Herz-Risiken durch COVID-19 und Impfung?
Es ist schon länger bekannt, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 nicht nur die Lunge, sondern auch weitere Organe befallen kann. Wie auch andere Virusinfektionen kann COVID-19 den Herzmuskel schädigen. Stimmt es aber, dass eine Corona-Impfung eine Herzmuskelentzündung auslösen kann?
Das Coronavirus SARS-CoV-2 wurde zu Beginn der Pandemie häufig auch als Atemwegsvirus bezeichnet, aber schon bald stellte sich heraus, dass der neuartige Erreger nicht nur die Atemwege, sondern auch verschiedene andere Organe befallen kann. So kann das Virus unter anderem das Herz angreifen und womöglich zu einer Herzmuskelentzündung (Myokarditis) führen. Zudem wird darüber diskutiert, dass auch nach einer COVID-19-Impfung, vor allem mit einem sogenannten mRNA-Impfstoff, Entzündungen am Herzmuskel auftreten können.
SARS-CoV-2 kann Herzmuskel schädigen
Der Schaden, den das Coronavirus SARS-CoV-2 anrichten kann, ist enorm. Es ist auch deshalb ein sehr ernst zu nehmender Krankheitserreger für die Medizin, weil es sämtliche Organe befallen kann. Selbst genesene Patientinnen und Patienten berichten von Folgewirkungen in Nieren, Lunge, Herz und Gehirn.
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie wurden bei COVID-19-Erkrankten neben Symptomen wie Atemwegsproblemen bis hin zur Luftnot, Fieber und Husten auch vermehrt Herz- und Gefäßkomplikationen beschrieben.
Dass das Virus den Herzmuskel schädigen kann, ist schon seit über einem Jahr bekannt, erklärt die Deutsche Herzstiftung in einer älteren Mitteilung.
Mittlerweile gibt es dazu neue Erkenntnisse, die die Stiftung in einer aktuellen Mitteilung zusammengefasst hat.
Kein zuverlässiges Leitsymptom
Wie die Fachleute schreiben, gibt es kein einzelnes, spezifisches und zuverlässiges Leitsymptom einer Myokarditis (im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Herzmuskelentzündung bezeichnet). Häufig gehen die ersten Anzeichen in den allgemeinen Infektionsbeschwerden unter und werden nicht auf das Herz bezogen.
Aufmerksam sollte man werden, wenn nach dem Abklingen der Infektionssymptome wie Fieber, Schwindel, Muskelschmerzen oder auch Durchfall, folgende Beschwerden anhalten beziehungsweise neu auftreten:
- Atemnot bei Anstrengung
- Herzrasen
- Herzstolpern (Rhythmusstörungen)
- Herzschmerzen (vor allem bei einer Perikarditis (Herzbeutelentzündung))
- unerklärliche Müdigkeit und Abgeschlagenheit
- körperliche Schwäche
Wer solche Symptome entwickelt, sollte unbedingt eine Ärztin oder einen Arzt aufsuchen und die Ursache abklären lassen.
Virus vermehrt sich
Doch wie kann die COVID-19-Erkrankung den Herzmuskel schädigen? Laut der Deutschen Herzstiftung sind Viren generell die häufigsten Auslöser einer Herzmuskelentzündung. In der Anfangsphase einer viralen Myokarditis dringt das Virus in die Zelle ein und vermehrt sich dort durch Herstellung von Selbstkopien.
Dazu muss der Erreger sich mit einem eigenen, spezifischen Antigenteil an seiner Hülle, ähnlich einem Schlüssel, mit einem ebenso spezifischen Rezeptor an der Zelle, vergleichbar mit dem passenden Schloss, verbinden.
Und genau so einen Schlüssel besitzt auch SARS-CoV-2 auf seiner Zelloberfläche für den ACE2-Rezeptor, der als Schloss fungiert und auf Lungen- und Herzzellen zu finden ist.
Im Labor konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung beispielsweise nachweisen, dass das Coronavirus, das vor allem die Lunge angreift, auch in Herzmuskelzellen eindringen kann. Ihre Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Cardiovascular Research“ veröffentlicht.
Auch in Gewebeproben (Myokardbiopsien) von COVID-19-Erkrankten haben Forschende den Erreger nachweisen können. Zudem war schon früh aufgefallen, dass es bei einigen Patientinnen und Patienten mit COVID-19 zu einem Anstieg des Herzinfarktmarkers Troponin kommt – häufig erst nach Abklingen der eigentlichen Infektionssymptome.
Schäden direkt am Herzen
Weitere Untersuchungsdaten erhärten inzwischen den Verdacht, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 Schäden direkt am Herzen verursachen kann. So haben zum Beispiel US-amerikanische Forschende bei 15 Prozent der untersuchten Sporttreibenden nach symptomarmem COVID-19-Verlauf einen kardialen Befund bei einer Magnetresonanzuntersuchung (kMRT) festgestellt, der für eine Myokarditis sprach. Die Studienergebnisse wurden in dem Fachjournal „JAMA Cardiology“ publiziert.
