Corona: Immunisierungsgrad geringer als gedacht
Weltweit führen Forschende im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 sogenannte Antikörperstudien durch. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, Aufschluss über Krankheitsverlauf und Immunität zu geben. Eine Studie aus Deutschland zeigt nun: Der Immunisierungsgrad ist deutlich geringer als erwartet.
Der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge gehen Fachleute davon aus, dass genesene Patientinnen und Patienten nur ein geringes Risiko haben, ein zweites Mal an COVID-19 zu erkranken. Wissenschaftliche Untersuchungen haben demnach gezeigt, dass Personen nach durchgemachter Infektion spezifische Antikörper (körpereigene Abwehrstoffe) gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 entwickeln, die das Virus in Labortests neutralisieren können. Doch offenbar sind nur bei wenigen Menschen Antikörper nachweisbar.
Aufschluss über den aktuellen Immunitätsstatus
Die Medizinische Fakultät der Technischen Universität (TU) Dresden und das Dresdner Universitätsklinikum Carl Gustav Carus haben im Mai 2020 eine Studie zur Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus an sächsischen Schulen gestartet. In einer aktuellen Mitteilung wurden nun die Ergebnisse der ersten Testphase mit über 2.000 Teilnehmenden veröffentlicht.
Den Angaben zufolge ist es die bisher bundesweit größte Studie, bei der im Rahmen der Wiedereröffnung der Schulen nach dem Lockdown erfasst werden soll, wie viele Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer Antikörper gegen das SARS-CoV-2-Virus in sich tragen und wie sich dessen Ausbreitung über die Zeit verändert.
Die Zahlen geben Aufschluss über den aktuellen Immunitätsstatus von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern. Sie liefern daher auch wichtige Anhaltspunkte dafür, wie der Schulbetrieb nach den Sommerferien weitergehen kann.
Antikörper nur bei wenigen nachgewiesen
Von den 2.045 untersuchten Blutproben ließen sich lediglich in 12 zweifelsfrei Antikörper gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 nachweisen. Damit liegt der Immunisierungsgrad in der Gruppe der Studienteilnehmenden bei deutlich unter einem Prozent (0,6 Prozent) und fällt geringer aus als prognostiziert.
Dynamik der Virusverbreitung überschätzt
Die Forschenden um Studienleiter Prof. Reinhard Berner, Klinikdirektor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus, ziehen ein positives Fazit, die dynamische Verbreitung des Virus in Familien betreffend. Diese wurde offenbar bislang überschätzt. Denn in 24 Familien der Studienteilnehmenden gab es mindestens einen bestätigten Corona-Fall, doch nur bei einem der Probanden ließen sich Antikörper nachweisen.
Schulen wurden nicht zum Hotspot
Der Mitteilung zufolge gab es in drei der untersuchten Schulen bestätigte Corona-Fälle. Dennoch waren bei den Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schülern der betreffenden Einrichtungen nicht überdurchschnittlich mehr Antikörper nachweisbar, was darauf schließen lässt, dass sich die Schulen nicht zu Hotspots entwickelt haben.
Mediziner des Dresdner Universitätsklinikums Carl Gustav Carus haben in den Monaten Mai und Juni insgesamt 2.045 Blutproben von Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften aus 13 weiterführenden Schulen in Dresden und den Landkreisen Bautzen beziehungsweise Görlitz untersucht.
Von diesen Proben stammten 1.541 von Schülerinnen und Schülern überwiegend der Klassenstufen acht bis elf. Zudem haben sich insgesamt 504 Lehrkräfte beteiligt, ihr Alter reichte von 30 bis 66 Jahren. Bei den Schülern und Schülerinnen lag der Anteil der männlichen und weiblichen Studienteilnehmenden in etwa gleich auf, bei den Lehrkräften dominierten mit einem Anteil von 70 Prozent die Lehrerinnen.
Kaum stille, symptomfreie Infektionen
Laut der Anamnese gaben fünf Studienteilnehmende an, selbst zuvor positiv auf das SARS-CoV-2 Virus getestet worden zu sein. Außerdem gab es 24 Haushalte, in denen im Vorfeld ein Familienmitglied positiv getestet worden war.
Mediziner des Uniklinikums Dresden haben den Probandinnen und Probanden jeweils fünf Milliliter Blut aus der Armvene entnommen. „Alle Proben wurden einem einheitlichen, zugelassenen Antikörpertest unterzogen. Er ist automatengeeignet und identifiziert in dem Serum Antikörper auf das Spike-Protein des SARS-CoV2-Virus“, erläutert der Direktor des Instituts für Virologie der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, Professor Alexander Dalpke.
