COVID-19: Keine Herdenimmunität in Schweden
Schweden sorgte in der Coronakrise immer wieder für Aufsehen, da das Land eine kontrollierte Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 zuließ, mit dem Ziel, möglichst schnell eine Herdenimmunität zu erreichen. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass dieses Ziel bislang in weiter Ferne liegt.
Forschende des University College London veröffentlichten einen Bericht, der sich auf Studien zur Herdenimmunität in Schweden stützt. Darin wird nicht nur erwähnt, dass Schweden weit entfernt von einer Herdenimmunität gegen COVID-19 ist, sondern auch, dass eine Herdenimmunität generell in nächster Zeit kein Schutz sein wird, auf den man setzen kann. Der Artikel wurde kürzlich im „Journal of the Royal Society of Medicine“ publiziert.
Schwedens Sonderweg in der Coronakrise
Immer wieder fiel während der Coronakrise der Blick nach Schweden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern verhängten die Verantwortlichen keinen harten Lockdown, sondern setzten auf die individuelle Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Die Politik ist deshalb in Kritik geraten, weil Schweden im Vergleich zu den Nachbarländern höhere Raten an Virusinfektionen, Krankenhausaufenthalten und Todesfällen aufwies.
Voraussagen weit verfehlt
Die schwedischen Gesundheitsbehörden schätzten, dass bis zum Mai 2020 rund 40 Prozent der Stockholmer Bevölkerung mit dem Coronavirus infiziert seien und Antikörper erworben hätten. Aktuelle Untersuchungen zeigen nun jedoch, dass nur 15 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Stockholms Antikörper gegen das Virus vorweisen.
Keine Antikörper bei leichten und asymptomatischen Verläufen
Wie die Autoren des aktuellen Beitrags berichten, deuten jüngste Forschungsergebnisse darauf hin, dass nicht jeder COVID-19-Betroffene Antikörper zu bilden scheint. Während Patientinnen und Patienten mit schweren Verläufen Antikörper in der frühen Genesungsphase der Krankheit ausbilden, sind die Antikörper bei leichten oder asymptomatischen Verläufen weitaus seltener nachweisbar. Das bedeutete, dass diese Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht immun gegen eine weitere Infektion sind und somit auch andere nicht vor einer Ansteckung schützen können.
Hat Schweden auf das falsche Pferd gesetzt?
„Es ist klar, dass nicht nur die Raten der Virusinfektionen, der Krankenhauseinweisungen und der Sterblichkeit viel höher sind als in den benachbarten skandinavischen Ländern, sondern auch, dass der zeitliche Verlauf der Epidemie in Schweden anders ausfällt, wobei die Infektions- und Sterblichkeitsrate weit über die der wenigen kritischen Wochen hinausgeht, die in Dänemark, Finnland und Norwegen beobachtet wurden“, betont der Hauptautor Professor David Goldsmith.
Der Brite fügt hinzu: „Wir im Vereinigten Königreich täten gut daran, uns daran zu erinnern, dass wir fast den gleichen Weg wie Schweden gegangen sind, da hier Anfang März oft über Herdenimmunität gesprochen wurde.“ Aufgrund der verspäteten Abriegelung seien auch in England die COVID-19-Todesraten vergleichsweise hoch.
Am Ende wird ausgewertet
Der Autor weist jedoch auch darauf hin, dass man erst am Ende der Pandemie die ergriffenen Maßnahmen vollständig auswerten kann. In ein oder zwei Jahren werde man fair beurteilen können, was richtig gemacht wurde und was nicht. (vb)
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Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Eric J W Orlowski, David J A Goldsmith: Four months into the COVID-19 pandemic, Sweden’s prized herd immunity is nowhere in sight; in: Journal of the Royal Society of Medicine, 2020, journals.sagepub.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.