Coronavirus Aerosole: Infektiöse Mini-Tröpfchen in der Luft
Immer mehr Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass Aerosole in der Luft eine größere Rolle bei der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 spielen, als bislang gedacht. Ein Experte für Aerosole fasst den aktuellen Kenntnisstand zusammen.
Große Tröpfchen, die beim Husten, Niesen, Sprechen und Atmen entstehen, sinken schnell zu Boden. Doch Coronaviren können auch in Mini-Tröpfchen länger in der Luft stehenbleiben. Diese sogenannten Aerosole rücken immer mehr in den Fokus der Forschung.
Aerosole gewinnen in der Forschung an Bedeutung
Bei der Erforschung von Corona-Infektionswegen nehmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunehmend sogenannte Aerosole unter die Lupe. Damit wird ein Gemisch aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen in der Luft bezeichnet, die Partikel von Sars-CoV-2 enthalten können.
Schmierinfektionen scheinen keine besondere Rolle zu spielen
„Wir sind ziemlich sicher, dass Aerosole einer der Wege sind, über die sich Covid-19 verbreitet“, sagte der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch, in Gemünden (Wohra) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Schmierinfektionen etwa spielten eine geringere Rolle.
Es seien aber noch viele Fragen offen, so Scheuch – zum Beispiel, wie sich das Virus beim Sprechen verbreite oder welche Rolle die Temperatur spielt. WDa muss viel Forschungsarbeit gemacht werden“, sagte er. „Aber es wird gerade immer mehr in die Richtung geforscht.“ Längst nicht geklärt ist demnach auch, wie infektiös getrocknete Aerosole sind.
Bewertung ist derzeit noch schwierig
Laut Robert Koch-Institut (RKI) erfolgt die Übertragung des neuartigen Virus hauptsächlich über Tröpfchen, die beim Husten und Niesen entstehen und beim Gegenüber über die Schleimhäute aufgenommen werden. Aerosole – definiert als Tröpfchenkerne kleiner als fünf Mikrometer – könnten aber ebenso dazu beitragen, „auch wenn eine abschließende Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt schwierig ist“.
Selbsttest mit einer Kerze
Es gibt schon Studien, die sich mit der Verbreitung von Tropfen und Aerosolen in der Luft befassen. Allerdings kommen die zu teils unterschiedlichen Ergebnissen. So hat ein Team um Christian Kähler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München mit einer Sängerin Experimente gemacht und kommt zu dem Schluss, dass die Luft beim Singen nur bis 0,5 Meter vor dem Mund in Bewegung versetzt wird – unabhängig etwa davon wie laut der Ton war. Als Tipp zum Selbertesten raten die Forscher, sich vor eine brennende Kerze zu stellen und zu schauen, wann die Flamme anfängt zu flackern, wenn man sich ihr beim Sprechen nähert.
Wie der Wind Aerosole verbreitet
Die Wissenschaftler Talib Dbouk und Dimitris Drikakis wiederum haben berechnet, wie weit sich Speicheltropfen bei leichtem Husten verbreiten: ohne Wind nicht weiter als zwei Meter, aber bei Winden von 4 und 15 Stundenkilometern durchaus auch sechs Meter. Zwar nähmen Konzentration und Größe der Tropfen ab, aber womöglich reiche eine Entfernung von zwei Metern nicht aus.
Forscher aus Washington analysierten die Ansteckung innerhalb eines Chores und vermuteten, dass die Übertragung einem Abstand von unter zwei Metern geschuldet war. Allerdings macht Kähler klar, dass neben dem Abstand auch zu beachten sei, ob jeweils Hygieneregeln eingehalten wurden oder zum Beispiel Hände geschüttelt und Stühle gemeinsam verrückt wurden.
Höhe und Durchlüftung von Räumen scheinen eine Rolle zu spielen
Weitere Aspekte, die Einfluss auf die Infektionswege haben können, sind etwa die Höhe des Raumes und die Durchlüftung. So rät beispielsweise Kähler, es sollte „einerseits die Luftwechselrate in Zeiten der Pandemie deutlich erhöht werden, andererseits sollte bei einer idealen Raumbelüftung die Luft von unten durch den Boden zugeführt und flächig über die Decke abgesaugt werden“.
