Auswirkungen von Einsamkeit auf das erlebte Wohlbefinden
Während der COVID-19-Pandemie alleine verbrachte Zeit hat sich bei vielen Menschen aus allen Altersgruppen positiv auf deren Wohlbefinden ausgewirkt. Laut einer aktuellen Studie scheinen die Vorteile des Alleinseins die Nachteile dabei klar zu überwiegen.
In der neuen Untersuchung unter Beteiligung von Forschenden der University of Reading wurde festgestellt, dass die meisten Menschen von der alleine verbrachten Zeit zu Beginn der COVID-19-Pandemie profitierten. Die Studie wurde in dem englischsprachigen Fachblatt „Frontiers in Psychology“ publiziert.
Durchschnittliches Wohlbefinden nahm zu
Während des Untersuchungszeitraums zeigten sich bei Teilnehmenden aller Altersgruppen positive und negative Auswirkungen durch die erlebte Einsamkeit, berichtet das Team. Die Fachleute kommen jedoch zu dem Schluss, dass hierbei mehr positive Auswirkungen zu beobachten waren. Durchschnittlich habe das Wohlbefinden der Teilnehmenden in allen Altersgruppen leicht zugenommen.
Zwar berichteten einige Studienteilnehmende über einer Verschlechterung der Stimmung und des Wohlbefindens, aber die Mehrheit habe sich während der alleine verbrachten Zeit kompetent und autonom gefühlt. So gaben 43 Prozent der befragten Menschen in der Studie an, dass die Einsamkeit für sie mit Aktivitäten und Kompetenzerfahrungen verbunden war. Dies betraf Menschen aus allen Altersgruppen gleich, berichtet das Team.
Erwerbsfähige machten die meisten negativen Erfahrungen
Erwachsene Menschen im erwerbsfähigen Alter machten laut den Forschenden die meisten negativen Erfahrungen, wobei viele Teilnehmende ein gestörtes Wohlbefinden (35,6 Prozent gegenüber 29,4 Prozent bei Jugendlichen und 23,7 Prozent bei älteren Erwachsenen) als Beispiel nannten. Zusätzlich klagten erwerbsfähige Personen vermehrt über negative Stimmung (44 Prozent gegenüber 27,8 Prozent bei Jugendlichen und 24,5 Prozent bei älteren Erwachsenen).
Jugendliche litten unter Entfremdung
Sogenannte Entfremdungserfahrungen, also Auswirkungen durch keinen Kontakt zu Freunden, traten dagegen bei Jugendlichen doppelt so häufig (14,8 Prozent) wie bei Erwachsenen (7 Prozent) auf, wobei ältere Erwachsene dieses Problem am seltensten erwähnten (2,3 Prozent), berichten die Fachleute.
Einsamkeit kann vorteilhaft sein
„Unsere Studie zeigt, dass Aspekte der Einsamkeit (…) in allen Altersgruppen als vorteilhaft für unser Wohlbefinden angesehen werden“, erläutert Studienautorin Dr. Netta Weinstein von der der University of Reading in einer Pressemitteilung.
Laut der Expertin ist die gängige Meinung, dass Jugendliche die Pandemie im Großen und Ganzen als negative Erfahrung empfunden hätten. Hier zeige die Studie, dass Komponenten der Einsamkeit auch positiv ausfallen können.
Positive Erfahrungen überwogen
„In diesen ersten Monaten der Pandemie im Vereinigten Königreich haben wir festgestellt, dass berufstätige Erwachsene am ehesten Aspekte der Verschlechterung des Wohlbefindens und der Stimmung angaben, aber selbst diese werden nicht so häufig genannt wie positivere Erfahrungen der Einsamkeit“, fügt die Medizinerin hinzu.
Menschen gingen vermehrt Hobbys nach
Die Untersuchung wurde im Sommer des Jahres 2020 durchgeführt, also zeitgleich mit dem Ende des ersten nationalen Lockdowns in Großbritannien. Die Forschenden berichten, dass viele Menschen in dieser Zeit wieder Hobbys und Interessen nachgingen oder die Natur bei Spaziergängen und Radtouren zunehmend zu schätzen wussten. Diese Elemente der selbstbestimmten Motivation, bei der sich Menschen dafür entscheiden, Zeit alleine zu verbringen, sind offenbar ein wesentlicher Aspekt des positiven Wohlbefindens, so Dr. Weinstein.
Ruhe ist wichtig für die geistige Gesundheit
Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass selbst kurze Zeiträume der Ruhe, welche alleine verbracht werden, wichtig für die geistige Gesundheit sind. Hier liegt laut Dr. Weinstein zudem der Verdacht nahe, dass bestimmte Erfahrungen der Einsamkeit mit zunehmendem Alter erlernt oder geschätzt werden, was dazu führt, dass sich die Auswirkungen negativer Elemente der Einsamkeit verringern und das Wohlbefinden allgemein gesteigert wird.
Auch zeige sich, dass beiläufige Rückschlüsse auf Einsamkeit aufgrund von Alter und Lebensphase an der Realität unserer differenzierten Lebenserfahrungen vorbeigehen, so die Expertin.
Teilnehmende wurden befragt
Die Ergebnisse basieren auf einer Reihe von Befragungen, in denen die Teilnehmenden offene Fragen zu ihren Erfahrungen mit Einsamkeit beantworteten. Die Forschungsgruppe kodierte die Antworten, um gemeinsame Erfahrungen zu finden, und ermittelte quantitative Daten zu zwei Aspekten des Wohlbefindens, welche mit Einsamkeit in Verbindung stehen. Dabei handelte es sich um selbstbestimmte Motivation (die Entscheidung, Zeit allein zu verbringen) und friedliche Stimmung.
Die Forschenden weisen darauf hin, dass die Ergebnisse aus einer Phase der COVID-19-Pandemie im Sommer 2020 stammen, und empfehlen, die Auswirkungen der Einsamkeit genauer zu untersuchen. Dies gelte für herausfordernde Zeiten wie die Pandemie, aber auch im normalen Alltag, wo die tägliche Einsamkeit anders ausfallen und sich auch anders anfühlen kann. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Netta Weinstein, Thuy-vy Nguyen, Heather Hansen: What Time Alone Offers: Narratives of Solitude From Adolescence to Older Adulthood; in: Frontiers in Psychology (veröffentlicht 01.11.2021), Frontiers in Psychology
- University of Reading: Pandemic solitude was positive experience for many (veröffentlicht 01.11.2021), University of Reading
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.