Chronische Gesundheitsprobleme in der Lebensmitte weit verbreitet
In reicheren Industrieländern wird zunehmend beobachtet, dass Erwachsene bereits in der Lebensmitte unter chronischen Beschwerden leiden. Eine große britische Langzeitstudie zeigte nun, dass mehr als jede dritte Person vor dem 50. Lebensjahr über mindestens zwei chronische Leiden klagt.
Forschende des Centre for Longitudinal Studies am University College London haben Daten einer Langzeitstudie ausgewertet, bei der rund 8.000 Personen von Geburt an gesundheitlich beobachtet wurden. Die Teilnehmenden wurden um das Jahr 1970 herum geboren. Bei der Auswertung zeigte sich, dass jede dritte Person der Kohorte vor dem 50. Lebensjahr von mindestens zwei chronischen Leiden berichtet. Die Ergebnisse wurden in dem renommierten Fachjournal „BMC Public Health“ vorgestellt.
Weit verbreitete chronische Beschwerden
Mehr als jeder dritte britische Erwachsene leidet bereits im mittleren Alter an zwei oder mehr chronischen Gesundheitsproblemen. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt eine britische Langzeitstudie. Zu den häufigsten chronischen Beschwerden, die die Teilnehmenden angaben, gehören:
- Rückenschmerzen,
- psychische Erkrankungen wie Depression,
- Bluthochdruck,
- Asthma oder chronische Bronchitis,
- Arthritis,
- Diabetes,
- Alkoholismus.
Ablauf der Studie
Die Forschenden analysierten die Daten einer repräsentativen Gruppe von rund 8.000 britischen Erwachsenen, die seit ihrer Geburt vor mehr als 50 Jahren an der sogenannten British Cohort Study (BCS70) teilgenommen haben. Die Probandinnen und Probanden nahmen im Alter von 46 bis 48 Jahren an einer biomedizinischen Untersuchung teil, bei der Gesundheitsfachleute ihren Blutdruck maßen und eine Blutprobe entnahmen, um eine mögliche Diabetes-Erkrankung aufzudecken.
Darüber hinaus wurden die Teilnehmenden über chronische Beschwerden befragt. Viele berichteten dabei von wiederkehrenden Leiden wie Asthma, Herzproblemen und Arthritis. Die psychische Gesundheit sowie der Alkoholkonsum wurden über separate Fragebögen überprüft.
Ergebnisse der Studie
Bei 34 Prozent der Teilnehmenden wurde im Alter zwischen 46 und 48 Jahren mehrere chronische Beschwerden festgestellt. Mehr als ein Viertel (26 Prozent) neigte zu riskantem Alkoholkonsum, mehr als jeder Fünfte (21 Prozent) litt unter wiederkehrenden Rückenschmerzen, knapp ein Fünftel (19 Prozent) klagte über psychische Probleme. Bei einem Sechstel (16 Prozent) wurde Bluthochdruck diagnostiziert. 12 Prozent der Teilnehmenden hatten Asthma oder chronische Bronchitis. Acht Prozent berichteten von Arthritis und jede 20. Person hatte Diabetes.
Häufig auftretende Kombinationen
Die Studie gibt auch einen Hinweis darauf, welche chronischen Beschwerden häufig zusammen auftreten. Bei Personen mit psychischen Beschwerden wurden im Verhältnis häufiger Bluthochdruck und Asthma festgestellt. Bei Personen mit Diabetes wurde häufiger Bluthochdruck diagnostiziert als bei Personen ohne Diabetes.
Ärmere Familien stärker betroffen
Ein besonders hohes Risiko für chronische Beschwerden haben den Forschenden zufolge diejenigen, die in ärmeren Familien aufgewachsen sind. Menschen aus ärmeren Familien berichten häufiger über mehrere chronische Leiden vor ihrem 50. Lebensjahr als Personen aus reicheren Familien.
