Kulturelle Faktoren bei Maßnahmen und deren Befolgung
Hierzulande diskutieren Wissenschaftler, Wirtschaft und Politik über richtigen Maßnahmen, um die Coronavirus-Pandemie einzudämmen. In den Städten Hongkong und der benachbarten Provinz Shenzhen konnte die Epidemie sehr erfolgreich eingedämmt werden, ohne dass sehr weitreichende Maßnahmen notwendig waren. Forschende untersuchten und bewerteten nun die Maßnahmen, mit denen es den Provinzen gelang, SARS-CoV-2 so erfolgreich ohne eine komplette Abriegelung in den Griff zu bekommen.
Hongkong und Shenzhen haben trotz ihrer Nähe zum Ursprungsort der Coronavirus-Pandemie erstaunlich wenig COVID-19-Erkrankte und Todesfälle, obwohl die dortigen Gesundheitsbehörden keinen kompletten Lockdown angeordnet haben. Zwei Forschungsteam untersuchten nun, wie dies gelang. Ihre Ergebnisse für Hongkong wurden in dem Fachjournal „Lancet Public Health“ und die für Shenzhen im Fachjournal „Lancet Infectious Diseases“ vorgestellt.
Hongkong manövriert sich sicher durch die Krise
Hongkong hatte Ende März 2020 laut der Universität Hongkong nur 715 COVID-19-Fälle und 4 Todesfälle, die mit SARS-CoV-2 in Verbindung stehen. Bedenkt man, dass hier 7,5 Millionen Menschen auf engem Raum zusammenleben und eine geografische Nähe zum Ausbruchsort Wuhan besteht, ist dieses Ergebnis schon beeindruckend. Wie ist dies gelungen?
Die Ergebnisse wurden ohne kompletten Shutdown erzielt
Wie das Forschungsteam der Universität Hongkong zeigt, beruht die erfolgreiche Eingrenzung auf einem frühen konsequenten Handeln und auf der guten Kooperation der Bevölkerung. Zu den Maßnahmen zählte, dass alle Personen, die aus Ländern eingereist sind, in denen COVID-19-Fälle bekannt waren, in eine 14-tägige Quarantäne gehen mussten. Zudem wurden alle an COVID-19 erkrankten Personen in Krankenhäusern isoliert.
Darüber hinaus führten die Behörden eine intensive Rückverfolgung aller Kontakte der infizierten Personen durch. Positiv getestete Personen mussten sofort ihre Wohnungen verlassen und die Infektion in einer Quarantäneeinrichtung auskurieren – unabhängig vom Schweregrad.
Weitere Maßnahmen in Hongkong
Die Gesundheitsbehörden riefen die Bevölkerung dazu auf, Abstandsregelungen einzuhalten und Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit zu tragen. Diese Maßnahmen wurden konsequent befolgt. Außerdem wurden die Schulen ab Ende Januar geschlossen und Angestellte nach Möglichkeit ins Home Office geschickt. Das restliche öffentliche Leben lief jedoch unter verschärften Hygienemaßnahmen verhältnismäßig normal weiter.
Erfolg der Maßnahmen
Auf diese Weise konnte Hongkong die Reproduktionszahl (R) des Coronavirus von Beginn an klein halten. Im Laufe des März konnte R von 1,5 auf unter 1 gedrückt werden, ohne das eine exponentielle Ausbreitung erfolgte. Die Schulschließungen führten laut der Universität Hongkong dazu, dass die Übertragungen bei Kindern um 33 Prozent gesenkt werden konnte. R fiel in dieser Gruppe von 1,1 auf 0,73.
Verhalten der Bevölkerung hatte große Auswirkungen
Die Forschenden führen den großen Erfolg der Eindämmung auch auf die hohe Bereitschaft der Bevölkerung zurück, die Empfehlungen umzusetzen und die Maßnahmen mitzutragen. Laut Umfragen, die im Rahmen der Studie durchgeführt wurden, mieden 85 Prozent der Befragten überfüllte Orte und 99 Prozent trugen in der Öffentlichkeit Gesichtsmasken.
Influenza wurde mit eingedämmt
Die Maßnahmen wirkten sich auch im hohen Maße auf die Ausbreitung der Influenza aus. Die Erkrankungszahlen sanken im Rahmen der Maßnahmen um 44 Prozent, wodurch die Grippesaison vorzeitig beendet wurde. Die Reproduktionszahl für Influenza sankt demnach von 1,28 auf 0,72.
Ähnliche Ergebnisse in Shenzhen
Der Erfolg dieses Vorgehens spiegelte sich auch in der angrenzenden Provinz Shenzhen wider, in der ähnliche Maßnahmen getroffen wurden. In der Provinz leben rund 13 Millionen Menschen. Forschende der Universität der Provinzhaupt Guangdong zeigten, dass hier die Reproduktionszahl sogar auf 0,4 gesenkt werden konnte.
Sechsmal höheres Ansteckungsrisiko innerhalb von Haushalten
Als besonders effektiv erwies sich hier die Kontaktverfolgung und die konsequente Quarantäne aller Infizierten. Das Forschungsteam fand heraus, dass die Übertragungswahrscheinlichkeit in einem Haushalt sechs mal höher ist, als in der Öffentlichkeit. Die vorübergehende Unterbringung von Infizierten in Quarantäneeinrichtungen erwies sich als effektive Maßnahme, um die Übertragungen innerhalb von Haushalten zu senken und Infektionsketten zu unterbrechen.
Frühe Erkennung durch Kontaktverfolgung
Durch die Kontaktverfolgung konnten viele Erkrankungsfälle wesentlich früher aufgedeckt werden. Während im Durchschnitt 4,6 Tage vergingen, bis sich ein Infizierter nach Symptombeginn isolierte, waren es nur 2,7 Tage unter den Fällen, die durch die Kontaktverfolgung aufgedeckt wurden.
Einschränkungen der Studie
Während das Gesamtpaket der dort getroffenen Maßnahmen eine effektive Eindämmung bewirkte, bleibt jedoch unklar, welchen Teilerfolg die einzelnen Maßnahmen bewirkten. Und bei dem Erfolg spielen mit Sicherheit kulturelle Faktoren eine entscheidende Rolle. Beispielsweise wäre bei der Isolierung von Familienangehörigen in Quarantäneeinrichtungen in Europa mit weitaus weniger Akzeptanz zu rechnen. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Benjamin J Cowling, Sheikh Taslim Ali, Tiffany W Y Ng, u.a.: Impact assessment of non-pharmaceutical interventions against coronavirus disease 2019 and influenza in Hong Kong: an observational study; in: Lancet Public Health, 2020, thelancet.com
- Qifang Bi, Yongsheng Wu, Shujiang Mei, u.a.: Epidemiology and transmission of COVID-19 in 391 cases and 1286 of their close contacts in Shenzhen, China: a retrospective cohort study; in: Lancet Infectious Diseases, 2020, thelancet.com
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.