Superspreader-Location: Nähe zu Ischgl erhöht die Corona-Infektionsrate
Als sich das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 auch immer weiter in Europa ausbreitete, rückte der Skiort Ischgl in Österreich bald in die Schlagzeilen. Denn der sogenannte „Ballermann der Alpen“ gilt als ein Corona-Hotspot, wo sich zahlreiche Menschen aus europäischen Ländern infiziert haben. Die geografische Nähe zu dem Tiroler Ort erhöht laut einer neuen Studie die Infektionsrate.
Anfang März war das Wetter in den Tiroler Alpen mild und es gab ausreichend Schnee. Aus ganz Europa kamen Touristinnen und Touristen nach Ischgl, vor allem zum Skifahren und feiern. Doch auch als erste Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus bekannt wurden, wurde in dem Ort weiter gefeiert. Dadurch entwickelte sich der österreichische Ort zu einer Superspreader-Location und wurde zum „Ground Zero“ der deutschen Corona-Verbreitung.
Einer der Hauptrisikofaktoren für eine vergleichsweise hohe Infektionsrate
Laut einer Mitteilung des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) ist die geografische Nähe zu Ischgl in Tirol offenbar in der aktuellen Corona-Pandemie einer der Hauptrisikofaktoren für eine vergleichsweise hohe Infektionsrate in der Bevölkerung in Deutschland.
Landkreise, die näher an der sogenannten Superspreader-Location Ischgl liegen, haben demnach systematisch höhere Infektionsraten als weiter entfernte.
Dem Institut zufolge geht von anderen Corona-Hotspots kein vergleichbarer Einfluss auf das Infektionsgeschehen in Deutschland aus. Über die Zeit gesehen, ist der Effekt für Ischgl mehr oder weniger konstant. Das zeigt auch, dass der Lockdown gewirkt hat.
Die Studie ist unter dem Titel „Après-ski: The Spread of Coronavirus from Ischgl through Germany“ in der Reihe „Covid Economics“ des Centre for Economic Policy Research (CEPR) erschienen.
Kürzerer Anfahrtsweg erhöht Infektionsrate
„Schon ein um zehn Prozent kürzerer Anfahrtsweg nach Ischgl, erhöht die Infektionsrate im Durchschnitt um neun Prozent“, erklärt IfW-Präsident Gabriel Felbermayr.
„Andersherum bedeutet das auch: Lägen alle deutschen Kreise so weit weg von Ischgl wie der Kreis Vorpommern-Rügen, gäbe es in Deutschland fast 50 Prozent weniger Infektionen mit dem Coronavirus.“
Felbermayr hat zusammen mit Julian Hinz und Sonali Chowdhry aus der IfW Trade Policy Task Force in einer empirischen Studie Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) aus den 401 deutschen Landkreisen ausgewertet und damit die Bedeutung von Ischgl als „Ground Zero“ der deutschen Corona-Verbreitung untermauert.
Lockdown-Maßnahmen haben weitere Verbreitung des Virus verhindert
Zum Vergleich haben sich die Forschenden auch mit den ebenfalls stark von Corona betroffenen Regionen Heinsberg sowie Mulhouse/Grand-Est an der deutsch-französischen Grenze auseinandergesetzt, konnten aber keinen vergleichbaren geografischen Einfluss auf das Infektionsgeschehen in Deutschland empirisch nachweisen.
„Interessant ist vor allem auch, dass die Entfernung zu Ischgl im Laufe der Zeit für die beobachteten Fälle nicht irrelevant wird“, so Felbermayr.
Dem Wissenschaftler zufolge deute das darauf hin, dass die Lockdown-Maßnahmen wirksam dazu beigetragen hätten, die Mobilität zu verringern und eine weitere Verbreitung des Virus in den deutschen Bundesländern zu verhindern.
„Nach den anfänglichen Infektionen durch heimkehrende Skifahrerinnen und Skifahrer gab es keine weitere geografische Verbreitung.“
Katholische Kultur scheint Einfluss auf die Zahl der Fälle zu haben
Das Beispiel Ischgl zeigt jedoch auch, dass die eher langsame Reaktion auf die Corona-Infektionen in Ischgl fatal war: Bereits am 5. März 2020 hat das erste europäische Land den Skiort als Risikogebiet eingestuft.
Dennoch wurden erst neun Tage später Quarantäne-Maßnahmen eingeleitet und der komplette Lockdown folgte noch später. Dem IfW zufolge zeigen Daten vom 20. März 2020, dass ein Drittel aller Fälle in Dänemark und ein Sechstel aller Fälle in Schweden auf Ischgl zurückgeführt werden konnten.
Neben dem geografischen Ischgl-Einfluss auf die Infektionsrate offenbaren die Daten noch einen weiteren bemerkenswerten Einflussfaktor: den Anteil der katholischen Bevölkerung.
„Die katholische Kultur scheint die Zahl der Fälle zu erhöhen – wahrscheinlich durch die vielen Karnevalsfeiern Ende Februar“, sagt Felbermayr.
Weiteren sozio-demografischen Faktoren, wie etwa den Handelsverbindungen nach China, der Altersstruktur, dem Ausländeranteil oder einem „Home-Office-Index“ ist in den vorhandenen Daten jedoch kein Einfluss nachzuweisen.
Tourismus ein wichtiger Faktor für die Verbreitung ansteckender Krankheiten
Den Angaben zufolge sind die Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland insgesamt höchst unterschiedlich von der Corona-Pandemie betroffen, sowohl in Bezug auf die Infektions- als auch auf die Sterblichkeitsrate.
Der deutliche Einfluss Ischgls gilt lediglich für die Infektionsrate und hat keinen Einfluss auf die Mortalität. Diese hänge vor allem am Anteil der über 65-Jährigen sowie der Anzahl der Krankenhausbetten, so die Forscherinnen und Forscher.
Wie es in der Mitteilung heißt, unterstreicht die Analyse, dass der internationale Tourismus ein wichtiger Faktor für die Verbreitung ansteckender Krankheiten ist.
Daher können rechtzeitige Reiseverbote die Übertragungswege einschränken. Beliebte Reiseziele wie Ischgl spielen bei solchen Eindämmungsstrategien eine entscheidende Rolle, weil sie sich schnell zu Superspreader-Locations entwickeln können. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Institut für Weltwirtschaft (IfW): Corona: Nähe zu Ischgl erhöht die Infektionsrate, (Abruf: 27.05.2020), Institut für Weltwirtschaft (IfW)
- Institut für Weltwirtschaft (IfW): Après-ski: The Spread of Coronavirus from Ischgl through Germany, (Abruf: 27.05.2020), Institut für Weltwirtschaft (IfW)
- Centre for Economic Policy Research (CEPR): Covid Economics, Issue 22, (veröffentlicht: 26.05.2020), Centre for Economic Policy Research (CEPR)
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.