Corona: Ansteckungsrisiko selbst berechnen
Es ist bekannt, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 nicht nur über Tröpfchen im direkten Kontakt, sondern auch über Aerosole, also in der Luft schwebende Partikel, die kleiner als fünf Mikrometer sind, übertragen werden kann. Wie wahrscheinlich es ist, sich in einem Innenraum mit dem neuen Erreger zu infizieren, kann nun auch selbst berechnet werden.
In den vergangenen Monaten hat sich gezeigt, dass bei der Übertragung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowohl Tröpfchen als auch Aerosole eine Rolle spielen. Manche Fachleute gehen davon aus, dass letzteres der dominierende Ausbreitungsweg ist, während andere dies bestreiten. Forschende präsentieren nun einen Rechenalgorithmus zur Abschätzung des Infektionsrisikos.
Signifikanter Übertragungsweg von COVID-19
Es gibt zunehmend Hinweise darauf, dass die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 durch Aerosole ein signifikanter Übertragungsweg von COVID-19 ist. Fallstudien weltweit zeigen, dass SARS-CoV-2 lebensfähige Überlebensraten in der Luft aufweist und über einen längeren Zeitraum von mehreren Stunden in der Luft bleibt, erklären Forschende des Max-Planck-Instituts (MPI) für Chemie in Mainz und des Cyprus Instituts, Zypern, in einer Studie, die kürzlich in dem Fachmagazin „International Journal of Environmental Research and Public Health“ veröffentlicht wurde. Sie berichten, wie sich das Corona-Ansteckungsrisiko in einem Innenraum über Aerosole selbst berechnen lässt.
Aerosole können längere Zeit in der Luft bleiben
Aerosole entstehen beim Atmen, Husten oder Niesen und auch beim Reden und Singen. Anders als Tröpfchen fallen sie nicht schnell zu Boden, sondern können über einen längeren Zeitraum in der Luft bleiben und sich im ganzen Raum verteilen. In Innenräumen, in denen viele Menschen längere Zeit zusammen sind, ist das Risiko also besonders groß, sich auch über Aerosole mit dem Coronavirus anzustecken. Doch wie hoch ist die Infektionsgefahr wirklich?
In der aktuellen Studie wird ein einfacher Rechenalgorithmus vorgestellt, um die Wahrscheinlichkeit von Coronavirus-Infektionen durch Aerosole in Innenräumen abzuschätzen. Wie es in einer Mitteilung dazu heißt, beruht der Algorithmus unter anderem auf Messdaten zur Virenlast in Aerosolen, zur Menge der Schwebeteilchen, die Menschen bei verschiedenen Aktivitäten abgeben, und zum Verhalten der Partikel in Räumen.
Eine große Unsicherheit ist dabei die Anzahl an Viren, die Aerosole enthalten, weil sie sich zwischen verschiedenen Trägerinnen und Trägern stark unterscheiden kann. Zudem ermittelt das Modell gezielt das Ansteckungsrisiko über die Tröpfchen und Partikel, die so klein sind, dass sie lange in der Luft bleiben und sich in Räumen verteilen.
Zur Gefahr, sich über größere, schnell zu Boden fallende Tröpfchen zu infizieren, wenn man mit Trägerinnen oder Trägern des Virus über kurze Distanz spricht, lacht oder singt, erlaubt es jedoch keine Aussagen.
Berechnung der Übertragungswahrscheinlichkeit
Die Berechnung des Infektionsrisikos über Aerosole ist über eine Eingabemaske auf der Webseite des Max-Planck-Instituts für Chemie möglich. Darin kann man verschiedene Parameter wie Raumgröße, Personenzahl sowie Dauer des Aufenthaltes eintragen.
Mit der Annahme, dass ein Mensch in dem Raum hoch-infektiös ist, errechnet der Algorithmus automatisch die Übertragungswahrscheinlichkeit für die von der Nutzerin oder dem Nutzer eingestellten Szenarien. Und zwar sowohl die individuelle Ansteckungsgefahr, als auch diejenige für irgendeine andere Person in dem Raum.
Zudem ist es möglich, zwischen verschiedenen Szenarien zu wählen: einem Klassenraum, einem Büro, einer Feier sowie einer Chorprobe.
Darüber hinaus stehen für Fachleute Felder zur Verfügung, in denen man Angaben wie die Infektionsdosis, die Viruskonzentration der infizierten Person und Überlebenszeit des Virus in der Luft variieren kann. Und auch die Filtereffizienz von Gesichtsmasken oder die Luftwechselrate sind flexibel einzustellen.
Effektivität verschiedener Sicherheitsmaßnahmen
„Wir möchten einen Beitrag leisten, damit zum Beispiel eine Schule oder ein Geschäft selbst ausrechnen kann, wie hoch das Infektionsrisiko in den Räumen ist und wie effektiv welche Sicherheitsmaßnahme ist,“ erläutert Jos Lelieveld, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie und Erstautor der Studie. Darin stellen die Mainzer Forschenden die Berechnungsgrundlage und die Annahmen vor, die der Rechnung zugrunde liegen.
