COVID-19: Auswirkungen des Coronavirus auf das Gehirn
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und die dadurch ausgelöste Erkrankung COVID-19 auch Auswirkungen auf das Gehirn haben kann, etwa indem dort Blutgefäße geschädigt werden. Neuere wissenschaftliche Untersuchungen haben nun eine Abnahme der Gesamthirnmasse bei Corona-Infizierten festgestellt.
Das Coronavirus SARS-CoV-2 befällt nicht nur Lunge und Atemwege, sondern kann Einfluss auf viele Organe des menschlichen Körpers nehmen. So belegen inzwischen zahlreiche Studien, dass COVID-19 Auswirkungen auf das Gehirn haben kann.
- Laut wissenschaftlichen Untersuchungen zeigt sich bei manchen SARS-CoV-2-Infizierten ein Rückgang an grauer Substanz im orbitofrontalen Kortex sowie eine Abnahme der Gesamthirnmasse.
- Bei diesen Betroffenen verschlechterten sich im Verlauf auch die kognitiven Testergebnisse. Ob diese Veränderungen reversibel sind, ist derzeit noch nicht klar.
- Eine weitere Studie zeigte ein erhöhtes Demenzrisiko nach einer COVID-19-Erkrankung im Vergleich zu anderen Pneumonien.
COVID-19-assoziierte Auffälligkeiten der Gehirnstruktur
Wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) in einer aktuellen Mitteilung schreibt, zeigten bereits mehrere Studien COVID-19-assoziierte Auffälligkeiten der Gehirnstruktur. Bislang blieb aber unklar, ob auch leichtere Verläufe einer SARS-CoV-2-Infektion zu solchen Veränderungen führen können.
In der Fachzeitschrift „Nature“ wurde jetzt eine Studie publiziert, die im Rahmen der großen, longitudinalen „UK Biobank Imaging Study“ erstmals zerebrale MRT-Veränderungen bei SARS-CoV-2-infizierten Personen untersuchte, von denen schon vor der Pandemie ein zerebrales MRT verfügbar war.
In der 2006 begonnenen „UK Biobank Imaging Study“ wurden seitdem mehr als 40.000 Menschen (über 45 Jahre) in vier Zentren nach standardisierten Protokollen einer multimodalen zerebralen MRT-Untersuchung des Gehirns unterzogen.
Die Studie wurde aufgrund der Pandemie zunächst pausiert; ab Februar 2021 wurde dann begonnen, Teilnehmende zu einem weiteren MRT-Scan einzuladen. In der Zwischenzeit hatten viele von ihnen eine Coronavirus-Infektion durchgemacht.
Minimierung von Fehlinterpretationen
Um den potenziellen Einfluss einer SARS-CoV-2-Infektion auf die Gehirnstruktur zu untersuchen, wurden die zwei Scans (vor und nach COVID-19) mit nicht an COVID-19 erkrankten Teilnehmerinnen und Teilnehmern verglichen.
Die Verfügbarkeit der Bildgebung vor der Infektion minimierte die Wahrscheinlichkeit, dass unbekannte präexistente Risikofaktoren oder Auffälligkeiten später als COVID-19-bedingt fehlinterpretiert wurden. Teilnehmende mit zerebralen Zufallsbefunden im ersten Scan waren von der Studie ausgeschlossen.
Bei den Probandinnen und Probanden gab es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Alter, Geschlecht, Ethnizität, mittlerem Blutdruck, Diabetes mellitus, Gewicht/BMI, Alkohol- und Nikotinkonsum oder dem sozioökonomischen Status.
Von 785 geeigneten Personen in der Biobank (Alter 51-81) mit jeweils zwei zerebralen MRT-Untersuchungen hatten 401 Personen zwischen den beiden Scans eine SARS-CoV-2-Infektion erlitten und 15 von ihnen waren stationär behandelt worden. Zwischen der Infektionsdiagnose sowie dem zweiten Scan lagen durchschnittlich 141 Tage.
Zur Kontrollgruppe zählten 384 Menschen. Das Intervall zwischen den beiden Gehirnscans betrug in den beiden Gruppen im Mittel 3,2 ± 1,6 Jahre.
Deutlich mehr Verschlechterungen in kognitiven Tests
Im Ergebnis zeigten sich signifikante longitudinale Effekte beziehungsweise MRT-Veränderungen in der Gruppe der zwischenzeitlich SARS-CoV-2-Infizierten.
