COVID-19: Geht mit bestehender Hypertonie eine Immuninsuffizienz einher?
Der Großteil der Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 verläuft mild oder gar ganz ohne Symptome. Doch manche Infizierte erkranken schwer. Laut Fachleuten gibt es bestimmte Risikogruppen, bei denen das Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf erhöht ist. Die Gefahr soll auch für Menschen mit Bluthochdruck höher sein. Zudem soll bei Hypertonie das Ansteckungsrisiko größer sein. Stimmt das?
Laut einer Mitteilung wird an die Deutsche Hochdruckliga zunehmend die Frage herangetragen, inwieweit mit einer bestehende Hypertonie eine Immuninsuffizienz einhergeht, d.h. das Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV-2 beziehungsweise einen schwerwiegenden Verlauf einer COVID-19-Erkrankung erhöht. Die Fachleute informieren daher über den aktuellen Wissensstand.
Personengruppen mit erhöhtem Risiko für schweren Krankheitsverlauf
Die Erkrankung COVID-19, die durch eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöst wird, verläuft nach Angaben von Expertinnen und Experten in den meisten Fällen (80 Prozent) mild bis moderat.
Doch unter anderem ältere Personen ab etwa 50-60 Jahren sowie Menschen, die an Vorerkrankungen wie Lungenerkrankungen oder anderen chronischen Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, haben in erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf.
Gilt das aber auch für Bluthochdruck-Patientinnen und Patienten? Und ist bei Hypertonie wirklich das Risiko für eine Infektion mit SARS-CoV-2 erhöht?
Die Hochdruckliga erklärt dazu, dass die „European Society of Hypertension“ (ESH) in einer Stellungnahme schreibt, dass es derzeit keine Evidenz dafür gibt, dass Bluthochdruck per se das Risiko erhöht, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren.
Laut Forschenden, die ein umfassendes Review zu COVID-Risikofaktoren des kardiovaskulären Systems zusammengestellt haben, zeigen die derzeit verfügbaren Daten einen Anteil von Hypertonie-Betroffenen unter COVID-19-Patientinnen und -Patienten von 15-40 Prozent auf (je nach Studie).
Diese Rate entspricht in etwa dem Anteil der Menschen in der Allgemeinbevölkerung, die unter Bluthochdruck leiden (etwa 30 Prozent). Dies deutet darauf hin, dass Bluthochdruck per se das Infektionsrisiko nicht erhöht.
Bluthochdruck ist eng mit dem Alter assoziiert
Gleiches gelte für die Frage, ob Bluthochdruck das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf von COVID-19 aggraviere. Auf dem ersten Blick, so heißt es im Review der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sehe es so aus, da bei vielen Patientinnen und Patienten mit schweren Verläufen der neuartigen Infektionskrankheit anamnestisch ein Bluthochdruck erhoben wurde.
Deshalb wurde Hypertonie bereits frühzeitig nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie als Risikofaktor neben anderen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen, COPD und Krebs gelistet.
Problem bei dieser Einstufung sei jedoch, dass Bluthochdruck eng mit dem Alter assoziiert ist, bei älteren Menschen also häufiger auftritt. So ist in Deutschland bei den über 50-Jährigen etwa jeder Dritte betroffen, bei den über 60-Jährigen bereits jeder Zweite.
Außerdem ist bekannt, dass vor allem ältere COVID-19-Patientinnen und -Patienten einen schweren Verlauf mit Intensivpflichtigkeit, Beatmungspflichtigkeit oder Tod nehmen.
Insofern ist es laut der Hochdruckliga nicht verwunderlich, dass die Rate an vorliegenden Bluthochdruckerkrankungen bei diesen, in der Regel älteren Patientinnen und Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen ebenfalls hoch ist.
Den Expertinnen und Experten zufolge besteht zum jetzigen Zeitpunkt abschließend keine Klarheit darüber, ob es eine direkte Assoziation zwischen Bluthochdruck und schweren Krankheitsverläufen gibt oder ob das Alter als „Confounder“ diesen Zusammenhang maßgeblich herstellt.
