SARS-CoV-2: Vielversprechende Kandidaten für Corona-Medikamente
Im Gegensatz zu Impfstoffen, die gesunden Menschen helfen, sich gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 wehren zu können, werden in der Wirkstoffforschung Medikamente gesucht, die bei erkrankten Personen die Vermehrung des Virus im Körper bremsen oder zum Erliegen bringen. Ein Forschungsteam hat nun mehrere Kandidaten für Wirkstoffe gegen das neue Virus identifiziert.
Weltweit wird an Medikamenten geforscht, die gegen die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit COVID-19 helfen können. Parallel dazu wird auch untersucht, welche Rolle bereits bekannte Wirkstoffe gegen das Virus spielen können. Einige davon haben sich laut Forschenden nun als vielversprechend herausgestellt.
Fast 6.000 Wirkstoffe getestet
Wie das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY, ein Forschungszentrum der Helmholtz-Gemeinschaft, in einer aktuellen Mitteilung berichtet, hat ein Forschungsteam an DESYs hochbrillanter Röntgenlichtquelle PETRA III mehrere Kandidaten für Wirkstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 identifiziert. Sie binden an ein wichtiges Protein des Virus und könnten damit die Basis für ein Medikament gegen COVID-19 sein.
In einem sogenannten Röntgenscreening testeten die Forschenden unter Federführung von DESY in kurzer Zeit fast 6.000 bereits für die Behandlung anderer Krankheiten existierende Wirkstoffe. Nach der Messung von rund 7.000 Proben konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insgesamt 37 Stoffe identifizieren, die an die Hauptprotease (Mpro) des SARS-CoV-2-Virus binden.
Sieben dieser Stoffe hemmen die Tätigkeit des Proteins und bremsen so die Vermehrung des Virus. Zwei von ihnen tun dies so vielversprechend, dass sie zurzeit in präklinischen Studien weiter untersucht werden.
Zudem brachte das vermutlich größte Wirkstoffscreening dieser Art eine neue Bindungsstelle an der Hauptprotease des Virus zu Tage, an der Medikamente ankoppeln können.
Die Ergebnisse der Forscherinnen und Forscher wurden in dem renommierten Fachmagazin „Science“ veröffentlicht.
Viren können sich allein nicht vermehren
Im Gegensatz zu Impfstoffen, die Gesunden helfen, sich gegen das Virus wehren zu können, werden in der Wirkstoffforschung Medikamente gesucht, die bei erkrankten Menschen die Vermehrung des Virus im Körper bremsen oder zum Erliegen bringen.
Viren können sich allein nicht vermehren, sondern schleusen stattdessen ihr eigenes Erbgut in die Zellen ihres Wirts ein und bringen diese dazu, neue Viren herzustellen. Dabei spielen Proteine wie die Hauptprotease des Erregers eine wichtige Rolle.
Diese zerschneidet Proteinketten, die nach dem Bauplan des Viruserbguts von der Wirtszelle hergestellt wurden, in kleinere Teile, die für die Vermehrung des Virus notwendig sind. Wenn es gelingt, die Hauptprotease zu blockieren, lässt sich der Zyklus unter Umständen unterbrechen; das Virus kann sich nicht mehr vermehren, und die Infektion ist besiegt.
Zugelassene Wirkstoffe
Wie in der Mitteilung erklärt wird, ist die Strahlführung P11 von DESYs Forschungslichtquelle PETRA III auf strukturbiologische Untersuchungen spezialisiert. Hier lässt sich die dreidimensionale räumliche Struktur von Proteinen atomgenau darstellen.
Das nutzten die Forschenden um DESY-Physiker Alke Meents, um mehrere tausend bekannte Wirkstoffe aus einer Bibliothek des Fraunhofer-Instituts für Translationale Medizin und Pharmakologie und einer weiteren der italienischen Firma Dompé Farmaceutici SpA darauf zu untersuchen, ob und wie sie an die Hauptprotease „andocken“ – der erste wichtige Schritt, um sie zu blockieren.
