Welche Rolle spielt der Darm?
Bereits mehrere Studien haben gezeigt, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 auch den Darm infizieren kann. Ein europäisches Forschungsteam untersuchte nun, wie die Zellen im Darm auf eine SARS-CoV-2-Infektion reagieren. Dabei zeigte sich, dass der Darm vielleicht eine größere Rolle im Infektionsgeschehen spielt, als bislang gedacht.
Forschende des European Molecular Biology Laboratory erstellten Organoide aus menschlichen Darmzellen, um zu analysieren, wie die Zellen im Darm auf das Coronavirus SARS-CoV-2 reagieren und welchen Einfluss dies auf die Immunantwort hat. Ihre Forschungsergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal „Molecular Systems Biology“ vorgestellt.
Organoide aus menschlichen Darmzellen
Die Erstellung von Organoiden ist eine relativ neue Forschungsmethode, bei der aus Zellen ein Modell gezüchtet wird, welches die Funktion bestimmter Organe nachahmt. In diesem Fall verwendete die Arbeitsgruppe menschliche Darmzellen um „Mini-Därme“ zu züchten, die anschließend mit SARS-CoV-2 in Kontakt gebracht wurden. Auf diese Weise konnte das Team mehr über die Feinheiten der Immunantwort auf das Coronavirus herausfinden.
Immunantwort im Darm bislang nicht untersucht
„Frühere Forschungen hatten gezeigt, dass SARS-CoV-2 den Darm infizieren kann“, erläutert Theodore Alexandrov, einer der beiden Gruppenleiter der Studie. Unklar sei bislang jedoch, wie die Darmzellen ihre Immunantwort auf die Infektion aufbauen.
COVID-19: Wurde die Rolle des Darm unterschätzt?
Im Rahmen der Untersuchung konnte das Team unter anderem herausfinden, welcher Zelltyp im Darm am stärksten von dem Virus infiziert wird und wie infizierte Zellen eine Immunantwort auslösen. Zudem zeigte die Arbeitsgruppe, dass SARS-CoV-2 in der Lage ist, die Immunantwort in infizierten Zellen zum Schweigen zu bringen. Die Studie deutet darauf hin, dass der Darm in Bezug auf Entwicklung und Ausbreitung von COVID-19 mehr berücksichtigt werden sollte, um die Krankheit zu verstehen.
SARS-CoV-2 scheint die Immunantwort zu stören
Studienhauptautor Sergio Triana berichtet, wie von SARS-CoV-2 infizierte Zellen eine Kaskade von Ereignissen starten, wodurch ein Signalmolekül namens Interferon produziert wird. Interferon löst gewöhnlich eine Immunantwort aus. „Interessanterweise reagierten nicht alle SARS-CoV-2-infizierten Zellen auf die gleiche Weise und zeigten stattdessen eine starke pro-inflammatorische Reaktion“, betont der Studienautor. Dies deutet darauf hin, dass SARS-CoV-2 in die Signalisierung der Wirtszelle eingreift, um die Immunantwort auf zellulärer Ebene zu stören.
Wissen über COVID-19 immer noch begrenzt
Die Forschenden unterstreichen, dass selbst nach einem Jahr weltweiter Forschungsanstrengungen das Wissen über COVID-19 immer noch begrenzt ist. Die an den Organoiden gewonnenen Einblicke können helfen zu verstehen, „wie sich SARS-CoV-2 vor dem Immunsystem schützt“, resümiert Lars Steinmetz, der die zweite Arbeitsgruppe leitete. Die Ergebnisse könnten zudem alternative Wege zur Behandlung aufzeigen, hoffen die Forschenden. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Triana, S., et al.: Single-cell analyses reveal SARS-CoV-2 interference with intrinsic immune response in the human gut; in: Molecular Systems Biology, 2021, embopress.org
- European Molecular Biology Laboratory: SARS-CoV-2 curtails immune response in the gut (veröffentlicht: 27.04.2021), embl.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.