012
Nachdem am 5. Oktober ein Neugeborenes in der Berliner Charité wegen einer Infektion mit Serratien-Keimen gestorben war, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung. Bisher ist noch unklar, wie es zu der Infektion der inzwischen 22 betroffen Babys kommen konnte. Die Frühgeborenenstation der Charité soll bis zur vollständigen Aufklärung geschlossen bleiben. Das Klinikum weist den Vorwurf mangelnder Hygiene zurück.
Weiteres Kind mit Keimen am Berliner Herzzentrum infiziert
Das verstorbene Kind war mit einem Herzfehler geboren worden und deshalb von der Frühchenstation in das Deutsche Herzzentrum verlegt worden. Dort infizierte sich ein zweites Kind mit dem Keim. Der Junge wurde aus einer Potsdamer Klinik zum Herzzentrum überwiesen und wurde wie das später verstorbene Baby am 2. Oktober operiert, wie der Direktor der Klinik für Angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie, Felix Berger mitteilte. Der Junge habe neben dem erkrankten Kind gelegen und sich wahrscheinlich dort ansteckt. Die Ärzte gehen davon aus, dass die Serratien-Keime mit dem später verstorbenen Kind in das Herzzentrum gelangten.
Die Antibiotika-Therapie sei bei dem Jungen erfolgreich verlaufen, so dass das Kind am heutigen Mittwoch entlassen werden könne, so Berger. Eine Infektion mit Serratien-Keimen ist nur für Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem wie Frühchen lebensbedrohlich. Der Junge war zwar nicht zu früh geboren worden, jedoch hatte er einen schweren Herzfehler, so dass man ihn zunächst auf einer der Frühgeborenenstation der Charité behandelt hatte. Von dort wurde er als Notfall in das Herzzentrum verlegt.
Aufnahmestopp auf Frühgeborenenstationen der Charité wegen Keimbelastung
Auf der Pressekonferenz des Herzzentrums und der Charité hieß es am vergangenen Dienstag, dass die Infektion des Frühchens sehr wahrscheinlich durch seine Mutter während der Geburt im Juli erfolgte. Danach habe das Kind ein weiteres Baby ansteckt. Bis September habe es dann keine neuen Infektionen gegeben.
Die Frühgeborenen-Stationen der Charité bleiben aufgrund des Befalls mit Serratien-Keimen bis zur vollständigen Aufklärung geschlossen, teilte Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor, mit. Insgesamt seien bei 22 von den 40 Frühgeborenen die Keime nachgewiesen worden. Sieben Baby seien daran erkrankt. Der Zustand aller betroffenen Kinder sei jedoch stabil, wie der Leiter der Frühgeborenen-Station, Christoph Bührer, auf der Pressekonferenz erklärte. Nachdem am 5. Oktober ein Kind an einer Infektion starb und am 8. Oktober bei zwei weiteren Kindern eine Keimbelastung festgestellt wurde, entschied sich die Charité zum Screening aller Frühgeborenen, bei dem die weiteren Fälle festgestellt wurde, wie die Klinik mitteilte. Anschließend sei ein sofortiger Aufnahmestopp für die betroffenen Frühgeborenenstationen veranlasst worden.
Laut dem Leiter der Hygiene- und Umweltmedizin im Bezirk Mitte, Karl Schenkel, sind drei Stationen in der Geburtsklinik und zwei am Herzzentrum betroffen, wobei eine Geburtsstation mittlerweile keimfrei sei. „Die genaue Zahl der Keimbesiedlungen kann sich minütlich ändern.“ Da ein Aufnahmestopp für das hochspezialisierte Herzzentrum undenkbar sei, würden dort weiterhin Notfälle angenommen werden. Eltern werde jedoch geraten, bei planbaren Operationen ihrer Kinder auf eine andere Klinik auszuweichen.
Hat Charité Meldepflicht wegen Keimbelastung vernachlässigt?
Vorwürfe wegen möglicher Hygienemängel werden inzwischen immer lauter. Der Ärztliche Direktor wies jedoch alle Vorwürfe entschieden zurück. Die neonatologischen Intensivstation zeichne sich durch hochqualifizierte und besonders motivierte Mitarbeiter aus. Mangelnde Hygienemaßnahmen und in dem Zusammenhang von Kritikern geforderte Entlassungen von Mitarbeitern schließe er aus. Die Personalausstattung der Frühchenstationen liege zwar knapp unter den vom Robert-Koch-Insitut (RKI) geforderten drei Pflegern pro Bett, aber mit Überstunden seien immerhin 2,85 bis 2,91 Mitarbeiter für jedes Bett zuständig. Das sei vertretbar.
