Wie hoch ist das Risiko, sich über Oberflächen mit SARS-CoV-2 zu infizieren?
Viel Verwirrung herrscht derzeit über das Risiko, sich über kontaminierte Oberflächen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 anzustecken. Einige Studien belegten bereits unter Laborbedingungen, dass das Virus in der Lage ist, auf bestimmten Oberflächen zu überleben – aber wie verhält sich dies unter realen Bedingungen? Der Virologe Professor Hendrik Streeck sieht auf Grundlage seiner Forschung kein Risiko einer Infektion über Oberflächen.
Neben Professor Dr. Christian Drosten ist wohl Professor Hendrik Streeck derzeit der bekannteste Virologe in Deutschland. Der junge Spitzenforscher trat als Nachfolger von Drosten den Posten als Direktor des Institutes für Virologie an der Universitätsklinik Bonn an. Er geht mit seinem Team die Dinge etwas anders an. Während viele Virologinnen und Virologen vorwiegend im Labor arbeiten, sammelt das Team um Streeck Daten aus dem direkten Umfeld in dem Hochrisikogebiet Heinsberg – und kommt dabei zu erstaunlichen Ergebnissen.
Wurde das Risiko der Oberflächeninfektion überbewertet?
Es ist mittlerweile eindeutig belegt, dass sich SARS-CoV-2 über Tröpfcheninfektion ausbreiten kann. Aerosole die beim Husten, Niesen und Sprechen freigesetzt werden, können infektiöse Keime enthalten, über die das Virus von einem Menschen auf einen anderen überspringen kann. In den letzten Wochen wurde oft auch vor kontaminierten Oberflächen wie beispielsweise Türklinken gewarnt. Über das tatsächliche Risiko, sich über eine Oberfläche anzustecken, ist derzeit wenig bekannt.
Forschende um Streeck gehen ins Epizentrum
An dieser Stelle setzen Forschende um Professor Streeck ein, um zu untersuchen, wie sich das Virus unter normalen Bedingungen verhält – und zwar dort, wo es in Deutschland am meisten vorhanden ist: in Gangelt im Kreis Heinsberg. Das 40-köpfige Wissenschaftsteam befragt Patientinnen und Patienten direkt vor Ort. Zudem werden Daten und Proben direkt vor Ort gesammelt.
Neue Grundlage für sinnvolle Maßnahmen schaffen
„Im Kreis Heinsberg gab es früher als an allen anderen Orten in Deutschland eine Vielzahl von Menschen, die mit dem Corona-Virus infiziert waren“, erläutert Ministerpräsident Armin Laschet in einer Pressemitteilung zu dem Projekt. Von hier aus ließen sich wichtige Erkenntnisse für ganz Deutschland ableiten. Der Kreis Heinsberg könne als Forschungsbeispiel und Modellregion dienen, um so herauszufinden, welche Maßnahmen sinnvoll sind, um die Bürgerinnen und Bürger optimal zu schützen. Gleichzeitig könne so auch ergründet werden, welche der ergriffenen Maßnahmen aus virologischer und epidemiologischer Sicht tatsächlich sinnvoll sind, so Laschet.
Das Forschungsprojekt begann bereits am Montag, den 30. März 2020 und ist für einen Zeitraum von zunächst vier Wochen angelegt. Finanziert wird die Studie von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Für Aufsehen sorgte das Projekt vor allem durch einen Auftritt von Professor Streeck in der Talkshow von Markus Lanz am 31.03.2020. Hier gab der Virologe seine Einschätzung zu verschiedenen Infektionsrisiken.
Streeck: „Wir haben kein lebendes Virus von irgendeiner Oberfläche bekommen.“
Unter anderem berichtet Streeck von Vorabuntersuchungen, die in Heinsberg stattgefunden haben. Hier wurden Abstriche in Häusern von infizierten Personen genommen. Viele gängige Oberflächen wurden dabei berücksichtigt, darunter Türklinken, Handys, Toiletten und Waschbecken. Im Labor wurden die Abstriche dann untersucht. Das Virus konnte zwar nachgewiesen werden, es handelte sich aber nur um tote RNA. „Wir waren in einem Haushalt, wo viele hochinfektiöse Menschen gelebt haben, und trotzdem haben wir kein lebendes Virus von irgendeiner Oberfläche bekommen“, berichtet Streeck. Diese und weitere Erkenntnisse sollen nun in der Forschungsarbeit vertieft werden.
Professor Drosten kommt zu einer ähnlichen Einschätzung
Auch Steeck´s Kollege Professor Dr. Christian Drosten äußert in einem NDR-Podcast, dass Coronaviren gegen Eintrocknung extrem empfindlich sind. Er kommt ebenfalls zu der Einschätzung, dass die Übertragung über Oberflächen, wenn überhaupt, nur eine kleine Rolle spielen. Eine offizielle Entwarnung gibt es seitens der Universitätsklinik Bonn allerdings noch nicht. Genaueres hierzu werden die Ergebnisse der Heinsberg-Studie in den kommenden Wochen zeigen. (vb)
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Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universitätsklinikum Bonn: NRW startet gemeinsames Corona-Forschungsprojekt mit dem Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn (veröffentlicht: 27.03.2020), ukbnewsroom.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.