Leopoldina: Beschlossene Maßnahmen nicht ausreichend
Ein einheitlicheres Vorgehen der Bundesländer bei den Corona-Maßnahmen und eine bessere Eindämmung der Infektionszahlen waren Ziele des Treffens der Bund-/Länder-Runde am Mittwoch in Berlin. Doch die getroffenen Entscheidungen und aufgestellten Regelungen zur Coronavirus-Pandemie sind aus Sicht der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina „nicht ausreichend, um das Infektionsgeschehen zu kontrollieren und einzudämmen.“
Seit Tagen steigen die Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-COV-2 in fast allen Regionen Deutschlands sprunghaft an und in vielen europäischen Nachbarländern scheint das Infektionsgeschehen bereits außer Kontrolle, warnt die Leopoldina. Auch in Deutschland seien viele Infektionsketten in Hotspots schon jetzt nicht mehr nachzuverfolgen. Die nun beschlossenen Maßnahmen der Bund-/Länder-Runde seien hier nicht ausreichend, um das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu bringen.
Anstieg der Infektionszahlen erwartet
Ein Vielzahl von Faktoren trägt dazu bei, dass die Infektionszahlen in den kommenden Wochen vermutlich weiter steigen werden. Die Leopoldina nennt hier als Beispiele die sinkenden Temperaturen, die Verlagerung von Gruppenaktivitäten in Innenräume, die Herbst- und Weihnachtsferien sowie vermehrte soziale Aktivitäten in der Advents- und Weihnachtszeit.
Zudem werde mit Beginn der Erkältungs- und Influenzasaison das Gesundheitssystem ohnehin stärker beansprucht und vor das Problem gestellt, Infektionen mit SARS-CoV-2 von symptomähnlichen Erkrankungen zu unterscheiden.
Verpflichtende und einheitliche Schutzmaßnahmen
„In den kommenden Tagen und Wochen kann die Eindämmung der Pandemie nur noch dann gelingen, wenn die Bundesländer verpflichtende und einheitliche Schutzmaßnahmen vereinbaren und durchsetzen. Sie müssen bereits ab 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen verpflichtend gelten und nicht nur als Empfehlung formuliert sein“, betont der Leopoldina-Präsident Gerald Haug.
Empfohlene Maßnahmen der Leopoldina
Als vier wichtigste Maßnahmen nennt die Leopoldina in ihrer aktuellen Stellungnahme:
- Schutzmaßnahmen konsequent einhalten: AHA-Regel (Abstandhalten, Hygiene, Alltagsmaske/Mund-Nasen-Schutz) und regelmäßiger Luftaustausch in Räumen als effektive, einfache und kostengünstigste Maßnahmen.
- Schnell und gezielt testen, Quarantäne- und Isolationszeiten verkürzen: gezielte Testungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Infektionsrisiko; Festlegung von Teststrategien, die besonders schutzbedürftige Gruppen priorisieren; Digitalisierungsmaßnahmen, die die Zeit zwischen Test und Ergebniskommunikation verkürzen; Bereitstellung von dezentral durchführbaren Testverfahren; Isolationszeit nach Symptombeginn auf etwa eine Woche verkürzen, Quarantänezeit von Personen, die einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt waren, von 14 auf 10 Tage reduzieren.
- Verantwortungsvolles Verhalten erleichtern: leicht zugängliche Informationen sowie klare Regeln; junge Erwachsene dabei stärker als bisher in ihren besonderen Bedürfnissen wahrnehmen.
- Soziale und psychische Folgen abmildern: Hilfsangebote stärken, insbesondere vergrößertes psychotherapeutisches bzw. psychiatrisches und beratendes Angebot hinsichtlich Prävention und Therapie; körperliche Bewegung als Präventionsmaßnahme.
Hohes Infektionsrisiko in diesen Situationen
Viele und enge Kontakte in geschlossenen Räumen, wenig Frischluftzufuhr, dichtes Gedränge drinnen oder draußen und Sprechen in lebhafter oder lauter Umgebung sind als Situationen mit einem hohen Infektionsrisiko bekannt. Korrekt über Mund und Nase getragene Masken, regelmäßiges Lüften, Vermeiden von Menschenansammlungen und lautem Sprechen seien hier geeignete Schutzmaßnahmen. Diese müssen nach Ansicht der Leopoldina daher im gesamten öffentlichen Raum einschließlich Arbeitsstätten und Bildungseinrichtungen gelten.
Schnelles, entschlossenes Handeln gefordert
„Wenn die Politik angesichts absehbar exponentiell steigender Infektionszahlen nicht vorausschauend handelt, wird das öffentliche Leben und die Wirtschaft stärker eingeschränkt werden, als es notwendig gewesen wäre“, resümieren die Expertinnen und Experten der Leopoldina in ihrer aktuellen Stellungnahme. Zudem würden die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt, das Gesundheitssystem werde überlastet und individuelle Freiheitsrechte müssten noch stärker eingeschränkt werden. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Coronavirus-Pandemie: Leopoldina fordert konsequenteres Handeln (veröffentlicht 15.10.2020), leopoldina.org
Wichtiger Hinweis:
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