SARS-CoV-2-Mutationen: COVID-19-Fallzahlen senken
Die Bundesregierung hat die Einreise aus manchen Ländern drastisch eingeschränkt, um die Ausbreitung von besonders ansteckenden Coronavirus-Mutationen zu bremsen. Die neuen Virus-Varianten, die zum Teil mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden sein sollen, sind auch schon in Deutschland nachgewiesen worden. Es braucht noch mehr Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.
Dass Viren mutieren, ist nicht ungewöhnlich. Auch von dem Auslöser der Erkrankung COVID-19, dem Coronavirus SARS-CoV-2, sind bereits einige Mutationen bekannt geworden. Und es werden noch mehr werden, denn erst kürzlich berichteten Forschende, dass das Virus „fröhlich vor sich hin“ mutiert und mit 23 Mutationen pro Jahr zu rechnen sei. Mutationen von SARS-CoV-2 erhöhen die Dringlichkeit, die COVID-19-Fallzahlen in ganz Europa konsequent zu senken.
Entschiedenes und abgestimmtes Vorgehen
Wie die Max-Planck-Gesellschaft in einer aktuellen Mitteilung schreibt, entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Europa einen Aktionsplan, um die COVID-19-Fallzahlen in ganz Europa koordiniert zu senken. Konkret plädieren sie dafür, eine sieben-Tage-Inzidenz von etwa zehn Fällen pro 100.000 Einwohnenden und Woche anzustreben.
Gerade angesichts der neuen Varianten des Coronavirus SARS-CoV-2 halten die Fachleute ein entschiedenes und europaweit abgestimmtes Vorgehen für geboten, um die Pandemie einzudämmen.
Fallzahlen deutlich senken
Die Welt wird wohl auf absehbare Zeit mit dem Coronavirus leben müssen, zumindest bis große Teile der Bevölkerung gegen COVID-19 geimpft sind. Zudem zeigt die bisherige Entwicklung in Europa, dass sich die Pandemie nicht in den Griff bekommen lässt, wenn die Länder unabgestimmt vorgehen. Denn der Erreger kennt keine Grenzen und wird sich immer wieder von Regionen mit hohen Fallzahlen in Gebiete ausbreiten, in denen es vorübergehend nur wenige Infektionen gab.
Neue Virusvarianten wie zum Beispiel B.1.1.7 aus Großbritannien könnten die bisherigen Erfolge im Kampf gegen die Pandemie gefährden und das Infektionsgeschehen weiter anfachen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehreren europäischen Ländern erläutern ihre Forderungen nach einem gemeinsamen europäischen Vorgehen daher in einem Positionspapier in der Fachzeitschrift „The Lancet“.
„Je niedriger die Fallzahlen, desto einfacher ist die Kontrolle der Pandemie, desto mehr Freiheiten können wir uns erlauben und desto besser ist es für die Gesundheit, die Gesellschaft die Wirtschaft“, erklärt Viola Priesemann, die am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation eine Forschungsgruppe leitet. Die Gesundheitsämter könnten das Infektionsgeschehen nur bei niedrigen Fallzahlen durch konsequentes Testen, Nachverfolgen der Kontakte und Isolieren eindämmen.
Wie drastisch neue Virusformen wie beispielsweise B.1.1.7 dieses Vorgehen erschweren, erläutert die Expertin mit einer Rechnung: Derzeit verdichten sich die Hinweise, dass der R-Wert für die neue Variante um 0,4 höher liegt als für die bisher vorherrschende Form. Beträgt der R-Wert dann etwa 1,4 statt nur wenig über 1, verdoppeln sich die Infektionszahlen wöchentlich statt alle vier Wochen. Gerade um die Ausbreitung solcher Varianten kontrollieren zu können, seien deswegen niedrige Fallzahlen nötig.
Wirtschaft wird durch Virus gebremst
Zudem weist Melanie M. Brinkmann, Leiterin der Abteilung Virale Immunmodulation am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, darauf hin, dass hohe Fallzahlen auch die Aussicht gefährden können, dass sich die Pandemie durch eine Impfung kontrollieren lässt. Denn wenn es viele neue Infektionen gebe, während gleichzeitig schon viele Personen geimpft sind, könnten Virusvarianten entstehen, die den Impfschutz unterlaufen können.
Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Instituts, betont, dass niedrige Fallzahlen auch aus ökonomischer Perspektive angestrebt werden müssten: „80 Prozent des wirtschaftlichen Einbruchs sind auf das Virus selbst zurückzuführen.“
Nicht der Lockdown bremse laut dem Fachmann die wirtschaftliche Aktivität, sondern die Tatsache, dass das Virus da ist. Selbst wenn etwa Geschäfte und Kinos bei hohen Fallzahlen öffnen, gehen die Menschen nicht hin, da sie Angst haben sich anzustecken.
Fuest hält es wirtschaftlich für viel weniger schädlich, einen Lockdown, durchzuhalten, bis die Fallzahlen auf ein niedriges Niveau gesunken sind, statt einen ständigen Wechsel von Öffnen und Schließen.
Maßnahmen in verschiedenen Bereichen nötig
Um zu etwa zehn Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnenden und Woche zu kommen, schlagen die Autorinnen und Autoren des Positionspapier eine Reihe von Maßnahmen vor. Es brauche demnach Beiträge aus allen Bereichen. Dazu gehört, die Möglichkeiten für Homeoffice sowie Online-Unterricht zu verbessern. Zudem sollten „kleine, stabile soziale Blasen“ und stabile Gruppen zu Hause und am Arbeitsplatz gegenüber ständig wechselnden Kontakten den Vorrang haben.
Nach wie vor müssten Ansteckungen natürlich auch durch Abstandhalten, Hygienemaßnahmen einhalten, Maskentragen sowie Belüftung und Verwendung von Filtern verhindert werden. Für Bedürftige und für alle, die nicht von zu Hause aus arbeiten könnten, müssten FFP2-Masken zur Verfügung gestellt werden. Geschlossene und überfüllte Räume sollten gemieden werden. Bei auftretenden Symptomen sollten Betroffene unbedingt zu Hause bleiben.
Des Weiteren sollten kostenlose Tests an Schulen und Arbeitsplätzen angeboten werden, um Ausbrüche frühzeitig zu erkennen und Menschen zu schützen. Die Testkapazitäten müssten erhöht werden, um die Nachfrage zu decken und das Abwasser müsse überwacht werden, um örtliche Ausbrüche frühzeitig zu erkennen. Darüber hinaus sollten mehr Abstriche auf die neuen SARS-CoV-2 Varianten überprüft werden.
Der Reiseverkehr innerhalb von Staaten und über die Landesgrenzen hinweg müsse auf das Nötigste verringert werden und von grenzüberschreitenden Reisenden sollten Tests und Quarantäne verlangt werden; diese sollten 24 Stunden vor und sieben bis zehn Tage nach der Reise getestet werden.
Mehr Kontakte bei niedrigen Infektionszahlen
Des Weiteren müssten der Schutz und die Unterstützung von älteren Menschen und gefährdeten Gruppen verbessert werden. Niedrige Fallzahlen und vor allem eine niedrige Dunkelziffer verringerten die Risiken der Einschleppung deutlich.
Impfungen müssten beschleunigt und die Produktion von Impfstoffen erhöht werden. Und auch unter Geimpften müssten Ansteckungen überwacht werden, um eine mögliche Neuansteckung mit neuen Varianten so schnell wie möglich zu erkennen.
„Wenn viele europäische Ländern gleichzeitig und konsequent das Ziel von zehn Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche anstreben, dann profitieren alle“, so Viola Priesemann. Denn je niedriger die Fallzahlen im Nachbarland oder in der Nachbarregion lägen, desto einfacher sei es, die Fallzahlen auch lokal zu senken.
Bei niedrigen Infektionszahlen könne dann jede einzelne Person wieder mehr Kontakte haben. „Es lohnt sich also aus jeder Perspektive, epidemiologisch, sozial und wirtschaftlich, in ganz Europa die Fallzahlen konsequent zu senken und niedrig zu halten.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Planck-Gesellschaft: Europaweit gegen neue Coronaviren, (Abruf: 30.01.2021), Max-Planck-Gesellschaft
- Viola Priesemann, Rudi Balling, Melanie M Brinkmann, Sandra Ciesek, Thomas Czypionka, Isabella Eckerle, et al.: An action plan for pan-European defence against new SARS-CoV-2 variants; in: The Lancet, (veröffentlicht: 21.01.2021), The Lancet
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.