Das Wirkstoffmolekül passt dabei – wie der Schlüssel in ein Schloss – in ein Bindungszentrum der Protease. Der Vorteil der Wirkstoffbibliothek ist, dass es sich um bereits für die Behandlung von Menschen zugelassene Wirkstoffe handelt oder solche, die sich zurzeit in verschiedenen Erprobungsphasen befinden.
Daher könnten geeignete Kandidaten zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 erheblich schneller in klinischen Studien eingesetzt werden und so Monate oder Jahre der Wirkstoffentwicklung sparen.
Bislang unbekannte Bindungsstelle gefunden
Den Angaben zufolge beinhaltet die technische Spezialausrüstung an der PETRA III-Station P11 einen vollautomatischen Probenwechsel mit einem Roboterarm, so dass jede der über 7.000 Messungen nur etwa drei Minuten dauerte. Mit Hilfe einer automatisierten Datenanalyse konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schnell die Spreu vom Weizen trennen.
„Mit Hilfe eines Hochdurchsatzverfahrens haben wir insgesamt 37 Wirkstoffe finden können, die eine Bindung mit der Hauptprotease eingehen“, erklärt Meents, der die Experimente initiierte.
In einem nächsten Schritt untersuchten die Forschenden am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, ob diese Wirkstoffe in Zellkulturen die Virusvermehrung hemmen oder gar verhindern, und wie verträglich sie für die Wirtszellen sind. Die Zahl der geeigneten Wirkstoffe reduzierte sich hierbei auf sieben, von denen zwei besonders hervorstachen.
„Die Wirkstoffe Calpeptin und Pelitinib zeigten die deutlich höchste Antiviralität bei guter Zellverträglichkeit. Unsere Kooperationspartner haben daher bereits präklinische Untersuchungen mit diesen beiden Wirkstoffen begonnen“, erläutert DESY-Forscher Sebastian Günther, Erstautor der „Science“-Veröffentlichung.
In ihrem Wirkstoffscreening mit Hilfe der Proteinkristallographie untersuchten die Forscherinnen und Forscher nicht wie üblich Fragmente potenzieller Wirkstoffe, sondern vollständige Wirkstoffmoleküle. Dabei entdeckte das Team aber auch etwas komplett Unerwartetes: Es fand eine Bindungsstelle an der Hauptprotease, die bis dahin noch völlig unbekannt war.
„Es war nicht nur eine positive Überraschung, dass wir eine neue Bindestelle für Medikamente an der Hauptprotease entdecken konnten – ein Ergebnis, das man wirklich nur an einer Synchrotronlichtquelle wie PETRA III erzielen kann –, sondern dass sogar einer der beiden heißen Wirkstoffkandidaten genau an diese Stelle bindet“, so Christian Betzel vom Exzellenzcluster CUI der Universität Hamburg, Mitinitiator der Studie.
„Eine besondere Stärke unserer Methode des Röntgenscreenings im Vergleich zu anderen Screeningmethoden ist, dass wir als Ergebnis die dreidimensionale Struktur der Protein-Wirkstoff-Komplexe erhalten und damit die Bindung der Wirkstoffe an das Protein auf atomarer Ebene bestimmen können. Selbst wenn die beiden aussichtsreichsten Kandidaten es nicht in klinische Studien schaffen sollten, so bilden die 37 Stoffe, die an die Hauptprotease binden, eine wertvolle Datenbasis für darauf aufbauende Medikametenentwicklungen,“ sagt Patrick Reinke, DESY-Forscher und Koautor der Veröffentlichung.
„Die Untersuchungen an PETRA III zeigen eindrucksvoll, wie relevant hochbrillante Synchrotronlichtquellen für die Entwicklung zukünftiger Medikamente und die Gesundheitsforschung insgesamt sind“, hebt Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums, hervor. „Wir müssen und wollen unsere Infrastrukturen künftig noch stärker zur Bewältigung von derartigen Gesundheitskrisen ausbauen.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY: DESY-Röntgenquelle findet vielversprechende Kandidaten für Coronamedikamente, (Abruf: 06.04.2021), Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY
- Sebastian Günther, Patrick Y. A. Reinke, et al.: X-ray screening identifies active site and allosteric inhibitors of SARS-CoV-2 main protease; in: Science, (veröffentlicht: 02.04.2021), Science
Wichtiger Hinweis:
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