Die Forschenden berechneten anhand der Daten, dass Erwachsene aus ärmeren Familien ein 43 Prozent höheres Risiko hatten, in der Lebensmitte an mehreren chronischen Gesundheitsbeschwerden zu leiden, als Erwachsene aus privilegierteren Familien. Das Risiko der ärmeren Teilnehmenden eine psychische Erkrankung oder Arthritis zu entwickeln, war laut den Ergebnissen fast dreieinhalb Mal höher als bei reichen Personen. Das Risiko für Bluthochdruck war rund dreimal höher.
Gesundheitliche Ungleichheit beginnt in der Kindheit
„Diese Studie liefert beunruhigende neue Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Bevölkerung in der Lebensmitte“, erläutert Studienhauptautor Dr. Dawid Gondek. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung leide bereits mit Ende 40 unter multiplen langfristigen körperlichen und psychischen Gesundheitsproblemen. Zudem liefere die Studie Hinweise darauf, dass die gesundheitliche Ungleichheit schon in der Kindheit beginnt.
Frühwarnung für chronische Beschwerden in der Lebensmitte
Neben dem sozialen Status der Teilnehmenden gab es weitere frühe Risikofaktoren, die mit späteren chronischen Beschwerden verbunden sind. Teilnehmende mit geringem Geburtsgewicht, einem hohen Body-Mass-Index, niedrigen kognitiven Fähigkeiten im Alter von zehn Jahren oder Verhaltensproblemen im Alter von 16 Jahren hatten in der Lebensmitte häufiger mehrere chronische Leiden im Vergleich zu Teilnehmenden ohne diese Faktoren.
Sinkt die zu erwartende Gesundheit in der Lebensmitte?
„Im Vergleich zu früheren Generationen scheint sich die Gesundheit britischer Erwachsener in der Lebensmitte zu verschlechtern“, betont Dr. Gondek. Da frühere Studien einen Zusammenhang zwischen schlechtem Gesundheitszustand im Erwachsenenalter und geringerer Lebenszufriedenheit, niedrigerem Einkommen und früherem Eintritt in den Ruhestand festgestellt haben, sollten sich die Leitlinien für die öffentliche Gesundheit mit diesem Problem befassen, schlägt Gondek vor.
Menschen sollten dabei unterstützt werden, gesünder zu altern, länger wirtschaftlich aktiv zu bleiben und ein erfülltes Leben führen zu können, resümiert der Studienautor. „Dank der Längsschnittdaten, die über fünf Jahrzehnte des Lebens unserer Studienteilnehmer gesammelt wurden, können wir die langfristigen Zusammenhänge zwischen Kindheit und Jugend und der Gesundheit in der Lebensmitte aufzeigen“, fügt Professor George Ploubidis aus dem Forschungsteam hinzu.
Gesundheit ist auch eine politische Aufgabe
„Wenn diese Zusammenhänge kausale Effekte widerspiegeln, könnten Politik und Praxis, die auf diese Kernbereiche in der Kindheit und Jugend abzielen, die Gesundheit künftiger Generationen verbessern“, so Ploubidis. Auf diese Weise könne auch der Druck auf das Gesundheitssystem reduziert werden.
Einschränkung der Studie
Die Arbeitsgruppe weist darauf hin, dass es sich bei der Untersuchung um eine Beobachtungsstudie handelt. Die tatsächlichen kausalen Hintergründe für die beobachteten Zusammenhänge wurden nicht erforscht. Dennoch identifizierte das Team eine Reihe von Faktoren, die die Gesundheit der Teilnehmenden im Laufe des Lebens mit hoher Wahrscheinlichkeit beeinflusst haben. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Gondek, D., Bann, D., Brown, M. et al.: Prevalence and early-life determinants of mid-life multimorbidity: evidence from the 1970 British birth cohort; in: BMC Public Health, 2021., bmcpublichealth.biomedcentral.com
- Deutsches Ärzteblatt: Generation X: Jeder 3. hat schon vor dem 50. Lebensjahr mehrere chronische Gesundheitsprobleme (veröffentlicht: 08.09.2021), aerzteblatt.de
- Centre for Longitudinal Studies: Over a third of adults have multiple health problems in midlife (veröffentlicht: 27.07.2021), cls.ucl.ac.uk
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.