Corona: Impfstart „wahrscheinlich Anfang 2021“
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) arbeiten Forschende weltweit derzeit an rund 150 möglichen Impfstoff-Kandidaten gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Einige davon befinden sich bereits in der Zulassungsphase. Fachleute aus Deutschland meinen, dass die erste Impfstoffzulassung hierzulande noch in diesem Jahr erfolgen und Anfang 2021 mit dem Impfen begonnen werden könnte.
Kaum eine Frage ist aktuell so brennend wie die, wann endlich die ersten Impfungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 möglich sind. Zwei Mitglieder der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin sind Professoren des Universitätsklinikums Erlangen. Sie gehen davon aus, dass Anfang kommenden Jahres in Deutschland mit einer Impfkampagne begonnen werden kann.
COVID-19-Impfstrategie
Laut einer aktuellen Mitteilung der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg hat die Ständige Impfkommission (STIKO) am RKI in der Berufungsperiode von 2020 bis 2023 insgesamt 18 Mitglieder – zwei von ihnen kommen aus dem Universitätsklinikum Erlangen der FAU: Prof. Dr. Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene sowie Prof. Dr. Klaus Überla, Direktor des Virologischen Instituts – Klinische und Molekulare Virologie.
In der STIKO arbeiten die beiden Wissenschaftler mit an einer COVID-19-Impfstrategie für Deutschland. Diese könnte noch vor Ablauf des Jahres feststehen. Aber erst wenn die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) sowie das deutsche Paul-Ehrlich-Institut (PEI) einen Impfstoff zugelassen haben – wenn er also aufgrund klinischer Phase-III-Studien als wirksam, sicher und qualitativ hochwertig gilt –, kann die STIKO eine Impfempfehlung aussprechen.
Dabei berücksichtigt die Kommission nicht nur gesundheitliche Nutzen-Risiko-Aspekte für den Einzelnen, sondern bewertet Impfungen auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung.
„Keine Zeit verlieren“
Prof. Bogdan und Prof. Überla leisten in der STIKO-Arbeitsgruppe „COVID-19-Impfung“ die Vorarbeit für eine bundesweite Impfstrategie. „In der Arbeitsgruppe analysieren wir die umfangreiche Literatur zu COVID-19. Es geht vor allem um die Frage, was man mit der COVID-19-Impfung erreichen will und wer geimpft werden soll“, erläutert Prof. Bogdan – seit 2011 STIKO-Mitglied.
Die Arbeitsgruppe entwirft eine Empfehlung, über die dann die gesamte STIKO abstimmt. Dabei können jederzeit Korrekturen vorgenommen werden – die Arbeitsgruppe bekommt also ein neutrales Feedback. Dann geht die Beschlussvorlage an den Gemeinsamen Bundesausschuss der Krankenkassen (G-BA), der darüber befindet, ob die Impfung in die Schutzimpfungs-Richtlinie aufgenommen wird und damit von den Krankenkassen erstattet werden muss.
„Ich gehe davon aus, dass die Zulassung eines oder mehrerer COVID-19-Impfstoffe noch im Dezember 2020 erfolgen wird und dass wir auch zeitnah unsere Strategie veröffentlichen. Verabreicht werden könnte der Impfstoff wahrscheinlich schon Anfang 2021“, so Prof. Bogdan.
Das Besondere hierbei: Normalerweise beurteilt die STIKO einen Impfstoff erst dann, wenn dieser zugelassen ist. „Eine Impfstoffentwicklung hat in der Vergangenheit manchmal 10 bis 15 Jahre gedauert“, sagt Prof. Überla, der seit 2017 Mitglied der STIKO ist. Bei der Corona-Impfung ist es jetzt anders: Die STIKO evaluiert die Impfstoffe parallel zum Zulassungsverfahren von EMA und PEI. Zahlreiche Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse wurden extrem beschleunigt.
„Wir wollen keine Zeit verlieren. Trotzdem werden wir nicht einfach irgendetwas durchwinken“, erläutert Prof. Bogdan. Die Zahlen zur Wirksamkeit seien momentan jedoch „sehr vielversprechend“.
Höherer Schutz als bei der Grippeimpfung
„Von drei verschiedenen Impfstoffherstellern wurden jetzt Schutzraten von 90 Prozent und höher berichtet, was uns angenehm überrascht hat.“ Bei der Grippeimpfung gebe es beispielsweise einen deutlich niedrigeren Schutz von nur 50 bis 60 Prozent, je nach Saison.
„Trotzdem müssen wir auch für die Corona-Impfung eine detaillierte Nutzen-Risiko-Bewertung vornehmen. An den Regeln und Sicherheitsanforderungen hat sich trotz des rasanten Tempos nichts geändert“, erklärt Prof. Bogdan.
