Quarantäne ganzer Dörfer und Städte auch in Deutschland möglich?
Viele Menschen in diesem Land halten sich nicht an die Regeln, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zu verlangsamen. Dabei risikieren sie das Leben unzähliger Menschen, die zum Kreis der Risikopatienten zählen. Die Bundesregierung erwägt deshalb eine Ausgangssperre zu installieren, die dann bundesweit gilt. Am Wochenende wird darüber auf höchster Ebene verhandelt. Doch was sagen die Gesetze? Ist das überhaupt möglich? Welche Befugnisse hat die Bundesregierung? Wir beantworten die wichtigsten Fragen hierzu.
Inhaltsverzeichnis
Quarantäne ganzer Landkreise in Deutschland nicht möglich?
Für viele Menschen mag es unvorstellbar erscheinen, dass Millitär und Polizei in Schutzanzügen ganze Dörfer oder Städte abriegeln, um eine Virus-Pandemie einzudämmen. Als die Bilder aus China in den deutschen Medien gezeigt wurden, sagten viele Beobachter und Experten, dass eine solche Situation in Deutschland faktisch unmöglich sei. In diesen historischen Zeiten aber zeigt sich, dass das auch in Deutschland möglich ist.
Infektionsschutzgesetz mit weitreichenden Befugnissen
Zur Bekämpfung von gefährlichen Seuchen haben europäische Länder – und auch Deutschland – weitreichende Befugnisse, um die Bewegungsfreiheit der Bürger einzuschränken. In Deutschland sind Eingriffsbefugnisse im Infektionsschutzgesetz (IfSG) geregelt. Erst im Jahre 2001 wurde das IfSG vom alten Bundesseuchengesetz abgelöst.
Bei dem Coronavirus besteht eine Meldepflicht
Damit der Staat und die Behörden eine Ausbreitung einer Epidemie im Ausmaß analysieren können, existieren Meldepflichten. Kliniken und Ärzte müssen den Gesundheitsämtern mitteilen, wenn bei Patienten Pest, Cholera, Masern und andere übertragbare Infektionskrankheiten diagnostiziert wurden. Diese Regelungen sind im § 6 und § 8 festgeschrieben. Wie im Falle des neuarigen Coronavirus können die Verordnungen laut § 15 in kurzer Zeit ergänzend fixiert sein.
Weitreichende Ermittlungen erlaubt
Bei Verdacht einer Infektion mit dem Coronavirus dürfen die Behörden weitgehende Ermittlungen vornehmen. Hierzu gehört, dass die Beamten auch ohne Gerichtsbeschluss die Wohnung betreten, Unterlagen in Augenschein und kopieren sowie Proben entnehmen dürfen. Diese Maßnahmen sind im § 16 des IfSG festgeschrieben.
Personen, die sich infiziert haben oder der Verdacht besteht, dass eine Infektion erfolgte, dürfen vorgeladen werden. Dort angekommen dürfen verschiedene Untersuchungen wie Blutentnahme oder bildgebene Diagnostiken vollzogen werden. Das müssen Betroffene laut § 25 über sich ergehen lassen.
Einschränkung des öffentlichen Lebens
Besteht die Gefahr der Ausbreitung, kann das Gesundheitsamt das Leben des Einzelnen oder auch das öffentliche Leben einschränken. Dazu gehört, dass öffentliche Veranstaltungen untersagt werden. Schulen, öffentliche Einrichtungen sowie Kindertagesstätten können geschlossen werden (§ 28). Wenn es einen medizinischen Sinn ergibt, können Gesundheitsbehörden auch eine Impfpflicht laut § 20 anordnen. Da im Falle des Coronavirus bislang keine Impfungen vorhanden sind, ist dieser Punkt derzeit ausgeschlossen. Sobald aber eine Impfung getestet und sich als sinnvoll herauskristalisiert hat, ist auch dieser Punkt sehr wahrscheinlich.
Isolierung von Verdachtsfällen und Infizierten
Infizierte, Erkrankte und sogar Verdachtsfälle dürfen in Voll-Quarantäne isoliert werden. So soll eine weitere Ausbreitung und Ansteckungsgefahr für die soziale Umwelt verhindert werden. In Kliniken werden die Patienten isloiert von anderen behandelt. Weigern sich die Betroffenen, dürfen Zwangsmittel eingesetzt werden. Den Patienten werden persönliche Gegenstände und Unterlagen abgenommen. Telefonate mit der Außenwelt werden abgehört und Briefe gelesen. Das alles regelt der § 30. In abgeschwächter Form kann auch ein Berufsverbot erfolgen. Ist der Patient oder Verdachtsfall zum Beispiel ein Lehrer, kann ihm die Berufsausübung nach § 31 für eine Zeit untersagt sein.