Und auch an der Universitätsklinik in Frankfurt untersuchte im Sommer 2020 das Forschungsteam von Professor Eike Nagel 100 Menschen mit einer kMRT, bei denen in der Vorgeschichte ein positiver SARS-CoV-2-Test und COVID-19-Symptome vorlagen.
Wie sie in dem Fachblatt „JAMA Cardiology“ berichten, fanden sie bei insgesamt 78 Patientinnen und Patienten Zeichen, die für eine Herzbeteiligung sprachen, bei 60 waren Anzeichen für eine kardiale Entzündung vorhanden.
Andererseits wurden in einer kleineren Studie aus Dänemark die Spätschäden bei 58 Patientinnen und Patienten ein halbes Jahr nach moderatem bis schwerem COVID-19-Verlauf untersucht. Dabei zeigte sich nur bei 12 von ihnen noch ein abnormaler Befund im MRT des Herzens.
Laut der im „American Heart Journal“ veröffentlichten Studie hatten die Erkrankten mit auffälligen kMRT-Befunden zuvor bei Einweisung in die Klinik alle deutliche erhöhte Herzmarker wie Troponin T aufgewiesen.
Und auch Forschende des Cardioangiologisches Centrum Bethanien (CCB) in Frankfurt a. M. konnten nur bei einer von 56 zuvor herzgesunden Personen nach COVID-19 mit Herzbeschwerden in der bildgebenden Diagnostik (kMRT) eine Myokarditis bestätigen.
Risiko bei Infektion größer als bei Impfung
Wie groß letztlich das Risiko für eine Herzmuskelentzündung und vor für allem bleibende kardiale Schäden durch COVID-19 ist – bei Herzgesunden und vor allem auch bei Patientinnen und Patienten mit bereits vorgeschädigten Herzen – ist somit noch nicht ganz klar.
Aus den bisher vorliegenden Daten kristallisiert sich allerdings heraus, dass das Risiko einer schweren (akuten) Herzschädigung bei einer Infektion mit dem Erreger SARS-CoV-2 offenbar merklich größer ist als bei einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff zum Schutz vor COVID-19. Das hat beispielsweise die Auswertung der Daten von rund 1,7 Millionen Menschen mit und ohne Impfung aus Israel ergeben.
Und wie der Schädigungsprozess konkret abläuft, ist ebenfalls noch nicht abschließend geklärt. „Bisher lässt sich kein SARS-CoV-2 spezifisches molekulares Schadensmuster erkennen“, sagt Professor Dr. med Karin Klingel, die derzeit am Universitätsklinikum Tübingen in einem von der Deutschen Herzstiftung geförderten Projekt das Myokarditispotenzial des Erregers SARS-CoV-2 erforscht.
„Wir haben bei unseren Untersuchungen des Herzmuskelgewebes von COVID-19-Patienten in den allerwenigsten Fällen zerstörte Herzmuskelzellen gefunden, die durch lymphozytäre Entzündungsprozesse hervorgerufen wurden. Man würde dann medizinisch von einer viralen lymphozytären Myokarditis sprechen.“
Im Muster der Abwehrzellen fänden sich kleine Unterschiede, aber eine Erklärung dafür stehe noch aus.
Nutzen-Risiko-Verhältnis der mRNA-Impfstoffe positiv
Kann auch eine Impfung gegen COVID-19 das Herz schädigen? In den vergangenen Wochen erhielt das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zunehmend Meldungen über den Verdacht einer Myokarditis oder Perikarditis im zeitlichen Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff.
Laut der Herzstiftung verweist das PEI in einem Sicherheitsbericht darauf, dass die Fälle in Übereinstimmung mit anderen, internationalen Daten (vor allem aus Israel und den USA) überwiegend bei männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 29 Jahren auftraten.
Meist war dies innerhalb von 14 Tagen der Fall und häufiger nach der zweiten Dosis einer mRNA-COVID-19-Impfung. Nach Durchsicht der Daten hat der Ausschuss für Risikobewertung (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee, PRAC) im Juli beschlossen, Myokarditis und Perikarditis als mögliche Nebenwirkung in die Fach- und Gebrauchsinformationen beider mRNA-Impfstoffe (Comirnaty/Biontech und Spikevax/Moderna) aufzunehmen.
Dennoch betont der PRAC, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis der mRNA-Impfstoffe weiterhin positiv ist.
„Wir finden anhand Gewebeproben nach Impfungen, die wir bundesweit zugeschickt bekommen, auch hier nur in Ausnahmefällen eindeutig Zeichen einer Myokarditis. Häufiger zeigen sich auch bei den geimpften Patienten Hinweise auf Entzündungen durch andere Viren oder immunologische Prozesse“, so Prof. Dr. med Karin Klingel vom Universitätsklinikum Tübingen.
Generell sollen Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte oder medizinisches Fachpersonal nach einer COVID-19-Impfung nun auf die Zeichen einer Myokarditis und Perikarditis achten:
- Atemnot/Kurzatmigkeit
- ein starker Herzschlag, der unregelmäßig sein kann (Palpitationen)
- Schmerzen in der Brust
Eine genaue Häufigkeit einer Myokarditis und/oder Perikarditis nach mRNA-COVID-19-Impfung kann bislang nicht sicher ermittelt werden, weil epidemiologische (bevölkerungsbezogene) Studien fehlen. Allerdings scheint eine Herzmuskelentzündung nach mRNA-Impfstoffen sehr selten zu sein.