In zwölf der 2.045 Proben konnten am Institut für Virologie zweifelsfrei Antikörper nachgewiesen werden. In fünf der zwölf Fälle gab es eine bekannte nachgewiesene Coronavirus-Infektion, in sieben Fällen war die Infektion vorab nicht bekannt. Die Dunkelziffer für die Infektion liegt damit unter den Studienteilnehmenden knapp über zwei.
„Wir gehen in die Sommerferien 2020 mit einem Immunitätsstatus, der sich nicht von dem im März 2020 unterscheidet. Von den über 2000 untersuchten Blutproben ließen sich nur in 12 Fällen Antikörper nachweisen, was einem Anteil von deutlich unter einem Prozent entspricht. Das bedeutet, dass eine stille, symptomfreie Infektion bei den von uns untersuchten Schülern und Lehrern bislang noch seltener stattgefunden hat, als wir das vermutet hatten“, so das Fazit von Prof. Reinhard Berner.
Infektionen vor dem Lockdown bekannt
Auffallend ist auch, dass in den 24 Haushalten, in denen mindestens ein Corona-Fall bekannt war, offenbar nur eine einzige Infektion stattgefunden hat, nach der sich nun entsprechende Antikörper nachweisen lassen.
„Diese Untersuchungsergebnisse liefern Hinweise darauf, dass die Virusübertragung in Familien nicht so dynamisch geschieht, wie bisher angenommen. Bei mehr als 20 der untersuchten Probanden gab es mindestens einen nachgewiesenen Corona-Fall in der Familie; allerdings wurden nur bei einem einzigen dieser Studienteilnehmer Antikörper gefunden, was bedeuten würde, dass der größte Teil der Schulkinder trotz eines Infektionsfalls im Haushalt selbst keine Infektion durchgemacht haben. Auch diesen Befund muss man mitbedenken, wenn über Maßnahmen der Kontaktbeschränkung neu zu entscheiden ist“, sagt Prof. Berner.
Den Angaben zufolge wurden für die Studie bewusst Schülerinnen und Schüler überwiegend der achten bis elften Klassen ausgewählt, da diese sich in größerem Maße unabhängig von ihrem Elternhaus und vielleicht auch von den Vorgaben der Allgemeinverfügung bewegen, sie haben auch annehmbar eine entsprechend große Anzahl von sozialen Kontakten. Zudem wurden für die Studie bewusst Schulen ausgewählt, von denen bekannt war, dass dort vor dem Lockdown SARS-CoV2-Infektionen nachgewiesen worden waren.
„Hier konnten wir erfreulicherweise feststellen, dass sich in der ausgewählten Altersgruppe und in den untersuchten Schulen weder vor dem Lockdown noch nach der Wiedereröffnung Hotspots entwickelt haben. Vier von fünf Schülern, also 80 Prozent, gaben dabei an, über ihren Klassenverband und die Familie hinaus regelmäßige soziale Kontakte unterhalten haben. Auch das hat offenbar nicht zu einer weiteren Verbreitung des Virus geführt“, erläutert Prof. Berner.
Positiver Antikörpertest ist kein Freibrief
Die zweite große Testreihe an den 13 Schulen ist zu Beginn des neuen Schuljahres geplant, eine dritte wird es in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen Ende 2020 oder Anfang 2021 geben, sagt Professor Reinhard Berner. Er betreut gemeinsam mit Dr. Jakob Armann die Studie, während Prof. Dalpke am Institut für Virologie die Auswertung der Blutproben verantwortet.
Gemeinsam warnten die Wissenschaftler davor, einen positiven Antikörpertest als Freibrief zu sehen, denn der Nachweis von Antikörpern bedeutet nicht zwangsläufig Schutz. „Zudem gibt es bei jedem Test auch sogenannte falsch positive Befunde, die vermeintliche Antikörper anzeigen, die tatsächlich gar nicht vorhanden sind. Wir haben deshalb positive Befunde zwei weiteren Testungen unterzogen“, erklärt Prof. Dalpke.
Nur wer in zwei der drei Verfahren positiv war, wurde auch als Antikörperträger klassifiziert. Entscheidend sei daher laut dem Virologen, sich die Antikörperentwicklung im Verlauf anzusehen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Technische Universität Dresden: Immunisierungsgrad geringer als erwartet – Schulen haben sich nicht zu Hotspots entwickelt, (Abruf: 14.07.2020), Technische Universität Dresden
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Coronavirus: Fragen und Antworten: Krankheitsverlauf und Immunität, (Abruf: 14.07.2020), Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.