Herz- und Gefäßschäden durch SARS-CoV-2
Der Schaden, den das Coronavirus SARS-CoV-2 anrichten kann, ist enorm. Es ist auch deshalb ein sehr ernst zu nehmender Krankheitserreger für die Medizin, da es sämtliche Organe befallen kann. Unter anderem kann das Virus das Herz- und Gefäßsystem angreifen.
Die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit COVID-19 wird von den meisten Menschen als Atemwegs- beziehungsweise Lungenerkrankung betrachtet. Doch der gefährliche Erreger kann auch zu Herz- und Gefäßschäden führen.
Gefahr nicht nur für die Lunge und Nieren
Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist eine Gefahr nicht nur für die Lunge und Nieren, sondern auch für andere Organe wie Herz und Gefäße, erklärt die Deutsche Herzstiftung in einer aktuellen Mitteilung.
Besonders bei schwer kranken COVID-19-Patientinnen und Patienten kommt es im Zuge einer überschießenden Immunreaktion („Zytokinsturm“) mit ausgeprägten Entzündungsprozessen im Atmungssystem zu krankhaften Veränderungen des Bindegewebes bis hin zur lebensgefährlichen Lungenfibrose.
Laut den Fachleuten können Patientinnen und Patienten mit vorbestehenden Herzerkrankungen besonders schwer von einer Lungenentzündung und einem akuten Atemnotsyndrom (Acute Respiratory Distress Syndrome, ARDS) im Zuge einer COVID-19-Erkrankung betroffen sein.
Biomarker bei Schwerstkranken identifiziert
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Molekulare und Translationale Therapiestrategien (IMTTS) der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) haben jüngst – auch mit Unterstützung durch die Deutsche Herzstiftung – mit sogenannten nicht kodierenden Mikro-RNAs (miRs) Biomarker mit Vorhersagepotenzial für kardiovaskuläre Schäden bei schwerstkranken COVID-19-Erkrankten identifiziert.
„Wir haben angenommen, dass nicht kodierende Mikro-RNAs, die keine Baupläne für genetische Informationen tragen, eine wesentliche regulatorische Rolle bei der überschießenden Immunreaktion und den anschließenden Umbauarbeiten im Bindegewebe der Lunge und des Herzens spielen“, erläutert Studienleiter und Kardiologe Prof. Dr. Dr. med. Thomas Thum in einer MHH-Meldung.
Mikro-RNAs waren hochreguliert
Die Forschenden haben in Zusammenarbeit mit den MHH-Kliniken für Kardiologie und Angiologie sowie für Pneumologie Blutproben von 38 COVID-19-Erkrankten mit Lungenentzündung untersucht, die intensivmedizinisch behandelt und beatmet wurden.
Die Ergebnisse wurden verglichen mit denen der Kontrollgruppen aus 28 intensivpflichtigen Influenza-Erkrankten mit ARDS und 47 gesunden Probandinnen und Probanden: Wie hoch war die Konzentration der für Herz- und Gefäßereignisse sowie für Entzündungsgeschehen relevanten miRs im Blut der kritisch kranken COVID-19-Erkrankten?
„Wir haben in unseren Untersuchungen festgestellt, dass diejenigen Mikro-RNAs, die bekanntlich eine Herz- oder Gefäßbeteiligung anzeigen, vor allen Dingen in den COVID-19-Patienten hochreguliert waren. Das deutet darauf hin, dass SARS-CoV-2 nicht nur das Atmungssystem angreift, sondern auch das Herz- und Gefäßsystem“, so Dr. med. Anselm Derda, Assistenzarzt an der Klinik für Kardiologie der MHH und einer der Erstautoren der Studie.
Klare Konsequenzen für die Behandlung
Den Angaben zufolge ergaben die Untersuchungen der Blutseren von schwerstkranken COVID-19-Intensivpatientinnen und -patienten im Vergleich zu den ebenfalls mechanisch beatmeten Influenza-Erkrankten mit ARDS, dass bei der erstgenannten Gruppe insbesondere entzündungsfördernde miRs wie miR-155 und herzmuskelspezifische miRs, sogenannte myomiRs wie miR-208a und miR-499 signifikant hochreguliert waren.
Auch das mit der gefährlichen Fibrose einhergehende miR-21 war bei den COVID-19-Erkrankten im Vergleich zu Gesunden und Influenza-ARDS-Patientinnen und -Patienten erhöht.
„Die Ergebnisse zeigen, dass der gezielte Nachweis von miRs-Profilen im Blut eine sehr differenzierte Unterscheidung kritisch kranker COVID-19-Patienten von schwer kranken Influenza-ARDS-Patienten und Gesunden erlaubt“, sagt Prof. Thum.
Laut den MHH-Forschenden könnte dies klare Konsequenzen für die Behandlung sowohl akut erkrankter COVID-19-Betroffener zu Beginn der Erkrankung als auch in der Nachsorge nach Genesung haben, „indem wir noch bevor es zur Schädigung von Herz und Gefäßen kommt, anhand der miRs-Konzentrationen eine mögliche kardiovaskuläre Belastung im Krankheitsverlauf und Wochen nach der Genesung auf Folgeschäden untersuchen können.“
Zudem könnte der MikroRNA-Ansatz für neue Therapien von großem Nutzen sein, wie Prof. Thum erläutert, denn „mit Mikro-RNAs können wir den Rezeptor, der das SARS-CoV-2-Virus in die Herzmuskelzellen oder in die Lungenzellen aufnimmt, regulieren und so verhindern, dass das Coronavirus in die Zellen aufgenommen werden kann.“
Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „European Journal of Heart Failure“ veröffentlicht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Herzstiftung: Herz- und Gefäßschäden durch COVID: Biomarker als „Frühwarnsystem“ entdeckt, (Abruf: 31.07.2021), Deutsche Herzstiftung
- Medizinische Hochschule Hannover: SARS-CoV-2 greift das Herz an, (Abruf: 31.07.2021), Medizinische Hochschule Hannover
- Ankita Garg PhD, Benjamin Seeliger MD, Anselm A. Derda MD, Ke Xiao PhD, Anika Gietz, Kristian Scherf, Kristina Sonnenschein MD, Isabell Pink MD, Marius M. Hoeper MD, Tobias Welte MD, Johann Bauersachs MD, Sascha David MD, Christian Bär PhD, Thomas Thum MD PhD: Circulating cardiovascular microRNAs in critically ill COVID-19 patients; in: European Journal of Heart Failure, (veröffentlicht: 09.01.2021), European Journal of Heart Failure
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.