Wie Schenkel erklärte, bemühe man sich intensiv darum, die Quelle der Infektion ausfindig zu machen. Es seien bereits über hundert Proben untersucht worden, zu den auch Seifen oder Desinfektionsmittel gehörten. Dennoch habe sich bisher „nichts Richtungsweisendes ergeben“. Der Leiter der Hygiene- und Umweltmedizin im Bezirk Mitte hält es für möglich, dass die genaue Ursache nicht gefunden wird. Die Hygiene werde aber penibel im Klinikum kontrolliert.
Wie Schenkel weiter berichtete habe es von Juli – dem vermuteten Zeitpunkt der Infektion des ersten Kindes – bis Oktober sehr wohl weitere Keimausbrüche gegeben. Im Virchow-Klinikum der Charité habe es insgesamt 20 bis 30 Betroffene gegeben. Da es sich dabei jedoch um Einzelfälle gehandelt habe und die Stationen zum Teil über längere Zeit keimfrei gewesen seien, habe es keine Meldung gegeben. Eine offizielle Mitteilung muss erst erfolgen, wenn mindestens zwei Patienten betroffen sind. Schenkel wies daraufhin, dass die Charité „den Zusammenhang der Fälle nicht erkannt“ hat. Rückblickend hätten die Zuständigen aber gerade noch rechtzeitig die notwendigen Maßnahmen ergriffen. Das Gesundheitsamt habe dennoch seine Ermittlungen aufgenommen und prüfe derzeit, ob die Charité ihre Meldepflicht seit Juli vernachlässigt habe, erklärte Anke Elvers-Schreiber, Amtsärztin in Mitte.
Vorwürfe gegen Krisenmanagement der Charité werden immer lauter
„Noch wissen wir nicht, was die Ursachen für den Keimbefall sind“, erklärte Ulrich Fegeler, Sprecher der Berliner Kinderärzte. „Es ist unseriös und unfair, den Ärzten oder Schwestern aufgrund von Spekulationen die Schuld zuzuweisen. Ich weiß, was diese gerade auf der Frühgeborenenstation leisten.“ Dennoch werden die Vorwürfe gegen das Krisenmanagement der Charité immer lauter.
Wie Petra Gastmeier, Leiterin des Hygiene-Instituts der Charité, berichtete, sei das Virchow-Klinikum bislang nicht negativ aufgefallen. Es habe sogar beim Verbrauch von Händedesinfektionsmittel überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Es würden auch Hinweise untersucht werden, nach denen ein Babybad die Keimquelle sein könne, dass von der Firma Rossmann bereits aus dem Handel genommen wurde. In einer Pressemitteilung der Charité heißt es: „Das einberufene Expertenteam setzt die Suche nach der Infektionsquelle weiterhin mit Hochdruck fort. Der Aufnahmestopp für die beiden betroffenen Stationen bleibt weiterhin bestehen.“
Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, soll in einen Ermittlungsverfahren die Ursache der Keimbelastung und daraus resultierende strafrechtliche Vorwürfe geklärt werden. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) und Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) haben sich bislang noch nicht zu den Vorwürfen geäußert. Das Uni-Klinikum gehört zum Verantwortungsbereich von Scheeres.
Gutachten macht Personalmangel für Keimbelastung in Bremer Klinik mitverantwortlich
Im Mai diesen und Ende letzten Jahres wurden im Klinikum Bremen-Mitte multiresistente Erreger nachgewiesen, die Ende 2011 zum Tod von drei Frühchen führten. Jüngst kritisierte die Bremer Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) im Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft den Gutachter Professor Walter Popp. Der Hygieniker habe nicht alle Akten der Staatsanwaltschaft erhalten und habe deshalb „fehlerhafte Rückschlüsse“ gezogen. Popp hatte in seinem Gutachten daraufhin gewiesen, dass der Tod der Frühchen aufgrund der Keimbelastung auf diverse Missstände zurückzuführen sei. Nach seiner Einschätzung sind die Senatorin und die Klinikleitung für den Hygieneskandal mit verantwortlich, da sie nicht mit ausreichend Personal auf der Frühchenstation gesorgt hatten. (ag)
Bild: Karl-Heinz Liebisch / pixelio.de
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