Dazu gehörten eine Abnahme grauer Substanz sowie eine Abnahme des Gewebekontrasts im orbitofrontalen Kortex (Hirnrinde im vorderen Bereich über den Augenhöhlen) und im sogenannten parahippocampalen Gyrus (Teil des im Schläfenlappen gelegenen limbischen Systems).
Auch zeigten sich Gewebeveränderungen beziehungsweise -schäden in Hirnregionen, die funktionell mit dem primären Riechkortex verbunden sind, sowie eine stärkere Abnahme der Gesamthirnmasse. Auch in kognitiven Tests wiesen die zwischenzeitlich SARS-CoV-2-Infizierten deutlich mehr Verschlechterungen (in der Zeit zwischen den beiden Scans) auf als Nicht-infizierte.
Die longitudinalen Gruppenunterschiede (in Bildgebung und Kognition) blieben auch bestehen, wenn die 15 Teilnehmenden, die wegen COVID-19 hospitalisiert waren, nicht in die Statistik einbezogen wurden.
Der Pathomechanismus SARS-CoV-2-assoziierter Gehirnveränderungen muss jetzt weiter erforscht werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren eine Verbreitung des Virus über olfaktorisch-neuronale Wege und entzündliche Vorgänge.
Auch der Wegfall des sensorisch-olfaktorischen Inputs aufgrund des Verlustes des Geruchssinns (Anosmie) könnte indirekt strukturelle Veränderungen verursacht haben, meinen die Autorinnen und Autoren der Studie.
„Die Daten der UK Biobank zeigen, dass es für die neurologischen Post-COVID-Symptome ein morphologisches Korrelat gibt“, kommentiert DGN-Generalsekretär Prof. Dr. med. Peter Berlit. „Ob die in der Bildgebung dokumentierten Veränderungen im Verlauf reversibel sind oder im Sinne einer Neurodegeneration langfristig persistieren, muss nun im Follow-up weiter untersucht werden.“
Deutlich höheres Demenzrisiko
Eine weitere, auf dem Open-Access-Repository Europe PubMed Central (Europe PMC) veröffentlichte Studie beschreibt ebenfalls COVID-19-assoziierte funktionelle zerebrale Veränderungen. Hier hatten die mehr als 10.000 Betroffenen allerdings alle eine SARS-CoV-2-Pneumonie mit schwerem Verlauf.
Bei drei Prozent entwickelte sich nach über 30 Tagen eine neu auftretende Demenz. Das Demenzrisiko nach einer SARS-CoV-2-Pneumonie war in dieser Studie 30 Prozent höher als bei nicht-COVID-19-assoziierten Pneumonien.
Betroffene mit dokumentierten präexistenten Demenz-Symptomen oder kognitiven Defiziten waren ausgeschlossen. Komorbiditäten, die das Risiko einer Demenz-Entwicklung erhöhen können, wurden in der Multivarianzanalyse berücksichtigt (zum Beispiel Bluthochdruck, Drogen-, Nikotin- und Alkoholkonsum, bestimmte neurologische und psychiatrische Erkrankungen).
„Die Daten zeigen, dass das Virus, wenn auch zum Glück nur in seltenen Fällen, auch im Langzeitverlauf zu Veränderungen im Gehirn führen kann. Vor diesem Hintergrund bietet die Impfung nicht nur einen Schutz vor schweren Akutverläufen der Infektion, sondern auch vor Folgeschäden“, sagt Berlit. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.: SARS-CoV2-assoziierte Veränderungen der Hirnstruktur im Langzeitverlauf bei nicht-hospitalisierten Personen, (Abruf: 19.03.2022), Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.
- Douaud G, Lee S, Alfaro-Almagro F et al.: SARS-CoV-2 is associated with changes in brain structure in UK Biobank; in: Nature, (veröffentlicht: 07.03.2022), Nature
- UK Biobank: Imaging Study, (Abruf: 19.03.2022), UK Biobank
- Qureshi AI, Baskett WI, Huang W et al.: New Onset Dementia Among Survivors of Pneumonia Associated with Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 Infection; in: Europe PMC, (veröffentlicht: 07.03.2022), Europe PMC
Wichtiger Hinweis:
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