Den Angaben zufolge liegen die Daten aus klinischen Phase-I- und Phase-II-Studien mit ersten Impfstoffkandidaten bereits vor und auch die Ergebnisse aus den Phase-III-Studien soll die STIKO in Kürze erhalten. In den derzeit laufenden Phase-III-Studien wird überprüft, ob Geimpfte neutralisierende Antikörper gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 bilden und ob bei den Probandinnen und Probanden zudem eine spezifische Immunantwort aufgebaut wird, die durch T-Lymphozyten – also bestimmte weiße Blutzellen – vermittelt wird.
„In den Studien wird erfasst, wie viele COVID-19-Infektionen bei den Geimpften im Vergleich zu einer ungeimpften Kontrollgruppe auftreten. So kann die Wirksamkeit eines Impfstoffs abschließend beurteilt werden“, so Prof. Überla.
„Wenn die Studienunterlagen dann zur STIKO kommen, prüfen wir, ob Wirksamkeit und Sicherheit ausreichend nachgewiesen wurden und ob der Nutzen der Impfung für die Bevölkerung so groß ist, dass wir eine Empfehlung aussprechen können. Wir müssen auch darüber entscheiden, welche Personengruppen den Impfstoff überhaupt erhalten sollen bzw. wer ihn zuerst bekommt. Oberste Ziele sind, Risikogruppen wie Ältere und Menschen mit Grunderkrankungen bestmöglich zu schützen und eine Weiterverbreitung des Virus zu verhindern.“
Nicht vorschnell in Sicherheit wiegen
Laut der Mitteilung kann es dabei auch passieren, dass die STIKO über verschiedene zugelassene Impfstoffe befinden muss und dass diese eventuell für unterschiedliche Personengruppen infrage kommen. Da es noch viele Monate dauern wird, bis größere Bevölkerungsgruppen geimpft sind, sollten sich die Menschen nach Ansicht der Erlanger Fachleute nicht vorschnell in Sicherheit wiegen.
„Ein Impfstoff wird uns nicht erlauben, alle Hygienemaßnahmen schlagartig über Bord zu werfen“, sagt Prof. Bogdan. „Wir werden zunächst nur einen Teil der Gesellschaft durch eine Impfung schützen können und müssen dann sehen, wie gut es mit der Produktion und Verteilung der Impfstoffe und mit der Durchführung der Impfungen vorangeht“, so der Experte.
„Persönlich hoffe ich dennoch, dass es uns als Gesellschaft gelingt, innerhalb von 90 Tagen nach Zulassung 90 Prozent der Hochrisikogruppen mit einem Impfstoff zu schützen, der mindestens eine Wirksamkeit von 90 Prozent aufweist. Für mich sind das die 90-90-90-Ziele der COVID-19-Impfung“, sagt Prof. Überla.
„Damit könnten wir einen großen Teil der COVID-19-Todesfälle vermeiden und das Risiko der Überlastung des Gesundheitssystems bannen. Wenn wir das erreichen, kann eine Neubewertung der Kontaktreduktionsmaßnahmen erfolgen, die natürlich auch die vielen negativen Folgen für jeden Einzelnen, die Wirtschaft und die Gesellschaft berücksichtigt.“
Dokumentation der Nebenwirkungen
Wie in der Mitteilung erklärt wird, sind die Phase-III-Studien für den Corona-Impfstoff deutlich größer angelegt als bei vielen früher zugelassenen Impfstoffen. „Wir sprechen schon jetzt von über 43.000 Personen, die einen der sogenannten COVID-19-mRNA-Impfstoffe im Rahmen einer Phase-III-Studie erhalten haben. Im Rahmen der laufenden Phase-III-Studie zu einem der Adenovirus-basierten COVID-19-Impfstoffe ist der Einschluss von bis zu 60.000 Probanden vorgesehen“, so Prof. Bogdan.
„Bei so großen Gruppen können wir auch seltene Nebenwirkungen erkennen, die zum Beispiel bei weniger als einem von 1.000 Geimpften auftreten. Dabei ist immer auch zu prüfen, ob Nebenwirkungen kausal auf die Impfung zurückzuführen sind oder ob sie einfach zufällig mit einer Impfung zusammentrafen. Deshalb muss es eine langfristige gründliche Dokumentation von unerwünschten Ereignissen geben, die möglicherweise mit der Impfung in Verbindung stehen“, erklärt der Wissenschaftler.
„Es geht letztlich immer um eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Sehr seltene Nebenwirkungen werden wir erst beobachten können, wenn der Impfstoff längerfristig genutzt wird und wenn wir Anwendungsstudien machen können. Langzeitfolgen sind aber sehr selten. Die meisten unerwünschten Ereignisse treten schon zwei, drei Wochen nach einer Impfung auf“, ergänzt Prof. Überla. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: „Wir werden nicht einfach etwas durchwinken“, (Abruf: 25.11.2020), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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