Corona-Impfung: Interview mit WHO-Forscherin
Immer wieder wird berichtet, dass an Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 geforscht wird, beziehungsweise manche davon bereits an Menschen getestet werden. Doch wann wird eine Impfung auf breiter Basis zur Verfügung stehen? Womöglich Mitte nächsten Jahres meint eine Expertin.
Die Welt leidet unter dem Coronavirus. Ein effizienter Impfstoff würde die Pandemie zumindest teilweise eindämmen. Doch wann könnte es soweit sein? Ein Gespräch mit der WHO-Chefwissenschaftlerin Soumya Swaminathan. Die ausgebildete Kinderärztin gilt als ausgewiesene Fachfrau in der Tuberkulose- und HIV-Forschung und hat insgesamt mehr als 350 Fachartikel und Buchkapitel veröffentlicht.
Wettlauf um den ersten Impfstoff
Rund um den Globus liefern sich Pharmafirmen einen Wettlauf um den ersten Impfstoff. Die Chefwissenschaftlerin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Soumya Swaminathan, beobachtet das sehr genau. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht sie über hohe Ansprüche, Unwägbarkeiten und darüber, wann sie ein Mittel erwartet.
Was schätzen Sie, wann wird ein Impfstoff reif für den Einsatz sein?
Soumya Swaminathan: Im Moment sind mehr als 20 Impfstoffkandidaten in klinischen Studien. Deshalb sind wir zuversichtlich, dass ein paar von ihnen funktionieren werden. Es wäre sehr viel Pech, sollten alle scheitern. Es ist möglich, dass wir Anfang 2021 Ergebnisse haben werden. So früh im neuen Jahr könnten wir schließlich einen Impfstoff haben. Dann müsste er hergestellt und auf Masse produziert werden.
Wenn wir also sehr praktisch denken, dann könnten wir Mitte 2021 über einen Impfstoff verfügen, der auf breiter Basis eingesetzt werden kann. Natürlich lässt sich das nicht vorhersagen. Wenn wir annehmen, dass es eine zehnprozentige Chance für jeden der Impfstoff-Kandidaten gibt, erfolgreich zu sein, bedeutet das immer noch, dass ein oder zwei Impfstoffe erfolgreich sein könnten – vielleicht sogar mehr.
Werden schneller Fortschritte erzielt als Sie erwartet haben?
Swaminathan: Es geht tatsächlich sehr schnell. Im Vergleich zu jeder anderen Krankheit ist dies der kürzeste Zeitplan, den wir je gesehen haben. Von der Veröffentlichung der Virus-RNA-Sequenz (Redaktion: Viren-Genom) im Januar bis zum ersten Impfstofftest im März vergingen weniger als drei Monate. Das gab es noch nie zuvor.
Es ist möglich, dass die Phase III-Versuche (Redaktion: größere Test zur Wirkung am Menschen) innerhalb eines Jahres nach Beginn der Impfstoffentwicklung abgeschlossen sein werden. Das wäre ein Erfolg und ein Grund zum Feiern. Aber der Abschluss von klinischen Phase-III-Studien bedeutet nicht zwingend, dass der Impfstoff wirksam, sicher und einsatzbereit ist.
Derzeit werden mehrere Impfstoffe an Menschen getestet. Sind Sie besonders optimistisch, was einen bestimmten angeht?
Swaminathan: Wir können nicht vorhersagen, welche dieser Impfstoffe funktionieren werden. Im Moment haben wir absolut keine Ahnung, welcher erfolgreich sein wird. Unser Ansatz ist, dass Impfstoffversuche für so viele Kandidaten wie möglich unternommen werden müssen, damit man die besten Erfolgschancen hat.
Das Interesse und die Investitionen sind sehr hoch, aber wir haben bestimmte Kriterien. Es reicht nicht aus, 20 oder 30 Prozent der geimpften Menschen zu schützen – das wird diese Pandemie nicht beenden. Wir brauchen einen Impfstoff, der etwa 70 Prozent Schutz bietet und sicher ist.
Die Impfstoffe, die getestet werden, haben ziemlich unterschiedliche Ansätze. Haben Sie einen Favoriten?
Swaminathan: Nun, mit einigen Konzepten für einen Impfstoff haben wir mehr Erfahrung, so dass man zumindest weiß, was man erwarten kann. Inaktivierte Virusimpfstoffe werden zum Beispiel seit vielen Jahren eingesetzt. RNA- und DNA-Ansätze sind die beiden neuen, die noch nie beim Menschen eingesetzt wurden.
Wir müssen die Ergebnisse wirklich beobachten und sehen. Wir wissen nicht, wie wirksam diese neuen Plattformen beim Auslösen des Schutzeffekts sind, und kennen auch das Sicherheitsprofil nicht. Aber es ist sehr gut, dass wir so viele verschiedene Ansätze haben. Verschiedene Plattformen können möglicherweise in unterschiedlichen Bevölkerungsuntergruppen – etwa älteren Menschen, schwangeren Frauen oder Kindern – besser funktionieren.
Kürzlich haben verschiedene Studien gezeigt, dass die Antikörper-Level nach einer Infektion schnell zu sinken scheinen. Halten Sie diese Ergebnisse für besorgniserregend?
Swaminathan: Nein, aber wir beobachten sie genau. Die Tatsache, dass neutralisierende Antikörper verschwinden, bedeutet nicht, dass die Immunität weg ist. Die verschiedenen Arten der Immunität gegen dieses Virus werden derzeit noch erforscht.
Es gibt auch Berichte, die darauf hinweisen, dass die zellenvermittelte Immunantwort – die T-Zellen-Antwort – ziemlich wichtig sein könnte. Zusätzlich entwickelt man einige Gedächtniszellen. Diese Zellen können reaktiviert werden, wenn man erneut dem Virus ausgesetzt ist – und eine Immunantwort auslösen.
Wir lernen noch dazu. Was wir von natürlichen Infektionen wissen, ist, dass die Mehrheit der Menschen Antikörper entwickelt – sie entwickeln Immunität. Es ist gut, das zu wissen. Das gibt Hoffnung, dass ein Impfstoff auch eine Immunität hervorrufen wird. Bisher haben wir noch von keinem Fall gehört, bei dem eine zweite Infektion vorliegt. (ad; Quelle: dpa)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.