Schwere Entzündung im zentralen Hirngewebe durch COVID-19
Neurologische Störungen infolge von COVID-19 sind in den vergangenen Monaten immer stärker in den Fokus gerückt, wobei bislang nicht abschließend geklärt werden konnte, welche Mechanismen den neurologischen Beeinträchtigungen zugrunde liegen. In einer aktuellen Studie wurde nun deutlich, dass COVID-19 eine überschießende Entzündungsreaktion im Gehirn verursacht, die hieran beteiligt scheint.
Während, aber auch nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 kann es zu schweren neurologischen Symptomen kommen, wobei beispielsweise der Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns zu den bekanntesten Folgen zählen. Diese wirken jedoch im Vergleich zu anderen diskutierten neurologischen Beschwerden eher harmlos. So hat jüngst eine Studie zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen COVID-19 und Alzheimer ähnlicher Demenz hergestellt, was fatale langfristige Folgen befürchten lässt.
Schadet COVID-19 dem Hirngewebe?
In der aktuellen Studie hat das Forschungsteam des Universitätsklinikums Freiburg und des Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg nun mit Hilfe einer neuartigen Messmethode, der bildgebenden Massenzytometrie, die Folgen von COVID-19 auf das Hirngewebe beziehungsweise das zentrale Nervensystem untersucht.
Unterschiedliche Zelltypen des Immunsystems sowie Virus-infizierte Zellen und deren räumliches Zusammenwirken konnten so in bisher unbekanntem Detail analysiert werden, berichten die Forschenden. Dabei habe sich gezeigt, dass „COVID-19 eine schwere Entzündungsreaktion durch unterschiedliche Immunzellen um das Gefäßsystem und im zentralen Hirngewebe“ verursachen kann. Veröffentlicht wurden die Studienergebnisse in dem Fachmagazin „Immunity“.
Überraschendes Ausmaß der Entzündung
„Auch wenn es bereits Hinweise auf eine Beteiligung des Zentralen Nervensystems bei COVID-19 gab, hat uns das Ausmaß der Entzündung im Hirn überrascht“, betont die Erstautorin Henrike Salié vom Universitätsklinikum Freiburg. „Gerade die vielen sogenannten Mikrogliaknötchen lassen sich im gesunden Hirn sonst nicht finden“, ergänzt Erstautor Dr. Marius Schwabenland vom CIBSS an der Universität Freiburg.
„Bisher war das Entzündungsmuster bei COVID-19 wenig verstanden. Auch im Vergleich zu anderen Hirnentzündungen sind die durch COVID-19 ausgelösten Entzündungsreaktionen einzigartig und weisen auf eine schwerste Störung der hirneigenen Immunantwort hin,“ betont Professor Dr. Marco Prinz vom Institut für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg, der die Studie gemeinsam mit Professor Dr. Dr. Bertram Bengsch von der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Freiburg geleitet hat.
Ausgeprägte Neuroinflammation im Hirnstamm
„Insbesondere die wesentlichen Abwehrzellen im Gehirn, sogenannte Mikrogliazellen, werden besonders stark aktiviert und es kommt zur Einwanderung von T-Killerzellen in das Hirngewebe und Entwicklung einer ausgeprägten Neuroinflammation im Hirnstamm“, so Professor Prinz weiter. „Die Immunveränderungen sind besonders in der Nähe kleiner Hirngefäße nachweisbar. In diesen Bereichen wird der Virus-Rezeptor ACE2 exprimiert, an den das Coronavirus andocken kann und dort war das Virus auch direkt nachweisbar“, ergänzt Professor Bengsch.
„Es erscheint plausibel, dass die Immunantwort dort infizierte Zellen erkennt und sich die Entzündung dann auf das Nervengewebe ausbreitet und so für Beschwerden sorgt“, betont Professor Bengsch . Dem Experten zufolge könnte möglicherweise eine frühzeitige immunmodulierende oder immunsuppressive Therapie die Entzündung reduzieren und damit auch das Risiko neurologischer Störungen verringern. (fp)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Marius Schwabenland, Henrike Salié, Jovan Tanevski, Saskia Killmer, Marilyn Salvat Lago, Alexandra Emilia Schlaak, Lena Mayer, Jakob Matschke, Klaus Püschel, Antonia Fitzek, Ben Ondruschka, Henrik E. Mei, Tobias Boettler, Christoph Neumann-Haefelin, Maike Hofmann, Angele Breithaupt, Nafiye Genc, Christine Stadelmann, Julio Saez-Rodriguez, Peter Bronsert, Klaus-Peter Knobeloch, Thomas Blank, Robert Thimme, Markus Glatzel, Marco Prinz, Bertram Bengsch: Deep spatial profiling of human COVID-19 brains reveals neuroinflammation with distinct microanatomical microglia-T cell interactions; in: Immunity (veröffentlicht 09.06.2021), cell.com
- Albert-Ludwigs-Universität Freiburg: COVID-19 kann schwere Hirnentzündungen auslösen (veröffentlicht 11.06.2021), uni-freiburg.de
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