Quarantäne ganzer Dörfer oder Städte
In der öffentlichen Debatte weitgehende und freiheitseinschränkende Maßnahmen eher beschwichtigt. So sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, dass in Deutschland keine Gesetzesregelung existiere, die eine Quarantäne ganzer Landkreise oder Städte erlaube. Das ist allerdings unserer Auffassung nicht ganz richtig. Solche Maßnahmen sind zwar nicht im Gesetz ausdrücklich fixiert, allerdings räumt der Gesetzgeber den Gesundheitsämtern nach § 28 „alle notwendigen Maßnahmen“ ein. Zusätzlich können die Landesregierungen zur Eindämmung einer Epidemie per Rechtsverordnung nach § 17 und § 32 entsprechende Verbote aussprechen.
Werden Grundrechte ausgehebelt?
Faktisch gelten dann noch die Grundrechte der Bürger. Doch das Grundgesetz besagt eindeutig, dass zur „Bekämpfung der Seuchengefahr“ die Grundrechte der Bürger der Bundesrepublik Deutschland eingeschränkt werden können. Dazu gehört auch eine Quarantäne zu erlassen. Bürger dürfen dann nicht den Ort verlassen, den die Behörden vorgeschrieben haben.
Nicht ganz ohne Grundrechte
Ganz ohne Rechte sind Bürger aber hierzulande nicht. Daten, die erhoben werden, dürfen beispielsweise nur zur Seuchenbekämpfung verwendet werden. Diagnostiken, die einen invasiven Charakter haben, können nur mit Zustimmung des Patienten erfolgen. Gleiches gilt, wenn eine Betäubung erfolgen soll (§§ 16 und 25). Zudem ist eine Zwangstherapie laut § 28 nicht erlaubt!
Verhätnismäßigkeit muss eingehalten werden
Der Staat, die Länder und die Gesundheitsbehörden sind dazu angehalten, immer eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Vorsorgemaßnahmen, die eine erhebliche Einschränkung der individuellen und wirtschaftlichen Freiheiten mitsich bringen, müssen genau auf deren Erfordernis geprüft sein. Nur wenn führende Mediziner und Virologen eindeutig von der Erfordernis einer Quarantäne ganzer Dörfer oder Städte oder des ganzen Landes überzeugt sind, um das Virus einzudämmen, dürfen diese massiven Maßnahmen erfolgen. Aus diesem Grund wird immer wieder eine neue Lageeinschätzung von berufenen Experten eingefordert. Denn die Auswirkungen auf die Wirtschaft und das soziale Leben sind immens.
Wenn die Ausgangssperre kommt
Noch ist unklar, in wie weit eine Ausgangssperre ausgerufen wird. Möglich ist, dass zahlreiche Ausnahmen bestehen bleiben. So kann es möglich sein, dass Spaziergänge allein, zu zweit oder als Familie weiterhin geduldet werden. Auch Einkäufe und wichtige Erledigungen, z.B. Arztbesuche, Erwerben von Medikamenten oder der Weg zur Arbeit könnten ausnahmsweise gelten. Die Befugnisse können aber auch bis zum kompletten Erliegen des öffentlichen Lebens reichen. Wahrscheinlich ist aber, dass zahlreiche Ausnahmen gelten werden. Fakt ist, dass die Polizei Verstöße Geld- oder sogar Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren ahndet.
Wird auch die Bundeswehr eingesetzt?
Der Einsatz der Bundeswehr erscheint wahrscheinlich. Allerdings werden die Soldaten höchstens bei der Bewachung zivieler und kritischer Infrastrukturen eingesetzt. Polizeiliche Aufgaben im Inneren erscheinen eher unwahrscheinlich. So sagte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn gegenüber “welt.de”, dass er sich Kontrollen von Soldaten in Städten bei einer Ausgangssperre nicht vorstellen kann.
Betroffene können per Gericht Quarantäne überprüfen lassen
Betroffene haben immer das Recht gegen solche Maßnahmen der Behörden vor ein Verwaltungsgericht zu ziehen. Allerdings haben Klagen keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, ein Gericht kann auf Antrag eine Maßnahme nicht außer Kraft setzen. Laut Prozessrecht kann per Eilantrag aber eine Aufhebung einer mumaßlich rechtswidrigen Handlung beantragt werden. Das Gericht prüft, ob eine Verhätnismäßigkeit besteht.
Keine verfassungsrechtlichen Bedenken
Verfassungsrechtler, wie der Staatsrechtler Ulrich Battis sieht allerdings keine verfassunsrechtlichen Bedenken bei einer nationalen Ausgangssperre. „Es ist völlig normal, dass Grundrechte massiv eingeschränkt werden können. Auch Ausgangssperren sind möglich, wenn sie mit einem plausiblen Konzept begründet werden“, sagte Battis gegenüber der Welt. Jedoch müsse der Staat immer die Angemessenheit genau prüfen und die mildeste Variante wählen. (sb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) (Abruf: 21.03.2020), Bundesministerium für Verbraucherschutz
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.