Leopoldina-Stellungnahme: So kann die Rückkehr zu „Normalität“ gelingen
Bis zum 20. April laufen die Maßnahmen zur Eindämmung des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 in jedem Fall, doch wie geht es danach weiter? Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat in ihrer dritte Ad-hoc-Stellungnahme zur COVID-19-Pandemie einen Fahrplan aufgezeigt, mit dem schrittweise eine „Normalisierung“ umgesetzt werden kann, ohne das Risiko weiterer Infektionen drastisch zu erhöhen.
Zunächst sollten laut der Leopoldina-Stellungnahme vor allem die Schulen so bald wie möglich wieder geöffnet werden, allerdings schrittweise. Beginnend bei den Grundschulen und der Sekundarstufe I könne der Schulbetrieb sukzessive wieder aufgenommen werden. Die Betreuung in Kindertagesstätten sehen die Expertinnen und Experten jedoch eher kritisch und sprechen sich hier lediglich bei den Kindern im Übergang zu Grundschule für eine Wiederaufnahme aus. Weiterhin werden für die schrittweise Normalisierung des öffentlichen Lebens spezielle Maßnahmen wie beispielsweise das Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken im öffentlichen Personenverkehr vorgeschlagen.
Die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus und die beschlossenen Maßnahmen zu Eindämmung der Infektionen haben massive Auswirkungen auf alle Bereiche unserer Gesellschaft. Wie die Rückkehr zu „Normalität“ gelingen kann, haben die Forschenden der Nationale Akademie der Wissenschaften nun dargelegt. Ihre Stellungnahme setzt sich mit psychologischen, sozialen, rechtlichen, pädagogischen und wirtschaftlichen Aspekten der Pandemie auseinander und spricht mehrere zentralen Empfehlungen. Auch die Bundeskanzlerin sieht in den Empfehlungen eine wichtige Grundlage für die anstehenden Entscheidungen.
Bildungsbereich schrittweise öffnen
Durch die Corona-Krise ist im Bildungsbereich ein massiver Rückgang der Betreuungs-, Lehr- und Lernleistungen sowie eine Verschärfung sozialer Ungleichheit eingetreten, weshalb die Wiedereröffnung der Bildungseinrichtungen sobald wie möglich erfolgen sollte. „Dabei müssen einerseits Bildungseinschränkungen aufgehoben, andererseits die Risiken für erneute Ansteckungen minimiert werden“, so die Stellungnahme der Leopoldina.
Grundschulen und Sekundarstufe I zuerst
Zuerst sollten die Grundschulen und die Sekundarstufe I wieder schrittweise geöffnet werden, da die jüngeren Kinder im Bildungssystem mehr auf persönliche Betreuung, Anleitung und Unterstützung angewiesen sind, betonen die Expertinnen und Experten. Auch könne mit zunehmendem Alter die Möglichkeit des Fernunterrichts, ob digital oder analog, besser genutzt werden. Daher könne eine Rückkehr zum gewohnten Unterricht in höheren Stufen des Bildungssystems später erfolgen.
Kindertagesstätten bis zu den Sommerferien geschlossen?
Für den Bereich der Kindertagesstätten ist die Empfehlung der Nationalen Akademie der Wissenschaften, hier zunächst weiter bis zu den Sommerferien nur den Notbetrieb fortzuführen – ausgenommen bei Kindern im Übergang zur Grundschule. „Im Bereich der Kindergärten und Kindertagesstätten sollte ein Regelbetrieb mit reduzierten Gruppengrößen (max. 5 Kinder pro Raum) am Übergang zur Grundschule (5-6-Jährige) stattfinden“, so die Leopoldina-Stellungnahme. Dies gelte nicht für die kleineren Kinder, da diese sich nicht an die Distanzregeln und Schutzmaßnahmen halten, gleichzeitig aber die Infektion weitergeben können.
