Übertragung über weite Distanzen in klimatisierten Arbeitsbereichen
Nach den Coronavirus-Masseninfektionen in einigen Fleischverarbeitungsbetrieben stellte sich die Frage, wieso die Branche so stark betroffen ist. Zunächst stand vor allem die Wohnsituation der Beschäftigten im Verdacht, doch eine aktuelle Studie zeigt, dass offenbar die Klimatisierung in den Arbeitsbereichen der entscheidende Faktor ist.
Viel wurde über die Ursachen der Masseninfektionen bei Beschäftigten des Herstellers Tönnies spekuliert und insbesondere die Missstände in den Wohnsituationen wurden massiv angeprangert. Zwar sind diese grundsätzlich durchaus Anlass zur Kritik, doch bezogen auf die Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 scheint die Ursache woanders zu liegen. So macht die neue Studie vor allem die Klimatisierung der Arbeitsbereiche verantwortlich.
Übertragungswege rekonstruiert
Forschende des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und des Heinrich-Pette-Instituts, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie (HPI) haben in einer aktuellen Studie den Coronavirus-Ausbruch bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück untersucht und die Übertragungswege rekonstruiert.
Übertragung hauptsächlich im Zerlegebereich
„Ausgehend von einem einzigen Mitarbeiter wurde das Virus auf mehrere Personen in einem Umkreis von mehr als acht Metern übertragen“, berichtet das HZI von den Untersuchungsergebnissen. Die Übertragung habe zudem hauptsächlich im Zerlegebereich für Rinderviertel stattgefunden, wo die Luft stetig umgewälzt und auf zehn Grad Celsius gekühlt wird. Unter diesen Bedingungen sei offenbar eine Übertragung der Erreger über deutlich höhere Distanzen möglich. Die Wohnsituation der Beschäftigten habe in der untersuchten Phase des Ausbruchs indes keine wesentliche Rolle gespielt.
„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Bedingungen des Zerlegebetriebs – also die niedrige Temperatur, eine geringe Frischluftzufuhr und eine konstante Luftumwälzung durch die Klimaanlage in der Halle, zusammen mit anstrengender körperlicher Arbeit – die Aerosolübertragung von SARS-CoV-2-Partikeln über größere Entfernungen hinweg förderten“, betont Professor Adam Grundhoff, Mitautor der Studie und Forschungsgruppenleiter am HPI.
Erklärung für die vermehrten Infektionen
Laut Professor Grundhoff ist es sehr wahrscheinlich, dass die genannten Faktoren generell eine entscheidende Rolle bei den weltweit auftretenden Ausbrüchen in Fleisch- oder Fischverarbeitungsbetrieben spielen. Hier sei ein Abstand von 1,5 bis 3 Metern offenbar nicht ausreichend, um eine Übertragung zu verhindern.
Welche Lebensbereiche sind noch betroffen?
„Unsere Studie beleuchtet SARS-CoV-2-Infektionen in einem Arbeitsbereich, in dem verschiedene Faktoren aufeinandertreffen, die eine Übertragung über relativ weite Distanzen ermöglichen“, ergänzt Professorin Melanie Brinkmann von der Technischen Universität Braunschweig und Forschungsgruppenleiterin am HZI. Es stelle sich nun die wichtige Frage, unter welchen Bedingungen Übertragungsereignisse über größere Entfernungen auch in anderen Lebensbereichen vorkommen können.
Auffällig war bei der aktuellen Studie zudem, dass die Auswertung der Virussequenzen eine übereinstimmende, bisher noch unbekannte Kombination von acht Mutationen des SARS-CoV-2 bei allen positiv getesteten Personen ergab. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung: SARS-CoV-2-Ausbruch in deutschem Fleischzerlegebetrieb: Übertragungen erfolgten über weite Distanzen in klimatisierten Arbeitsbereichen (veröffentlicht 23.07.2020), helmholtz-hzi.de
- Thomas Guenther, Manja Czech-Sioli, Daniela Indenbirken, Peter Tenhaken, Martin Exner, Matthias Ottinger, Nicole Fischer, Adam Grundhoff, Melanie Brinkmann: Investigation of a superspreading event preceding the largest meat processing plant-related SARS-Coronavirus 2 outbreak in Germany; in: Social Science Research Network (veröffentlicht 17.07.2020), ssrn.com
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