Selbstquarantäne vor Weihnachten – ist das sinnvoll?
Weihnachten verbringen die meisten Menschen hierzulande zusammen mit der Familie. Von Oma und Opa über Onkel und Tante bis hin zu Enkelinnen und Enkeln kommen da nicht selten einige Personen aus verschiedenen Generationen und mit unterschiedlichen Kontaktkreisen zusammen. Aus Angst, andere Familienmitglieder anzustecken, wollen sich viele Menschen kurz vor dem weihnachtlichen Beisammensein in Selbstquarantäne begeben. Kann dadurch das Ansteckungsrisiko gesenkt werden?
Einige Familien haben es schon in den Herbstferien gemacht, zu Weihnachten haben das noch weitaus mehr in Planung: sich vier bis fünf Tage in Selbstquarantäne begeben. Die Politik ruft ebenfalls dazu auf. Wie sinnvoll ist das?
Selbstauferlegte Quarantäne vor Weihnachten
Die Ministerpräsidenten der Länder rufen die Menschen auf, vor den Weihnachtsfeiertagen in eine möglichst mehrtägige häusliche Selbstquarantäne zu gehen. „Dies kann durch ggf. vorzuziehende Weihnachtsschulferien ab dem 19.12.2020 unterstützt werden“, heißt es. Damit solle die Gefahr von Corona-Infektionen im Umfeld der Feierlichkeiten so gering wie möglich gehalten werden.
Wie sinnvoll wäre eine mehrtägige Selbstquarantäne?
Die sogenannte Inkubationszeit beträgt laut Medizinstatistiker Professor Dr. Tim Friede von der Uni Göttingen im Durchschnitt fünf bis sechs Tage. Gemeint ist die Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung – man kann jedoch auch davor und danach infektiös sein. Auch das Robert Koch-Institut (RKI) und etwa der Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie der Uni Göttingen, Professor Dr. Uwe Groß, berufen sich auf diese Zahlen.
Nicht alle Infizierten zeigen Symptome
Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass ein großer Teil der Infizierten gar keine klinischen Symptome entwickle und dennoch infektiös sein könne, sagt Groß. Das seien in etwa 15 bis 45 Prozent. „Vor allem junge Leute.“ Er halte den Appell der Ministerpräsidenten dennoch für „sehr gut“.
Fünf Tage Selbstquarantäne zu kurz
Ein weiteres Problem der Selbstquarantäne ist laut Friede auch, „dass es hier keinen zeitlichen Bezugspunkt gibt, wie etwa ein erster negativer Test“. Man wisse daher nicht, ob sich die jeweilige Person infiziert habe oder nicht und ob sie schon oder vielleicht nicht mehr infektiös sei. Er halte daher das Infektionsrisiko auch nach fünf Tagen Selbstquarantäne „noch für erheblich“, betont dennoch aber: „eine Quarantäne von vier bis fünf Tagen ist natürlich besser als gar keine Quarantäne“.
Inkubationszeit in manchen Fällen bis zu 14 Tage
Zudem könnten in seltenen Fällen – bei weniger als fünf Prozent der Infizierten – auch erst nach zehn bis 14 Tagen Symptome auftreten. Bis wann maximal Symptome auftreten können, lasse sich nicht genau festmachen. „Aber klar ist natürlich, dass die Wahrscheinlichkeit immer geringer wird, je mehr Tage vergehen.“
Ansteckungsrisiko könnte durch Selbstquarantäne sinken
„Aus den genannten Daten würde ich ableiten, dass die Wahrscheinlichkeit, Symptome zu entwickeln, auch nach fünf Tagen noch bei durchaus 50 Prozent liegen könnte“, sagt Friede. Hintergrund seiner Annahme: Er gehe von einer halbwegs symmetrischen Verteilung aus wie etwa einer sogenannten Normalverteilung – ein wichtiger Typ der Wahrscheinlichkeitsverteilungen in der Statistik.
Höhepunkt der Kurve ist nach 5 bis 6 Tagen erreicht
„Wenn man von einer Inkubationszeit, also einem Mittelwert von fünf bis sechs Tagen ausgeht, bildet dieser Mittelwert den Höhepunkt der symmetrischen Kurve“, sagt Friede. Folglich würden etwa 50 Prozent der Fälle erst nach diesem durchschnittlichen Mittelwert Symptome entwickeln. „Bei einer schiefen Verteilung, die auch nicht ganz abwegig hier ist, wäre der Anteil allerdings geringer. Gute Daten sind mir dazu aber nicht bekannt“, sagt Friede.
Ist man erst nach Auftreten der Symptome infektiös?
Nein, Erkrankte können schon vorher infektiös sein. „Und zwar etwa ein bis drei Tage vorher“, sagt Friede. Das mache die Sache natürlich viel komplizierter, da die Betroffenen dies nicht wissen können – es sei denn, sie wurden getestet.
Wann im Verlauf der Infektion ist man besonders ansteckend?
Laut Groß ist man ein bis drei Tage vor Auftreten der Symptome schon „hochgradig infektiös“. Grund sei, dass sich das Virus zunächst stark in der Mundhöhle vermehre und erst dann in die Lunge wandere. Aber auch in den zwei bis drei Tagen nach dem Auftreten der Symptome sei die Gefahr einer Ansteckung noch „sehr hoch“.
Höhepunkt von vielen Faktoren abhängig
Der Höhepunkt einer Infektion lasse sich nicht pauschal bestimmen, sondern hänge von der Infektionsdosis ab. „Wenn Person A 100 Viruspartikel aufnimmt und Person B 100.000 Viruspartikel, dann wird Person B eine kürzere Inkubationszeit haben, schneller Symptome entwickeln und somit auch früher hochgradig infektiös sein“, sagt Groß.
Ab wann ist man infektiös?
Eine Infektion sei erst nach einigen – frühestens zwei, typischerweise vier bis sieben – Tagen nachdem man einer infektiösen Person begegnete etwa mittels PCR-Test feststellbar und erst dann sei man ansteckend, sagt Andreas Podbielski von der Uni Rostock. „Infektionssymptome treten noch einmal ein bis zwei Tage später auf. Typischerweise wird jemand, der sich Heiligabend infiziert, selber erst nach Weihnachten ansteckend sein.“
Theoretisch sei es möglich, dass man schon am Tag der Infektion ansteckend sei, sagt Groß. „Ich persönlich halte das eher für unwahrscheinlich. Es sei denn, man infiziert sich um 0.30 Uhr in der Disco mit sehr hoher Viruslast; dann könnte man eventuell schon am späten Abend (23.00 Uhr) infektiös sein. Aber wie gesagt: Noch ist das alles sehr theoretisch.“ (vb/Quelle: Jordan Raza, dpa)
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