Nach Angaben des PEI kann beispielsweise aus den US-Daten eine Häufigkeit von weniger als 1:100.000 Impfdosen abgeschätzt werden. Und aus den israelischen Daten wurde eine grob kalkulierte Häufigkeit von etwa 2,4 Fällen pro 100.000 Personen nach einer zweiten Dosis Comirnaty errechnet.
Zudem wurden 95 Prozent der Fälle als mild beschrieben mit einem zumeist kurzen Krankenhausaufenthalt.
Symptome haben sich zurückgebildet
Laut PEI-Daten (bis 31.7.2021) wurden in Deutschland insgesamt 393 Verdachtsfälle einer Myokarditis und/oder Perikarditis nach Impfung mit Comirnaty (Hersteller Biontech) sowie 49 Fälle nach Spikevax-Impfung (Hersteller Moderna) gemeldet. Einige wenige Fälle wurden auch nach einer Impfung mit einem Vektor-Impfstoff dem PEI berichtet.
Wie das PEI in seinem Sicherheitsbericht im August 2021 bestätigt, wiesen in bislang veröffentlichten Fallberichten Patientinnen und Patienten zwar erhöhte kardiale Troponinwerte mit einer Spitze wenige Tage nach der Impfung auf, ebenso Auffälligkeiten im EKG(ST-Hebungen) und teilweise im Echokardiogramm.
Doch nur ein kleiner Prozentsatz der Betroffenen habe bei der Vorstellung eine Herzschwächung gezeigt. Außerdem hätten sich bei fast allen Patientinnen und Patienten die Symptome und die diagnostischen Marker von alleine oder nach Behandlung zurückgebildet, ebenso die Befunde der Bildgebung.
Daher bewertet auch das PEI unter Berücksichtigung der Seltenheit der Berichte und dem offenbar zumeist milden Verlauf das Nutzen-Risiko-Verhältnis der mRNA-Impfstoffe weiterhin positiv. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsche Herzstiftung: Herzmuskelentzündung: Was bei Covid-19 bekannt ist, (Abruf: 30.08.2021), Deutsche Herzstiftung
- Deutsche Herzstiftung: Herzschädigung bei Covid-19, (Abruf: 30.08.2021), Deutsche Herzstiftung
- Denisa Bojkova, Julian U G Wagner, Mariana Shumliakivska, Galip S Aslan, Umber Saleem, Arne Hansen, Guillermo Luxán, Stefan Günther, Minh Duc Pham, Jaya Krishnan, Patrick N Harter, Utz H Ermel, Achilleas S Frangakis, Hendrik Milting, Andreas M Zeiher, Karin Klingel, Jindrich Cinatl, Andreas Dendorfer, Thomas Eschenhagen, Carsten Tschöpe, Sandra Ciesek, Stefanie Dimmeler: SARS-CoV-2 infects and induces cytotoxic effects in human cardiomyocytes; in: Cardiovascular Research, (veröffentlicht online: 23.09.2020 und: Volume 116, Issue 14, Dezember 2020, Pages 2207–2215), Cardiovascular Research
- Saurabh Rajpal, MBBS, MD; Matthew S. Tong, DO; James Borchers, MD, MPH; et al: Cardiovascular Magnetic Resonance Findings in Competitive Athletes Recovering From COVID-19 Infection; in: JAMA Cardiology, (veröffentlicht: 11.09.2020), JAMA Cardiology
- Valentina O Puntmann, M Ludovica Carerj, Imke Wieters, Masia Fahim, Christophe Arendt, Jedrzej Hoffmann, Anastasia Shchendrygina, Felicitas Escher, Mariuca Vasa-Nicotera, Andreas M Zeiher, Maria Vehreschild, Eike Nagel: Outcomes of Cardiovascular Magnetic Resonance Imaging in Patients Recently Recovered From Coronavirus Disease 2019 (COVID-19); in: JAMA Cardiology, (veröffentlicht: 01.11.2020), JAMA Cardiology
- Peder L Myhre, Siri L Heck, Julia B Skranes, Christian Prebensen, Christine M Jonassen, Trygve Berge, Albulena Mecinaj, Woldegabriel Melles, Gunnar Einvik, Charlotte B Ingul, Arnljot Tveit, Jan Erik Berdal, Helge Røsjø, Magnus N Lyngbakken, Torbjørn Omland: Cardiac Pathology 6 Months after Hospitalization for COVID-19 and Association with the Acute Disease Severity: Cardiac MRI 6 months after COVID-19; in: American Heart Journal, (veröffentlicht: 13.08.2021), American Heart Journal
- Paul-Ehrlich-Institut (PEI): Sicherheitsbericht vom 19.08.2021, (Abruf: 30.08.2021), Paul-Ehrlich-Institut (PEI)
Wichtiger Hinweis:
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