So atmet eine erwachsene Person durchschnittlich etwa zehn Liter Luft pro Minute ein und wieder aus. Zudem nehmen sie an, dass die infektiöse Dosis, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, größenordnungsmäßig bei etwa 300 Viren beziehungsweise RNA-Kopien pro Person liegt.
Verdeutlicht wird die Berechnung anhand einer Schulklasse, in der keine Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden: Ein 60 Quadratmeter großer und drei Meter hoher Klassenraum mit 25 Schülerinnen und Schülern älter als zehn Jahre und sechs Stunden Unterricht, in dem eine Person zwei Tage lang hoch-infektiös ist.
Laut der Rechnung liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine bestimmte Person unter diesen Umständen infiziert, bei knapp zehn Prozent, die, dass sich eine beliebige Person ansteckt, jedoch bei über 90 Prozent. Eine Infektion ist also nahezu unvermeidbar.
Eine infizierte Person ist in der Regel nur wenige Tage hoch-infektiös. Von den Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, sind laut dem MPI immer etwa 20 Prozent hoch-infektiös. Sie sind aber nicht zu verwechseln mit den sogenannten Superspreadern, von denen bisher nicht bekannt ist, wie häufig sie auftreten.
Infektionsrisiko durch Stoßlüften senken
„Unsere Berechnungen zeigen, dass man das Infektionsrisiko durch regelmäßiges Stoßlüften etwa um die Hälfte, durch zusätzliches Maskentragen sogar um einen Faktor fünf bis zehn senken kann“, erklärt Atmosphärenforscher Lelieveld. Am Beispiel der Schulklasse heißt das: Wenn die Klasse aus dem Beispiel oben einmal Mal pro Stunde lüftet, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit auf 60 Prozent. Tragen zudem alle Schüler Masken, sinkt das Infektionsrisiko sogar auf etwa 24 Prozent.
Wenn man nun noch in die Eingabemaske eingibt, dass nur die Hälfte der Schülerinnen und Schüler am Unterricht teilnimmt, sinkt die Übertragungswahrscheinlichkeit auf 12 Prozent. Das individuelle Risiko, sinkt im gleichen Fall demnach von zehn Prozent auf ein Prozent. Das Modell ermittelt dabei ausschließlich das Ansteckungsrisiko über die Aerosolpartikel, die so klein sind, dass sie lange in der Luft bleiben und sich in Räumen verteilen.
Zur Gefahr, sich über größere, schnell zu Boden fallende Tröpfchen zu infizieren, wenn man mit Trägerinnen oder Trägern des Virus über kurze Distanz spricht, lacht oder singt, erlaubt es keine Aussagen.
Algorithmus kann vielen helfen
In ihrer Publikation gehen die Wissenschaftler auch darauf ein, welche Unsicherheiten es in den Berechnungen gibt. Diese liegen beispielsweise in Annahmen wie der Überlebensdauer der SARS-CoV-2 Viren in der Luft oder der Virusmenge, die eine infizierte Person abgibt. „Unseren Annahmen liegt der derzeitige Stand der Wissenschaft zugrunde,“ so Frank Helleis, Physiker am Max-Planck-Institut für Chemie.
„In der Rechnung stecken mehrere Variablen und Annahmen. So machte es einen Unterschied, ob und wie viel Menschen in einem Raum sprechen und singen, wie hoch die Viruskonzentration im Speichel ist und wie die Raumluftwechselrate ist, aber jeder Faktor geht über einen einfachen Dreisatz in die Kalkulation ein“, erklärt Helleis, der die Rechenbasis erstellt hat.
Die Forschenden sind überzeugt, dass ihr Algorithmus vielen helfen kann, das Risiko von Infektionen in Innenräumen besser zu verstehen und durch geeignete Maßnahmen zu reduzieren.
Der Algorithmus erlaubt allerdings keine Aussagen über das Risiko, sich durch größere Tröpfchen anzustecken, wenn man mit einer Virusträgerin oder einem Virusträger auf kurze Distanz Kontakt hat. Der Ansatz kann vielmehr die AHA-L-Regeln (Abstand halten, Hygienemaßnahmen beachten, Alltagsmaske tragen und Lüften) ergänzen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Planck-Institut für Chemie: Covid-19-Ansteckungsrisiko selbst berechnen, (Abruf: 11.11.2020), Max-Planck-Institut für Chemie
- Jos Lelieveld, Frank Helleis, Stephan Borrmann, Yafang Cheng, Frank Drewnick, Gerald Haug, Thomas Klimach, Jean Sciare, Hang Su, Ulrich Pöschl: Model Calculations of Aerosol Transmission and Infection Risk of COVID-19 in Indoor Environments; in: International Journal of Environmental Research and Public Health, (veröffentlicht: 03.11.2020), International Journal of Environmental Research and Public Health
- Max-Planck-Institut für Chemie: COVID 19 Aerosol Transmission Risk Calculator, (Abruf: 11.11.2020), Max-Planck-Institut für Chemie
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.