Blutdruckeinstellung als essenzielle Vorsorgemaßnahme
Allerdings zeigt die aktuelle Datenlage sehr eindrücklich, dass Hochdruckpatientinnen und -patienten, die ACEI (ACE-Hemmer) oder ARB (Angiotensin-Rezeptor-Blocker) einnehmen, kein höheres „COVID-Risiko“ aufweisen.
Dazu wurden Anfang Mai in dem Fachmagazin „The New England Journal of Medicine” (NEJM) drei größere Observationsstudien veröffentlicht, aus denen sich schließen lässt, dass ein medikamentös eingestellter Bluthochdruck bei Patientinnen und Patienten ohne bluthochdruckbedingten Endorganschäden somit per se weder das Risiko, an COVID-19 zu erkranken, noch das Risiko, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden, erhöht.
Im Gegenteil: Die Autoren des oben genannten Reviews heben in der Veröffentlichung die Blutdruckeinstellung als essenzielle Vorsorgemaßnahme im Rahmen der Corona-Pandemie hervor.
Patientinnen und Patienten mit arterieller Hypertonie sollten also ihre Hochdruckmedikamente weiter einnehmen und auf eine gute Blutdruckkontrolle achten, so lautet auch die ESH-Empfehlung, der sich die Deutsche Hochdruckliga anschließt.
Menschen mit Hypertonie müssen nicht mehr geschützt werden als andere
Der Hochdruckliga zufolge gibt es derzeit keine Evidenz dafür, dass Hochdruckpatientinnen und -patienten ohne schwere Endorganschäden/ bluthochdruckbedingten Folgeerkrankungen mehr geschützt werden müssten (zum Beispiel durch ein Beschäftigungsverbot) als die altersgleiche Allgemeinbevölkerung, wenn der Blutdruck gut eingestellt ist.
Für sie gelten die allgemeinen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) wie Hygienemaßnahmen, Abstandsgebot und Impfempfehlungen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Hochdruckliga: Empfehlungen zur Risikoeinstufung von Hypertonikern im Rahmen der SARS-CoV-2-Pandemie, (Abruf: 21.06.2020), Deutsche Hochdruckliga
- Tomasz J Guzik, Saidi A Mohiddin, Anthony Dimarco, Vimal Patel, Kostas Savvatis, Federica M Marelli-Berg, Meena S Madhur, Maciej Tomaszewski, Pasquale Maffia, Fulvio D’Acquisto, Stuart A Nicklin, Ali J Marian, Ryszard Nosalski, Eleanor C Murray, Bartlomiej Guzik, Colin Berry, Rhian M Touyz, Reinhold Kreutz, Dao Wen Wang, David Bhella, Orlando Sagliocco, Filippo Crea, Emma C Thomson, Iain B McInnes: COVID-19 and the cardiovascular system: implications for risk assessment, diagnosis, and treatment options; in: Cardiovascular Research, (veröffentlicht: 30.04.2020), Cardiovascular Research
- Mandeep R. Mehra, M.D., Sapan S. Desai, M.D., Ph.D., SreyRam Kuy, M.D., M.H.S., Timothy D. Henry, M.D., Amit N. Patel, M.D.: Cardiovascular Disease, Drug Therapy, and Mortality in Covid-19; in: The New England Journal of Medicine, (veröffentlicht: 01.05.2020), The New England Journal of Medicine
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- Giuseppe Mancia, M.D., Federico Rea, Ph.D., Monica Ludergnani, M.Sc., Giovanni Apolone, M.D., Giovanni Corrao, Ph.D.: Renin–Angiotensin–Aldosterone System Blockers and the Risk of Covid-19; in: The New England Journal of Medicine, (veröffentlicht: 01.05.2020), The New England Journal of Medicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.