Auch bei der Betreuung in Horten ist nur die Aufrechterhaltung der Notfallbetreuung vorgesehen, wobei in der Stellungnahme ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass dies voraussetze, „dass berufstätige Eltern weiterhin durch eine sehr flexible Handhabung von Arbeitszeiten und -orten sowie finanziell unterstützt werden.“
Voraussetzungen zur Normalisierung des öffentlichen Lebens
Auch das öffentliche Leben kann nach Einschätzung der Expertinnen und Experten schrittweise normalisiert werden, wenn folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Neuinfektionen stabilisieren sich auf niedrigem Niveau.
- Es werden notwendige klinische Reservekapazitäten aufgebaut und die Versorgung der anderen Patientinnen und Patienten wird wieder regulär aufgenommen.
- Die bekannten Schutzmaßnahmen (Hygienemaßnahmen, Mund-Nasen-Schutz, Distanzregeln, zunehmende Identifikation von Infizierten) werden diszipliniert eingehalten.
Mund-Nasen-Schutz im Personenverkehr künftig Pflicht?
So könnten zum Beispiel der Einzelhandel und das Gastgewerbe wieder öffnen sowie der allgemeine geschäftliche und behördliche Publikumsverkehr wiederaufgenommen werden und auch dienstliche und private Reisen köntnen unter Beachtung der genannten Schutzmaßnahmen getätigt werden. „Das Tragen von Mund-Nasen-Schutz sollte als zusätzliche Maßnahme in bestimmten Bereichen wie dem öffentlichen Personenverkehr Pflicht werden“, so die Nationale Akademie der Wissenschaften.
Kulturelle und sportliche Veranstaltungen
Auch könnten „in Abhängigkeit von der möglichen räumlichen Distanz und den Kontaktintensitäten der Beteiligten gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen nach und nach wieder ermöglicht werden“, berichten die Expertinnen und Experten weiter. Ein kontinuierliches Monitoring der Infektionszahlen bleibe dabei unerlässlich.
Wirtschafts- und finanzpolitische Herausforderungen
Um die Folgen der Corona-Krise abzufangen, gelte es auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Stabilisierung zu nutzen: Kurzfristig mit Hilfen zur Überbrückung der schwierigen Situation wie Kurzarbeit, Liquiditätshilfen, Steuerstundungen und Zuschüsse, um Insolvenzen zu reduzieren. Mittelfristig mit weiteren fiskalpolitischen Impulse wie Steuererleichterungen oder zusätzlichen Mitteln für öffentliche Investitionen, wie etwa im Gesundheitswesen, der digitalen Infrastruktur und im Klimaschutz.
Weichen für Nachhaltigkeit stellen
Es gelte jetzt die Weichen für Nachhaltigkeit zu stellen, denn bereits bestehende globale Herausforderungen wie insbesondere der Klima- und Artenschutz verschwinden mit der Corona-Krise nicht, so die Stellungnahme der Leopoldina. Daher sollten sich politische Maßnahmen auf nationaler wie internationaler Ebene an den Prinzipien von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit, Zukunftsverträglichkeit und Resilienzgewinnung orientieren. Wirtschaftliche Konjunkturprogramme sollten grundsätzlich mit den Zielen des europäischen „Green Deals“ vereinbar sein.
Corona-Pandemie wird das Leben noch auf Monate bestimmen
„Wenngleich die Pandemie das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben noch auf Monate bestimmen wird, gilt es, über die akuten Einschränkungen zentraler Grundrechte wie die Bewegungsfreiheit hinaus Kriterien und Strategien zur allmählichen Rückkehr in die Normalität zu entwickeln“; resümieren die Expertinnen und Experten in ihrer Stellungnahme. Voraussetzung für eine solche allmähliche Lockerung sei jedoch, dass die Neuinfektionen sich auf niedrigem Niveau stabilisieren, das Gesundheitssystem nicht überlastet wird, Infizierte zunehmend identifiziert werden und die Schutzmaßnahmen (Hygienemaßnahmen, Mund-Nasen-Schutz, Distanzregeln) diszipliniert eingehalten werden. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Ad-hoc-Stellungnahme „Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden“ (13. April 2020), leopoldina.org
- Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Coronavirus: Nationalakademie Leopoldina legt dritte Ad-hoc-Stellungnahme vor (veröffentlicht 13.04.2020), leopoldina.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.