An der frischen Luft werden Aerosole schnell verdünnt
Im chinesischen Wuhan haben Forschende für eine Studie in Kliniken nach Sars-CoV-2-Erbgut in Aerosolen gesucht. Die Menge sei etwa in belüfteten Patientenzimmern sehr niedrig gewesen, in Toilettenbereichen jedoch höher. An der frischen Luft sei sie nicht nachweisbar gewesen, außer in zwei Bereichen, die zu Überfüllung neigten. Auch Kähler sagt, im Freien bestehe kaum Gefahr. Man atme etwa einen halben Liter Luft aus, der sei schnell verdünnt. Gefährlich werde es, wenn man sich etwa wegen einer Blaskapelle im Hintergrund näher kommt und lauter spricht. Das ist dann aber wieder eine Frage des Abstands.
Wie lange bleiben Aerosole in der Luft erhalten?
Wie lange eine potenzielle Gefahr besteht, haben Forschende auch schon untersucht: Ein weiteres Team aus den USA hat mit Laserlicht die Lebensdauer kleiner Tröpfchen in der Luft gemessen, die beim Sprechen entstehen. Demnach verschwinden sie in einer geschlossenen Umgebung bei stehender Luft erst nach acht bis 14 Minuten. Im Fazit heißt es, „dass es eine erhebliche Wahrscheinlichkeit gibt, dass normales Sprechen in beschränkten Umgebungen eine Übertragung von Viren in der Luft verursacht“. Laut Scheuch, der eine Firma für Bio-Inhalation führt, könnten sich Aerosole in geschlossenen Räumen sogar über Stunden halten und infektiös sein. Ein Atemstoß enthalte 1000 Teilchen. „Draußen ist die Verdünnung stark, innen sammelt es sich.“
Welchen Schutz leisten Gesichtsmasken?
Abhilfe soll der Mund-Nase-Schutz schaffen. Allerdings muss man dabei wissen, dass die sogenannten Community-Masken Partikel etwa mit einem Durchmesser bis zu zwei Mikrometern nahezu gar nicht stoppen können, was Kählers Team eindrucksvoll mit Videoaufzeichnungen dargestellt hat. Dennoch hätten die einfachen Masken einen wichtigen Effekt, betont der Professor: „Sie bieten Strömungswiderstand. Anstatt dass man Partikel weit nach außen pustet, halten sie sich nah am Kopf.“
Scheuch geht sogar einen Schritt weiter: Weil das Coronavirus nur rund 0,1 bis 0,14 Mikrometer groß sei, reichten nicht mal die sogenannten FFP-Masken. „Die sind für größere Bakterien. Aber so kleine Teilchen lassen sich schlecht filtern.“ Schwebstofffilter seien wohl besser geeignet. Aber auch das sei noch zu erforschen. (vb; Quelle: Marco Krefting, dpa)
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Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Talib Dbouk, Dimitris Drikakis: On coughing and airborne droplet transmission to humans; in: Physics of Fluids, 2020, aip.scitation.org
- Lea Hamner, Polly Dubbel, Ian Capron, u.a.: High SARS-CoV-2 Attack Rate Following Exposure at a Choir Practice; Centers for Disease Conrol and Prevention, 2020, cdc.gov
- Valentyn Stadnytskyi, Christina E. Bax, Adriaan Bax, u.a.: The airborne lifetime of small speech droplets and their potential importance in SARS-CoV-2 transmission; in: PNAS, 2020, pnas.org
- RKI: SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) (Stand: 29.05.2020), rki.de
- Yuan Liu, Zhi Ning, Yu Chen, Ming Guo, u.a.: Aerodynamic analysis of SARS-CoV-2 in two Wuhan hospitals; in: Nature, 2020, nature.com
- Christian J. Kähler, Rainer Hain: Musizieren während der Pandemie - was rät die Wissenschaft? Universität der Bundeswehr München (Stand: 08.05.2020), unibw.de
- Christian J. Kähler, Rainer Hain: Strömungsanalysen zur SARS-CoV-2 Schutzmaskendebatte; Universität der Bundeswehr München (Stand: 11.04.2020), unibw.de
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